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Alt 26.11.2008, 09:39
Tochter1980 Tochter1980 ist offline
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Standard AW: Wie lange dauert das Begreifen?

Hallo Ihr lieben Seelen,

so viele haben an uns gedacht. Es war mit Abstand der schwerste Weg, den wir am Montag gegangen sind.
Es war ein Tag mit einem klaren blauen Himmel, mit einer Sonne, die nicht wärmte, roten Wangen, kalten Fingern und Dunstwölkchen vor Mund und Nase.
Es war ein Tag, an dem wir einen Schritt langsamer gegagnen sind, an dem die Tränen nicht trocknen wollten, an dem die Gedanken so tief und schwer hingen, dass sie uns fast erdrückten, an dem die Trauer für manchen zu stark das kleine Herz umschloss. Ein Tag, der die gefürchtete Entgültigkeit brachte.

Nun können wir sie besuchen wann immer wir wollen. Nun haben wir ein Platz...

Wie sehr wünsche ich mir alles so wie früher. Nicht vor der Krankheit, nein, richtig wie früher. Als wir noch klein waren und Mama uns immer vom Hort abgeholt hat. Als wir mit Papa in der Küche saßen und Nudeln gegessen haben und Papa immer Späße mit den Nudeln gemacht hat und Mama sagte:" R..., mit Essen spielt man nicht!" und Papa sie ansah und sagte: "Du weißt ganz genau, dass das kein Essen für mich ist." Und mein Bruder und ich schrieen: "Mach noch einmal mit der Nase, Papa." und ihn begeistert und bewundernd angesehen haben und nicht verstanden wie er die Nudel im Mund verschwinden lassen kann wenn er auf seine Nase drückt. Ich wünsch mir die Zeit zurück, wo Mama uns jeden abend ca. fünf mal ins Bett bringen musste, weil wir ja noch so viel vergessen hatten und immer wieder aufgestanden sind. Ich wünsche mir die Zeit zurück wo wir krank waren und Mama da war um uns zu pflegen und immer eine kleine Süßigkeit für die kranken Engerlinge hatte. Ich wünsch mir die Zeit zurück wo eine Schramme mit einem Kuss von Mama und einem Zauberpflaster gar nicht mehr wehtat.
Ich wünsch mir die Zeit zurück wo die Welt noch heil war...

@MamaBirgit: Deine Kinder können so stolz auf Dich sein. Du hast selber ein so großes, schweres Päckchen zu tragen und bist so intensiv für Deine Kinder da und dennoch findest Du die Zeit hier her zu kommen und so viel Trost zu spenden.
Ja, ich liebe meinen Papa sehr. Auch meinen Bruder und jetzt wo Mama nicht mehr für ihre Männer sorgen kann, werde ich es in ihrem Andenken und in ihrem Sinne weitermachen. Sie waren, sind und werden immer meine Familie bleiben und ich will das es ihnen gut geht. Sie haben für lange Zeit mehr als genug Leid erfahren.

@Lobelt: Ich höre gerade wieder das Lied für mich, während ich Dir schreibe. Ich kenne es und finde es wunderschön. Ja, eine Tochter lässt ihren Papa nicht gerne alleine leiden. Mir ging es auch eine Zeit lang immer schlecht, wenn es meinem Papa schlecht ging. Ich hoffe, das mit Deiner Tochter alles wieder in bester Ordnung ist und Ihr wieder so richtig schön streiten könnt.

@Tina: Hallo bei mir. Danke für Deine Worte. Noch ist der Schmerz allgegenwärtig und die Wunden, über die sich eine ganz dünne Schicht gelegt hat, wie bei abkühlender Hühnersuppe, ist wieder aufgerissen. Sie fehlt immer und überall. Irgendwann können wir damit leben ohne es zu müssen und uns ständig zu fragen...

@LieberMarkus: Es tut mir unendlich leid und ich schließe Dich in den Arm und wir weinen gemeinsam. Einen stillen Gruß schicke ich an Deine Mama. Noch ist nichts tröstend, aber später wird es das.

@Lieste Ronnya:Ich freu mich immer sehr wenn Du bei mir reinschaust und an mich/uns denkst. Es tut gut zu wissen, dort ist jemand in Gedanken bei Dir.
Ja, nun bin ich erwachsen, so richtig erwachsen. Ich muss meine Entscheidungen selber treffen und hoffen das es die Richtigen sind. Klar, kann ich noch Papa fragen, aber es gibt doch zu viele Dinge bei denen ich den Rat von Mama bräuchte. Habe am Sonntag meinen allerersten Kuchen gebacken, Apfelkuchen. Hatte Mama sich gewünscht. Sie wollte noch einmal einen Kuchen von mir essen. Hatte mir vorgenommen, wenn wir Mama aus dem Krankenhaus geholt haben, ist der Kuchen fertig. Leider konnten wir sie nicht mehr nach Hause holen. Also habe ich beschlossen, ich backe einen Apfelkuchen mit ihren letzten Äfeln, die noch am Baum hingen und verteile ihn an ihre Kinder. Es ist noch genug übrig geblieben, dass wir am Montag noch Kaffee und Kuchen essen konnten und Oma und Tante waren sehr begeistert davon und auch den Kindern hat der Kuchen gut geschmeckt. Als ich ihn am Sonntag, bei Mama und Papa, in den Ofen schob wurde mir wieder schmerzlich bewusst, dass Mama ihn nicht mehr probieren kann und sich nicht mir freuen kann. Ich hab Oma angerufen. Sie hat sich dann mir gefreut...
Papa und meinem Bruder geht es wieder gut. Sie mussten Spezialmedizin bekommen. Rezept von Frau Dr. zum selbstanrühren. Jeden Tag, jeder einen Liter. Gott war ich froh, dass es mir gut ging. Ich hätte das Zeug nicht runterbekommen. Aber dadurch, dass die Beiden so doll Durchfall hatten, musste was für die Elektrolyte? her. Also gab es einen Liter stilles Wasser mit einer Banane, einem Teelöffel Salz, acht Teelöffeln Zucker und einem Teelöffel Backpulver püriert für jeden. Sie sagen es hat ecklig geschmeckt aber es hat auch geholfen, plus die Tabletten, die sie bekommen haben.
Ich habe mich um Mama gekümmert und war bei Papa. Jetzt kümmer ich mich um Papa und bin bei meinem Bruder. Jetzt bin ich die Frau und nicht mehr das Mädchen. Sie haben mir so viel gegeben... Jetzt bin ich drann...

Es waren keine Nächte mit bösen Geistern, aber eine Nacht mit Mama und diesmal konnte ich sie nicht davon abhalten mich in den Arm zu nehmen. Es war die Nacht nach der Beisetzung und sie blieb die ganze Nacht.

@Thomas:

Zitat:
Zitat von ThomasV
"Pass auf Dich auf, kleiner Bruder"
Das sage ich meinem kleinen Bruder jedes mal wenn ich ihn sehe. Scheinen die Gene zu sein

Es tut mir so leid, dass auch Du Deine Frau gehen lassen musstest. ich weiß wei schwer es als Tochter ist und wenn ich meinen Papa ansehe, kann ich nur ahnen wie schwer es als Ehemann ist.

Es ist wie ein Nebel. Man möchte es fassen und es entzieht sich uns immer wieder. Es ist da und es ist presänt aber es will uns nicht in den Kopf. Auch bei uns ist es noch nicht ganz angekommen... Was kommt wenn es uns vollends bewusst wird? Halten wir das aus? Ich weiß es nicht, aber ich werde es fühlen...

Ich bin zwar nie alleine, fühle mich aber doch in vielen Momenten einsam. Im Moment kann mir nur meine Familie, das Gefühl nehmen, einsam zu sein. Keine Freunde und auch nicht die Arbeit, nur meine Familie, die die meine Mama auch so sehr geliebt haben wie ich. Die mit denen ich bis in die tiefsten Wurzeln verbunden bin, die vermagen mir das Gefühl der Einsamkeit zu nehmen. Mehr im Moment leider nicht. Meine Freunde lenken mich ab und trösten mich. Sie hören mir zu sehen mich mitfühlend an und dennoch sind sie kein Ersatz, weil viele Mama nicht kannten.

Ich wünsche Dir so viel Kraft und hoffe das Du mit diesem schweren Verlust lernst zu leben.

Nach dem Motto: "Was würde ... jetzt machen?"

@meine liebste Susanne: Du weißt wie ich fühle und Du bist da, wenn ich weine oder traurig bin. Du selbst hast ein Schicksal zu tragen, welches Du, wie soviele Andere auch, einfach nicht verdient hast und noch viel zu früh ist. Du hast so viel eigenen Schmerz zu ertragen, wo soll da noch Platz für meinen sein? Lass uns weiter gegenseitig füreinander da sein, das hilft so sehr.
Ich hab Dich lieb.

Nun ist es Mittwoch und ich sitze wieder mit Tränen in den Augen auf der Arbeit an meinem Schreibtisch und denke. Zwei Wochen noch, dann hast Du endlich Urlaub und kannst dir Zeit nehmen für alles. Heute fahre ich wieder zu Paps, wie die ganze Woche. Oma und Opa sind noch da und ich weiß nicht wie lange ich sie noch habe und möchte jetzt von Oma alles lernen, was mir eigentlich Mama beibringen wollte. Also gibt es diese Woche noch Kochklops, Kohlrouladen und Ente mir selbstgemachtem Rotkohl. Muss dann zwar immer früher von der Arbeit weg, aber mir egal, Familie ist wichtiger, außerdem geht es mir jetzt nicht so gut.

Seid alle ganz lieb gedrückt und habt Dank für alles
Susi
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In Erinnerung an unsere geliebte und starke Frau und Mama
*28.02.1958 +18.10.2008
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