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Alt 15.09.2007, 21:38
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Beate'68 Beate'68 ist offline
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Standard AW: Stationen des Lebens

Geliebte Mama,

heut‘ vor einem Jahr an Deinem letzten Tag hier auf Erden hast Du mich Dich bis zuletzt begleiten lassen.
Dafür bin ich Dir unendlich dankbar. Niemals hätte ich es mir verzeihen können, wärst Du ohne mich an Deiner Seite ganz alleine gegangen. Hast Du gespürt, wie sehr ich diesen Abschied brauchte oder hast Du nur darauf gewartet, daß ich endlich sage, daß ich Dich gehen lasse? Hab‘ mir selbst nie Gedanken darum gemacht, daß Du könntest gehen ohne mich – hab ich gespürt, daß das nie würd‘ passier’n?

Als ich zu Dir kam, ging es Dir schon sehr schlecht, das Krankenhaus hatte schon nach mir telefoniert, weil man meinte, daß die Krankensalbung vorgezogen werden müsse – geplant war sie für 16:00 Uhr. Als das Krankenhaus anrief, wunderte sich J., daß ich noch nicht da war. Ich war noch tanken, weil ich dachte, daß es in den nächsten Tagen viel Fahrerei geben würde. Ich glaube, nein ich weiß, wir beide hatten schon Tage zuvor gespürt, daß an diesem Tag Dein Tag X sein würd‘.

Als ich J. sagte, daß die Krankensalbung vorgezogen wird, ist er sofort gekommen, hat daran teilgenommen – stand uns beiden so tapfer zur Seite. Nie zuvor hat er solches Leid erlebt, solange hat er nicht glauben wollen, daß alle Hoffnung längst verloren ist. Nur wenige Tage zuvor hatte er gemeint, sich langsam mit dem Gedanken auseinandersetzen zu müssen, daß Du sterben wirst.

Ich weiß nicht, ob Du verstanden hast, warum ich J. dann aus dem Zimmer schickte, als Deine letzten Minuten anbrachen, aber ich wollte, daß wir beide diesen Teil des Weges gemeinsam ganz alleine gehen – das war einzig und allein nur unser beider Moment. Wollt‘ aber auch nicht, daß J. den Schmerz des Moments erlebt – er mochte Dich doch so sehr – Du warst für ihn die weltbeste (Schwieger-)Mama. Um meinetwillen wollte J. im Zimmer bleiben – verzeih, daß ich ihn schließlich, nach mehrmaliger Aufforderung, etwas energisch rausschickte.

Und konntest Du mir noch verzeihen, daß ich Dir noch ein letztes Mal den Schleim absaugen ließ. Warst bereits im Leberkoma, doch mit letzter Kraft wehrtest Du Dich dagegen. Minuten später ein letzter schwerer Atemzug getan, ich tat nichts, saß an Deiner Seite und wartete nur, daß Du in Frieden gingst. Nichts und niemand sollte Dich noch zurückhalten, ich wollte nur, daß Du friedlich und sicher hinübergehst.

Am Fuße Deines Bettes stellte ich mir Deinen Geist vor, wie er auf Deine gezeichnete Hülle und mich mit einem so wärmenden, liebevollen und doch auch traurigem Lächeln schaute und mir so zu verstehen gab ‘Es ist alles gut‘. Ich sah tatsächlich dorthin, verabschiedete mich von Dir. Oh, wie hättest Du zu Lebzeiten in dem Moment über mich, den absoluten Realisten, gelacht.

Mama, in diesen Minuten empfand ich tiefsten Frieden, ich spürte nicht wirklich Schmerz nur diesen unendlichen, inneren Frieden. Ich weiß nicht, wieviel Zeit verging bis ich schließlich klingelte. Als die Schwestern kamen, sagte ich nur ‚Sie atmet nicht mehr.‘ - im Bett nur noch eine Körperhülle verlassen von Deiner Seele.

W. hatte es nicht mehr rechtzeitig geschafft, aber als er hörte wie schlecht es Dir ging, hatte er bei der Arbeit alles stehen und fallen lassen. Doch als er dann endlich da war, warst Du schon für immer eingeschlafen.
Mama, wie nie zuvor nahm er mich in den Arm – das war wirklich tröstlich. Ich wünschte, das hättest Du noch erlebt. Warum mußtest Du erst sterben, damit ich meinen Bruder wieder fand?

Mama, heute mit soviel Abstand zu den Erlebnissen jener Tage frag‘ ich mich immer wieder mal, ob Du nicht doch lieber zuhause gestorben wärst und ob Du nur wegen mir nichts sagtest? Und Mama, hätte ich Dir die Hand halten soll’n im Moment Deines Geh’ns und hättest Du ein letztes Mal meine Hand wenn auch nur leicht drücken oder auch nur spüren wollen? Ich streichelte Dir sanft über den Arm und strich Dir leicht über die Stirn. All die Tage zuvor hielt ich immer wieder Deine Hand, doch warum nur nicht auch in dem Moment? Mama, hab‘ ich Dir damit verwehrt, Dich wahrlich zu begleiten zur letzten großen Reise?

Manche Fragen bleiben mir, auf die ich nie Deine Antwort hör‘ und sie manchmal auch nicht im Herzen zu spüren glaube – wir verstanden uns wortlos, tatsächlich ich kenn‘ Deine Antwort tief in mir, doch manchmal lassen mich diese zwei Fragen noch heute immer wieder mal daran zweifeln, daß ich Dich wirklich gut begleitet habe an diesem Tag, heute vor einem Jahr?

Mama, semper amo te!
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