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Alt 07.09.2008, 00:39
Tanja in Rom Tanja in Rom ist offline
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Registriert seit: 06.09.2008
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Standard AW: Profil: Angehörige stellen sich vor...

Hallo,
Meine Mama hat Krebs und ich habe mich hier angemeldet weil unsere Geschichte vielleicht einigen von Euch Mut machen kann- und weil andererseits der Moment gekommen ist wo ich gerne mehr wuesste darueber, wie es vielleicht weitergeht.

Meiner Mutter wurde vor 8 Jahren, mit damals 51 Jahren (!), Magenkrebs diagnostiziert und sie wurde operiert. Bereits ihr Bruder und ihre eigene Mutter waren an Magenkrebs verstorben, ihre Schwester hat Brustkrebs gehabt aber nach Amputation keine Probleme mehr gehabt.
Ja, seit 2001 gilt ihr Krebs als unheilbar- an die unzaehligen weiteren OPs (Niere, Milz, .....), Chemos, Rehabilitationen kann ich mich kaum erinnern - ganz einfach weil Mama die Krankheit nie richtig wichtig genommen hat. Sie hat fast nie gezeigt, dass sie Angst hat oder sich Sorgen macht- fuer sie war einfach "praktisch" dass sie als 100% behindert gilt und in Rente gehen konnte (die Firma bei der sie und mein Vater beschaeftig waren hatte pleite gemacht) und nachdem sie als Vollzeit arbeitende Mutter zweier Kinder (und das in den 80er Jahren) hat sie es genossen, in den Tag hineinzuleben und sich auf den tag zu freuen (oder auch nicht...) an dem auch mein Vater in Rente geht (das duerfte in etwa zehn Jahren der Fall sein).


Ich wohne schon seit 1997 nicht mehr bei meinen Eltern- die Distanz hat sich -zumindest was die Kilometer angeht- immer mehr vergroessert und mittlerweile wohne ich mit meinem Partner in Rom, Italien. Dank Telefon und Billigfluegen habe ich trotzdem das Gefuhel, meiner Mutter naeher zu sein als zB mein juengerere Bruder, der noch in der gleichen Stadt wohnt. Ich fliege etwa alle 8 Wochen zu ihr und telefoniere fast taeglich mit ihr. Da ich einen tollen, aber auch anstrengenden Job habe mit viel Reisen und zudem in meiner "Freizeit" noch meine Doktorarbeit in London schreibe, habe ich das Gefuehl, ziemlich am Limit dessen zu sein, was ich mir zumuten kann ohne selber Gesundheitsprobleme zu bekommen. Manchmal habe ich Angst, zu egoistisch zu sein weil ich nicht alles liegen und stehen lasse um bei ihr zu sein- andererseits sind meine Eltern so stolz auf mich und scheinen es absolut in Ordnung zu finden, dass ich meinen Weg gehe. Zumal sie seit 8 Jahren so krank ist, dass ihr kontinuierlich eine Lebenserwartung von weniger als "ein-zwei" Jahren gegeben wuerde wenn sie danach fragen wuerde.

Gluecklicherweise hat sie am Wohnort zusaetzlich zu papa und meinem Bruder noch 5 Geschwister die sich toll um sie kuemmern. Besonders ihre Schwester die selbst Brustkrebs hatte, ist ein toller Halt- sie kennt alle Aerzte und engagiert sich in einem Hospitz. Dem Sohn ihrer Zwillingsschwester hingegen (29 Jahre alt) wurde diesen Sommer ein unheilbarer Hirntumor diagnostiziert....

Der Gesundheitszustand meiner Mutter ging nur ganz langsam bergab. Erst vor einem Jahr hat sie bei einer neuen/haerteren Chemo die Haare verloren- vorher hat sie sie immer behalten. Aber selbst die Peruecke fand sie dann ok- endlich nicht mehr "der Aerger mit den Haaren die nicht so liegen wie sie das will". Inzwischen sind ihre echten Haare wieder nachgewachsen und die perruecke ist im Muell.
Sie fuhr auch stets mit dem Fahhrad zur chemo und mein vater hat ihr sogar im Februar diese Jahres noch ein tolles, neues Fahrrad gekauft. Zwischendurch bekam sie nachts immer mal wieder Ernaehrung ueber den Port weil "irgendwas" an der Speiseroehe ihr so den Hals zuschnuernte dass sie nur selten richtig essen oder trinken konnte. Bloss ihren morgendlichen Kaffee, den hat sie immer noch runterbekommen.
Im Maerz kam dann eine thrombose am Hals dazu....ich habe riesige Angst dass das in den Kopf wandert und sie ein "lock-in-syndrom" bekommt.
Seit diesem Jahr hat sie auch erstmals starke schmerzen- es war auch nicht einfach, sie richtig einzustellen weil sie ihre Krankheit nicht so ernst nimmt und eher denkt "ach, morgen ist es bestimmt schon wieder besser". Selbst in Momenten, in denen sie sich vor Schmerzen kruemmte und wiegte und stoehnte (so stelle ich mir Wehen vor!?) zoegerte sie, noch eine tablette zu nehmen- "das wird gleich wieder besser". naja- im Juli brauchte sie dann doch arg hohe Dosen von Paladon (morphium) die ihr auch jeglichen Appetit genommen haben. dazu kam dann eine Infektion mit irgendeinem Bakterium...am telefon meinte sie "Du, tanja, ich bekomm immmer fieber wenn ich die Ernaehrung dran mache- ob ich mal dem Arzt bescheid sagen soll?" Ihre Lungenmetastasen sind wohl auch sehr gewachsen und ihr wurde schon zweimal viel Wasser aus der Lunge abgesaugt.

tja- es sollte dann der Port ausgetauscht werden, was auch geschah- allerdings war die Infektion noch im Koerper und der Port musste wieder raus. Heute sagte sie mir dann, dass alle ihre Venen so schlecht sind, dass sie keinen neuen Port mehr bekommen wird und Dienstag kommt sie, nach 2 Wochen Krankenhaus, "als Pflegefall" wieder nach hause.
Die Pflegeschwester, die ihr wohl auch verschrieben wurde, will sie aber eigentlich gar nicht "mir geht es doch schon wieder gut". Auch meine Frage, ob sie gerne haette dass ich komme, meinte sie auch nur lapidar "wozu denn, ich lieg doch hier nur rum". Und der Schwester, die nach ihren Essenswuenschen fragte, erklaerte sie: Also, die Brotscheiben- kann man die nicht duenner schneiden? Diese dicken Platten- da bin ich ja schon satt wenn ich das nur sehe". Aber sie schafft 2 Astronauten-Drinks pro tag.

Hm, ich schreib wohl arg viel. was ich sagen wollte ist, dass sie es schafft, so unglaublich "ignorant" zu sein, die Krankheit einfach ignoriert- so tut als waer (fast) nichts und es ihr fast unangenehm ist dass die Leute um sie herum so erschuettert sind- ich glaube dass ist ein gutes rezept um noch recht lange und gut mit der Krankheit zu leben.
Gleichzeitig habe ich Angst, dass sie sich immer so gut mit dem Gegebenen abfindet, dass sie niemals loslassen und einschlafen wird und furchtbar leiden muss.
Und natuerlich habe ich davor, dass sie irgendwann und irgendwie doch einschlaeft und nie wieder einen ihrer trockenen Sprueche macht, noch viel mehr Angst.

OK- das soll mal reichen fuer heute.....wenn jemand Erfahrung mit "langzeit-palliativ-Angehoerigen" und das leben als angehoeriger im Ausland mit mir teilen mag- oder irgendwelche anderen gedanken....ich freu mich drauf.

tanja
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