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Alt 11.09.2002, 11:13
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Standard Ein langer Abschied - Teil 2

Liebe Dagmar,

lieben Dank für Deinen Brief. Auch mir tun liebe Worte gut.
Ich bin entsetzlich einsam, aber das ist keine Einsamkeit, die andere Menschen oder Lebewesen füllen könnten,- die könnte NUR mein Mann füllen. Wir wollten jetzt gemeinsam unseren Ruhestand genießen und hatten uns Beide sehr darauf gefreut jetzt ständig beieinander zu sein.
Du schreibst, Du bist neidisch, wenn Du andere komplette Familien siehst,- mir geht es auch so bei älteren Paaren und gleichzeitig schäme ich mich,- ich bin normalerweise kein neidischer Mensch.Aber es tut so weh!
Bei meinem Mann war es von Anfang an so, daß er von der Diagnose an als hoffnunglos "abgestempelt" wurde und so hat man ihm diese ELF Therapie verordnet. Die Haare fielen aus (was für ihn auch furchtbar war, da er sehr volles Haar hatte) und ihm ging es nicht gut aber gebracht hat diese Chemo garnichts.Ich will Dich nicht mit allen Details langweilen,- jedenfalls hatten ihm andere Ärzte zu einer krasseren Chemo geraten, nämlich Platin mit 5FU etc. Die half dann auch etwas aber nicht sehr lang.Die Ärzte waren mehr als desinteressiert und ich habe trotz meines immensen Engagements keinen Arzt gefunden, der sich meinem Mann etwas intensiver gewidmet hätte.
Ich war sieben Monate fast täglich rund um die Uhr bei ihm, habe ihn wenn es notwendig war gepflegt (nach der Op,- da habe ich mich mit eingemietet, damit ich ihn selbst waschen konnte etc),- mein Mann war vorher nie krank und die Tatsache im Krankenhaus zu liegen und fremde Menschen an ihm "rumfummeln" zu lassen, war schon alleine ein Horror für ihn.Zwischen den Chemos war er zuhause, aber Lebensqualität hatte er nicht mehr (nicht das, was wir darunter verstehen). Er hatte ständig Schmerzen,- konnte wegen der Thrombosen entweder nicht gut laufen oder kaum atmen (obere Hohlvenenthrombose) und so war "sein Radius" mehr als eingeschränkt. Wie gerne wäre er nochmal in unser geliebtes Südfrankreich....
Die letzten vier Wochen habe ich ihn dann auch zuhause künstlich ernährt (auch ein Horror, den er immer mit großen Augen verfolgt,- er aß so gerne!!! Keine Truffes mehr, kein Kuchen,- einfach nichts..)
Wir sind dann noch einmal zu einer geplanten Chemo ins Krankenhaus gefahren (obwohl ICH schon nicht mehr wollte, er war derart schwach, aber mein Mann sagte, ER möcht zur Chemo,er möchte schließlich gesund werden!!!)und diese letzte Chemo hat ihm ,meiner Meinung nach, "den Rest" gegeben.Aufeinmal bekam er Wasser in den Beinen,- konnte sich von einem Tag zum Anderen nicht mehr selbst im Bett aufrichten etc.Dann fingen sie dort an ihn wie wild mit Antibiotika zu traktieren,- also muß da noch etwas gelaufen sein, das sie uns verschwiegen hatten....Als man mir mitten in der Nacht sagte er stirbt, habe ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, mir einen Krankentransport organisiert und habe in nachts noch nach Hause bringen lassen. Wir haben uns immer versprochen, daß wir uns nie gegenseitig im Krankenhaus lassen "wenn etwas ist".Ich hätte ihn sowieso nie im Krankenhaus gelassen, auch als Pflegefall nicht.Er ist dann zuhause gestorben, noch an dem Tag als wir nachhause kamen,- ich weiß nicht einmal ob er überhaupt noch bemerkt hat, daß er zuhause war.
Ich bin selbst krank und habe manches Mal vor Erschöpfung nicht mehr gewußt, was ich machen soll,- aber die Liebe zu diesem gequälten Menschen verleiht einem in diesem Moment solche Kräfte, ich hätte es selbst nicht geglaubt.ER FEHLT MIR UNENDLICH!
Verzeih, daß ich Dir heute meinen ganzen "Seelenmüll" vor die Füße geworfen habe. Heute vor einem halben Jahr war unser letzter Tag und ich wußte tagsüber noch nicht, was mich nachts erwartet....

Ich finde Buchhändlerin ist ein wunderschöner Beruf , täte es Dir nicht leid ihn aufzugeben? Vielleicht findest Du den Einstieg wieder?
Ich denke, Deine Kinder haben jetzt auch eine schwere Zeit aber für sie werden die nächsten Jahre den großen Schmerz verdrängen. Aber was ist mit Dir? Ich selbst gehe an dem Verlust zu Grunde.

Ich muß nicht mehr arbeiten und das wäre bei meinem momentanen Gesundheitszustand auch nicht möglich.

Ich wünsche Dir, daß Du einen Job findest, der Dir wieder Zufriedenheit bringt und daß Du Deine Trauer und Deinen Schmerz besser in den Griff bekommst als ich,- schon Deiner Kinder wegen. Sie brauchen Dich!!!

Alles Liebe, Nadine
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