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Alt 23.11.2009, 19:17
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Kerstin22 Kerstin22 ist offline
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Standard AW: Krebs und Studium

Ich hatte nicht Temodal. Meine Chemos weiß ich nicht alle auswendig. Ambulant hatte ich Bleomycin und Vincristin, die waren eher ein Lacher. Stationär hatte ich ganz viele verschiedene. Mir würden jetzt Etoposid, Cisplatin und irgendwas mit Ara einfallen. Aber jede Chemo ist ein Überraschungsei und man weiß nicht, welche Nebenwirkungen drin sind. Es bringt also nicht sich im vorhinein groß auf bestimmte Nebenwirkungen einzustellen. Ich hatte jedes Mal was anderes.

heute wurde mir hinterhergegrunzt. (Hier stehen 100 schlagende Smileys. Die funktionieren irgendwie bei mir gerade nicht.) Ich dachte ja, dass ich das verkrafte und da drüber stehe, aber auf Dauer und ständig ist das hart. Ich würde denen allen am liebsten irgendwas mit Krebs und Chemo ins Gesicht sagen und die hoffentlich beschämen, aber meistens passiert das ja so indirekt, dass man den Urheber nicht ausmachen kann. Innerlich werde ich immer agressiver und kann es gar nicht glauben wie intolerant selbst Studenten sind.

Ich wollte heute noch zum Sport, aber jetzt habe ich Kopfschmerzen. Ich war bis eben in der Uni und, wenn ich nachmittags nicht schlafe, fangen meine Augen immer an zu flimmern. Das ist mir besonders in letzter Zeit verstärkt aufgefallen.

Meine Mama hat sich heute für mich Schweine-Grippe-impfen lassen. Ich hoffe, die Impfung bekommt ihr. Ansonsten würde ich mich schuldig fühlen. Der Rest meiner Familie, der sich ja auch für mich impfen lassen sollte, weigert sich bisher. Mein Vater ist ja sowieso Hypochonder. Das nervt mich. Wenn er mal was hat, macht er aus einer Mücke einen Elefanten, während ich eher aus meinem Elefanten eine Mücke mache. Er bekommt Angst, weil ein alter Schulfreund von ihm einen Herzinfakt hatte. Das Leben ist schon gefährlich. Und bei der Grippe-Impfung hat er ein ganz ungutes Gefühl. Ich glaube mein Mitleid bei kleinen Wehwechen ist im Laufe meiner Krankengeschichte gesunken. Meine Relationen sind ganz andere geworden. Natürlich kann es einem auch bei einer Erkältung akut ganz schlecht gehen. Dafür habe ich auch Verständnis. Aber so Kleinigkeiten, die einem nicht einschränken, finde ich besonders bei sonst gesunden, unbelasteten Menschen nicht mitleidenswert. Vielleicht bin ich da jetzt auch intolerant. Sicherlich ist das bei mir eine komische Form der Abhärtung und Gewöhnung. Wenn mir ein gesunder Mensch wegen irgendeiner Mücke mir sein Leid klagt, finde ich das unangemessen. Besonders wenn ich diese Mücke vielleicht auch hatte oder habe und er meine Krankengeschichte kennt. Direkt an jemanden gewandt, der es gesundheitlich schwerer hat als ich, würde ich doch nicht über meine Zimperlein klagen. Als ich z.B. bei meiner letzten Transplantation ganz kurz mit einer jungen Frau im Zimmer lag, der es richtig mies ging, habe ich mich nicht mehr getraut, auf mein Laufband zu bestehen und mich über das mangelhafte streng keimarme Essen zu beschweren. Das stand in keiner Relation zueinander.

Gute Nacht!
Kerstin
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Morbus Hodgkin, II B mit Riskofaktor, ED 4/06, 8x BEACOPP eskaliert,Bestrahlung, 1. Rezidiv 03/07, 2x Chemo mit DHAP, 20.06.07 SZT; Bestrahlung;Reha, 2. Rezidiv, 18.04.08 allogene SZT, 03.06.08 komplette Remission , 2019: Knoten im Brustkorb, 03/19 ED Peripherer Nerventumor, 6 Zyklen Chemo, Bestrahlung, OP, bestätigte Remission 01/20
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