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Alt 03.11.2006, 17:35
shalom shalom ist offline
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Beiträge: 222
Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

Hallo,

in einigen meiner früheren Beiträge zum Krankheitsgeschehen meiner verstorbenen Frau und zu unserem Umgang mit Krankheit, Sterben und Tod war sicher zu erkennen, daß unser Glauben geholfen hat, das Unabänderliche anzunehmen.

Dabei weiß ich, daß jeder mit unausweichlichen Schritten und Lebensabschnitten ganz persönlich und individuell umgehen lernen muß.
Glauben, hoffen, dem Schicksal ausgeliefert sein: Jeder geht mit Krankheit, Sterben und Tod anders um.

Sowohl im Hinterbliebenforum wie auch im Unterforum zum Umgang mit Krebs hat es eine Reihe von recht kontroversen Beiträgen zum Einfluß von Glauben oder Nichtglauben auf das Krankheitsgeschehen bzw. Sterben gegeben.

Forums-Beiträge von "Nicht-Glaubenden" lehnten häufig und heftig eine Einfluß von höheren Mächten ab, die "Glaubenden" wiesen hingegen mit besonderer sprachlicher Eindringlichkeit auf die Einflußnahme höherer Mächte hin und stellten in einzelnen Fällen sogar kausale Abhängigkeiten zwischen religösem Wohlverhalten und Krankheitsverlauf her und/oder warfen Schuldfragen auf.

Wenn ich die vielen Beiträge (z.B. im Thread "AW: Annehmen, glauben, kämpfen! Mein Weg ... im Unterforum Umgang mit Krebs) mal Revue passieren lasse, fallen mir als früher sehr religiös erzogenem und von ehemals sehr vielen Bibelworten umgebenem Menschen auf:

Beiträge der sich als gläubig bezeichnenden Menschen arbeiten ausgesprochen viel mit Bibelzitaten, mit einer ganz besonders eindringlichen Sprache und einem besonderen Wortschatz und mit vielen "Du musst" und "Wenn, dann" - Vermutungen und mit einem besonders spürbaren moralischen Anspruch an sich selbst (und vielleicht auch an andere).

Es erscheint mir so, als wenn man durch diese gewählte besondere Eindringlichkeit meint, man könne eine eindeutige kausale Beziehung herstellen zwischen Glauben, Krankheit und Heilung. Diese Glaubenshaltung wirkt auf mich verkrampft und zwingt geradezu zum Widerspruch.

Wenn ich davon (für mich) ausgehe, daß mein Leben von einer höheren Warte begleitet wird, so kann ich das (inzwischen nun wieder) fröhlich tun, ohne dass ich an meinem Glauben gezweifelt habe, als meine Frau verstarb. Unser Glauben hat jedoch geholfen, das Unabänderliche anzunehmen. Die eigene Lebensorientierung und auch der neu zu definierende Lebenssinn wurde durch meinen eigenen Glauben eher gestärkt. Andere Menschen, die nicht glauben können, finden sicher einen für sie geeigneten anderen Weg, sich in ihrem Leben zurecht zu finden.

An meinem Verhalten, mich neu im Leben zurecht zu finden, musste ich allerdings hart arbeiten, denn ich bin der festen Überzeugung, Glauben ersetzt nicht nicht die tägliche Notwendigkeit, sich aktiv durch eigenes Handeln und Nachdenken neu zu bewähren. Eines ersetzt nicht das Andere, und durch den Glauben alleine tut sich auch nichts.

Mein Verständnis von Glauben ist inzwischen eher befreit, fröhlicher und mutiger als früher, da ich auch in für mich sehr stürmischen Zeiten erlebt habe, was es heißt: Mut zu haben zum Leben ,Mut zu haben zum Sterben, Mut zu haben zum Loslassen.

(Dies ist eine leichte Modfikation meines Beitrages aus http://www.krebs-kompass.org/Forum/s...8&postcount=51)


Religion kann es erleichtern schwierige Wegstrecken im Leben besser zu bewältigen und zu ertragen.

Eine ganz große Rolle spielen wir aber auch selbst mit unseren Einstellungen, Haltungen, Taten, unseren Gefühlen, unserem Verstand. Hier gibt es unendlich viele Möglichkeiten, wie wir uns selbst im Weg stehen können oder auch nicht. Wir können die Hände in den Schoß legen und alles ertragen, wir können aber auch aktiv und verantwortlich etwas tun. Das schließt eine religiöse Haltung ja gar nicht aus. Nur gibt es weder im religiösen Glauben noch durch Psychologie eindeutige kausale Abhängigkeiten: "Weil ich dies und das getan habe, muss das und jenes die Konsequenz sein oder haben"; das gilt auch für das religiöse Beten oder ein psychologisches Imaginationstraining.

Nachdenkenswert sind religiöse oder auch psychologische Betrachtungsweisen von Krankheit, Heilungsmechanismen bzw. Konflikten und deren Auflösungen jedoch allemal, das kritische Hinterfragen der eigenen Haltung sollte aber dabei ein steter Begleiter sein.

Krankheit und Konflikte muß man nicht in Demut ertragen, ich darf und (könnte) vielleicht auch AKTIV damit umgehen lernen.

Während der Frühphase der Krankheit meiner Frau spielte die sogenannte "positive Psychologie" von Dr. O.C. Simonton (USA) für sie eine wichtige seelisch aufbauende Rolle. Wir konnten diesen "frühen Vater" der Psychoonkologie sogar während einer Vortragsreise in Europa in Stuttgart selbst erleben.

Für Kranke wie Gesunde kann die von O.C. Simonton angeregte Betrachtung nützlich sein, wie wir mit unseren Gefühlen (z.B. auch mit Konflikten und Trauer) umgehen.

Psychoonkologie kann helfen, die stürmischen Umwälzungen der Gefühle durch z.B. eine Krebserkrankung zu hinterfragen, die "positive Pychologie" selbst bietet aber aus sich heraus keine Garantie für die Heilung von Krankheiten oder für eine Konfliktlösung.

(Dies ist eine leichte Modfikation meines Beitrages aus http://www.krebs-kompass.org/Forum/s...5&postcount=57)


Liebe Grüsse
Shalom
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Es ist nicht genug zu wissen, man muß es auch anwenden.
Es ist nicht genug zu wollen, man muß es auch tun.


(Johann Wolfgang von Goethe)
"Wilhelm Meisters Wanderjahre", 3. Buch, 18. Kapitel
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