Thema: Endstadium
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Alt 20.12.2002, 16:00
Gast
 
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Standard Endstadium

Hallo Jochen,

also, wenn der Bauch ganz aufgewölbt ist, wird es wahrscheinlich Wasser sein, welches sie abziehen. Mich hat deine Angabe mit dem Blut verwirrt, denn davon habe ich noch nie gehört. Wenn die Leber bluten würde, würde es sich ja um eine innere Blutung handeln, und das ist ziemlich gefährlich. Das Wasser im Bauch deines Vaters deutet darauf hin, dass die Leber nicht mehr richtig arbeitet. Mir ist nicht bekannt, dass man ein solches Stadium rückgängig machen kann. Die Leber scheint dabei zu sein, ihre Funktion zu verlieren.
Was in jedem Fall wichtig zur Beurteilung seines Zustandes ist, ist sein Allgemeinzustand und sein Ernährungszustand. Ist er abgemagert? Hat er Schmerzen? Hat er Hoffnung?
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es das Schlimmste ist, was einem passieren kann, wenn ein naher Mensch sterben muss. Bei uns ist es über ein Jahr her, aber ich habe noch nichts begriffen. Manchmal denke ich, dass ich damit klarkomme, weil es ja schließlich ganz natürlich ist, dass Menschen sterben, aber immer wieder gibt es diese Momente, in denen ich ganz verzweifelt bin und nicht weiß, wie ich mit meiner Traurigkeit umgehen soll. Es ist unsere Lebensaufgabe, unser Trauma. Krebs ist mein Trauma, damit muss ich zurechtkommen. Du musst das auch.
Was für mich heute sehr belastend ist, ist die Tatsache, dass ich meinem Vater meine wahren Gefühle nie richtig zeigen konnte. Ich habe ihm nicht sagen können, dass ich ihn liebe und ich habe ihm auch nicht für alles gedankt. Er wusste, dass ich ihn liebe, aber ich habe es ihm nicht gesagt. Das bereue ich heute. Wenn du irgendeine Chance siehst, die Distanz, die Fremdheit (falls sie bei euch besteht) zu überwinden, dann tue es. Es wird dir später Trost geben.
Tja, die für dich wahrscheinlich wichtigste Frage nach dem "Wie lange noch?" kann ich dir natürlich nicht beantworten. Im Nachhinein gesehen spielt die Zeit auch eigentlich keine Rolle. Du lebst weiter, Jahre oder Jahrzehnte, und aus einer entfernten Perspektive ist es nicht mehr wichtig, ob der geliebte Vater nun noch zwei Monate oder ein Jahr hatte. Wichtig ist einzig, was ihr aus der euch verbleibenden Zeit macht. Ich für meinen Teil bin davon überzeugt, dass der Betroffene ahnt, wie viel Zeit ihm noch bleibt. Wenn du deinem Vater ganz genau zuhörst und versuchst, zwischen den Zeilen zu lesen, wird er dir mitteilen, wann er mit seinem Tod rechnet. Uns hatte damals ein Arzt gesagt, dass es sich noch um Monate handeln würde, wenn wir eine bestimmte Behandlung beginnen würden. Es war noch eine Woche... Du siehst, ein Außenstehender, nicht einmal ein Arzt, kann es genau festlegen. Das wäre unverantwortlich.

Ich wünsche euch für heute viel Kraft. Anja
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