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Alt 07.07.2003, 13:28
Gast
 
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Standard junge Frauen und der Tod der Mutter

Hallo an alle,

liebe Katrin, ich finde , dass es die Antwort von Damaris ganz genau trifft. Mein Papa ist im Alter von 50 Jahren am 18. Januar gestorben. Bei mir war es genauso, wie bei Damaris, seit der Diagnosestellung (Juli 2002) schwirrte mir nur noch der Gedanke Krebs und Angst vor dem Schlimmsten durch den Kopf. Obwohl ich im Hinterkopf eventuell wusste, dass Papa die Krankheit nicht überstehen könnte, hab ich den Gedanken ans Sterben nie an mich rangelassen. Immer, wenn der kleinste Anflug an Gedanken kam, dann hab ich sie verdrängt und mich an Strohhalme geklammert. Nicht nur, dass der Gedanke an den Verlust so unerträglich weh getan hat, ich glaube, ich hatte auch immer ein schlechtes Gewissen, an so etwas zu denken. Es war für mich, als ob ich ihn aufgegeben hätte. Trotzdem wir alle ein halbes Jahr von der Krankheit wussten und auch sahen, dass Papas Zustand sich verschlechterte, kam für mich der Tod ganz unerwartet. Und dann kam das große Loch... Ich glaube, in diesen Momenten und gerade auch in dem Moment, in dem man es erfährt, ist der Kopf leer und voll zugleich. Ich hab einfach nichts gedacht, außer, dass das nicht wahr sein kann, dass ich jeden Augenblick aufwache. Die nächsten Wochen habe ich nur funktioniert. Genau das war vorher auch für mich unvorstellbar. In Zeiten, wo das alles noch ganz weit weg war, da hab ich immer gedacht, man könnte danach nicht weiterleben. Ich dachte, alles hört auf. Bei mir war das immer wie eine Klippe, ich kann genau bis dahin schauen, und dann sehe ich nichts mehr. Das Schlimmste, was ich in den ersten Wochen akzeptieren musste, war, dass die Welt sich weiterdreht. Das man plötzlich zum Bestatter laufen kann und einen Sarg aussucht, Todesanzeigen verfasst, Blumen bestellt, Sachen aussortiert etc. Das alles war unfassbar für mich. Manchmal hätte ich alle anschreien können, dass sie verdammt noch mal aufhören sollen, sich um ihr „normales“ Leben zu kümmern. Schlimm wurde dann auch, wieder auf die Arbeit zu gehen. Zu merken, dass man den ganzen Tag arbeiten kann und sich auf andere Sachen konzentriert. Sobald ich in der Tiefgarage im Auto saß, war es dann wieder da. Der Gedanke, mit dem ich früh aufgewacht und abends eingeschlafen bin. Auch ich hab mich so oft gefragt, ob das normal ist, ob ich nicht 24h weinen müsste, ob ich nicht im Bett liegen bleiben und nie mehr aufstehen müsste. Ich denke, es gibt darauf keine wirkliche Antwort. Ich glaube wie Damaris, dass das der eigene Körper für einen regelt. Er funktioniert weiter, lässt uns rational handeln und schützt uns davor durchzudrehen. Langsam vermute ich aber, dass unser Körper diese Kraft nur eine gewisse Zeit durchhält. Ich merke das bei mir, dass ich oft müde und ständig erkältet bin und manchmal bei irgendwelchen Kleinigkeiten „durchdrehe“. Ich weiß nicht, wie man so etwas verarbeiten kann, und ich weiß auch nicht, ob es jemals wieder aufhört. Ich bin aber mittlerweile auch aus eigener Erfahrung der Meinung, dass die Anzahl der Tränen eben nicht den Umfang der Trauer beschreibt.

Liebe Katrin, auch ich hab mich schon manchmal Vorwürfe gemacht, weil ich mich Tage nicht in einem „typischen“ Trauerzustand befand. Manchmal kann ich an Papa denken, und lache über seine Witze oder ich freue mich, mit ihm die ganzen Sachen erlebt zu haben. Dann erschreck ich mich manchmal und rufe mich in die Realität zurück. Auch ich stell mir dann manchmal die Frage, ob ich Papa doch nicht so doll lieb gehabt habe, wenn ich scheinbar so stark mit der Situation umgehen kann. Aber ich weiß, wie sehr ich ihn vermisse, wie sehr er mir fehlt, wie viel ich dafür geben würde, nur ab und an seine Stimme zu hören, in den Arm genommen zu werden. Ich glaube, gerade diese Versteinerung, dieses innerliche Verdrängen, die Angst überhaupt darüber nachzudenken, zeigt, wie sehr du deine Mama geliebt hast, und wie schwer das alles für dich ist. Dein Körper schützt dich davor, völlig zusammenzubrechen. Es ist alles noch so unbegreiflich und so frisch. Lass dir Zeit damit, dass alles zu verarbeiten, und lass deinen Körper es auf deine Art und Weise verarbeiten. Du weißt doch für dich, wie lieb du deine Mum gehabt hast. Was mir in der ganzen Zeit klar geworden ist, ist, dass es sch...egal ist, was andere denken, du ganz allein (natürlich mit Hilfe von anderen) musst da durch. Wenn ich früher z.B. Menschen lachen sehen habe oder im Kino oder sonst was, und dann hinterher erfuhr, dass Vater oder Mutter erst vor kurzem gestorben wären, dann hätte ich wohl auch gedacht, oh, und da kann sie schon wieder lachen oder rausgehen!? Damals wäre ich niemals auf den Gedanken gekommen, dass das Leben weitergeht. Heute weiß ich, dass es anders ist. Egal was ich tue, egal wie lang ich abgelenkt bin, immer wieder kommen traurige Gedanken. Manchmal ganz plötzlich, du isst ein Eis und im nächsten Moment bist du traurig und könntest dich verkriechen. Bei mir ist es jetzt fast ein halbes Jahr her, und es ist mein „Tagesinhalt“. (Ich weiß nicht, ob das alles so nachvollziehbar ist, wahrscheinlich ist alles etwas konfus). Momentan helfe ich mir ein wenig mit Verdrängen, sobald schlimme Bilder hochkommen, denke ich an schöne Zeiten mit meinem Papa. Manchmal sage ich ihm dann auch laut vor mich hin, wie sehr ich ihn vermisse. Ich glaube, je schöner die Zeit mit Mama oder Papa war, desto mehr hat man hinterher auch davon (eigentlich abstrus, denn umso mehr vermisst man sie ja auch) Trotzdem hilft es mir manchmal zu wissen, was wir für eine schöne Zeit mit einander hatten.

Oh je, jetzt hab ich so viel geschrieben. Ich glaube, gerade das hat mir in den vergangenen Monaten auch viel geholfen. Man ist mit seinen Gedanken nicht alleine...

Liebe Grüße an Alle
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