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Alt 19.01.2006, 09:39
Juliana Juliana ist offline
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Standard AW: Wie wieder Vertrauen gewinnen (NET)?

Liebe Sanne,

meine Psychologin hat mich immer sehr darin bestärkt, eben auch an mich zu denken und hat mir immer gesagt, dass dieser "Egoismus" wichtig für mich ist, damit ich das alles durchstehe und dass ich damit auch meinem Mann helfe, dem nicht damit gedient ist, wenn ich mich so verausgabe, dass ich am Ende selber zusammenklappe.

Es gab Phasen, da konnte ich das überhaupt nicht. Da bin ich sofort nach dem Job ins Krankenhaus gehetzt und saß stundenlang an seinem Bett. Aber damals habe ich mir dann regelrecht ein Programm für mich selber gemacht. Einmal die Woche mit einer Freundin schwimmen gehen, einmal spazieren gehen, dann bummeln und was schönes kaufen. Meine Psychologin hat mir da immer regelrecht Hausaufgaben geben. Das hat mir damals wieder gezeigt, wie wichtig es ist, mich selbst nicht ganz zu vergessen und auch dafür zu sorgen, dass meine Kräfte einigermaßen erhalten bleiben. Also pflege Deinen Egoismus, er ist eine Art Schutzschild für Deine Seele!

Klar, in der Theorie ist das viel einfacher als in der Realität und mein schlechtes Gewissen hat mich zeitweise auch fast aufgefressen.

Ich finde es sehr bedenklich, wie Dein Mann reagiert, dass er Dir sogar solche Schmerzen wünscht. Das ist wirklich grausam, wie kann er so etwas sagen?

Und dass Du dann solche Gedanken hast wie "hätte ich ihn nicht kennengelernt, dann...." ist wohl sicher ganz normal. Wer von uns wollte nicht diese schrecklichen Erlebnisse aus seinem Leben radieren?

Es scheint fast so, als wäre Eure Liebe irgendwo abhanden gekommen und es ist natürlich auch wirklich sehr schwierig, die Liebe zu erhalten, wenn einen so lange nur Angst, Panik und Sorge erfüllt.

Mein Mann hat nach seinem langen Krankenhausaufenthalt ganz lange gar nichts machen können und vieles auch nicht dürfen - zum Teil darf er es heute noch nicht. Er ist transplantiert worden und sein Immunsystem ist noch immer sehr anfällig.

Aber dieser monatelange Zustand hat dazu geführt, dass er sich irgendwann nur noch bedienen ließ und auch die Dinge, die er machen könnte, nicht gemacht hat. Das hieß für mich, nach dem Job den ganzen Haushalt schmeissen (musste 2 x am Tag frisch kochen, ständig frisch einkaufen, fast täglich saugen und wischen, Bäder ständig putzen, desinfizieren und die Klamotten ständig waschen), dann der ganze Ärger mit BfA, Krankenkasse etc. Irgendwann ist mir der Kragen geplatzt und ich habe richtig Rabatz gemacht - weil ich einfach nicht mehr anders konnte.

Mein Mann hat einen ganzen Tag nix mehr mit mir geredet und ich hatte so ein schlechtes Gewissen, weil ich einen Mann, der so einen Horror mitmachen muss, dann auch noch so fertigmache. Doch bei meinem Mann hat das einen Knoten gelöst und er meinte nachher, er wäre wie aus einer Lethargie erwacht. Er hat einfach auch alles verdrängt und hat mal so ein Donnerwetter gebraucht, um wieder zu sich zu kommen und sich nicht bei allem ständig auf seine Krankheit zu berufen, sondern auch wieder Verantwortung zu übernehmen.

Allerdings wusste mein Mann wirklich immer zu schätzen, was ich für ihn tue. Er hat mir sehr oft gesagt, dass er das alles ohne mich nie geschafft hätte - das gab mir auch immer wieder die Kraft, das alles durchzustehen. Wie Dein Mann dazu kommt, Dir zu sagen, Du hättest kein Verständnis ist mir echt schleierhaft. Es sieht eher so aus, als wäre es genau umgekehrt.

Habt Ihr schon mal daran gedacht, mit einem Psychologen zu reden? In der Klinik in der mein Mann behandelt wird, gibt es speziell ausgebildete Psycho-Onkologen. Damit habe ich wirklich sehr gute Erfahrungen gemacht (es werden auch die Angehörigen mit behandelt!). Vielleicht solltet Ihr mal gemeinsam mit einer neutralen, aber fachverständigen Person über Eure Probleme reden?

Lass Dich nicht unterkriegen! Wir bleiben in Kontakt!

Liebe Grüße
Juliana
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