Thema: Denkfehler?
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Alt 12.08.2012, 15:45
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: Denkfehler?

Hallo Aquintos, ihr Anderen,

ich bin ein solcher, wie ihr ihn bereits verloren habt oder besser, der noch "übrig" ist. Vater zweier Töchter, Opa zweier Enkel und zur Zeit sogar nochmal werdender Opa.

Nach dem Tod meiner Frau begann eine verd... schwere Zeit. Nicht nur für mich, für die ganze Familie. Was ich recht früh lernte war, dass die Trauer meiner Familie eine ganz andere war als die meine. In Grenzsituationen ist man sich meist der Nächste und es hat eine ganze Zeit gedauert bis ich zumindest erahnen konnte, wie sie ihre Trauer erleben und ausleben. Eine geraume Zeit habe ich mich sogar eingeigelt, mich von den Anderen abgeschottet, mehr oder weniger unbewusst den Kontakt zu ihnen auf ein Minimum beschränkt.

Ich war alleine, ich wollte alleine sein und in meiner Trauer baden. Und ich wollte meine Trauer be- und verarbeiten. Für mich alleine. Naja, fast. Es gab und gibt hier viele liebe und tolle Menschen, welche mir dabei geholfen haben und wir als Familie natürlich auch. Immer mal wieder hatten wir Gespräche und so hat sich unser Verhältnis irgendwann wieder normalisiert. Mehr sogar inzwischen, es ist besser als je zuvor.

Missverständnisse mussten zuerst mal von allen Beteiligten erkannt werden. Erst dann kann man sie ausräumen. Wie so schön geschrieben, die Kette war zerrissen. Das fehlende Glied ist nicht zu ersetzen, doch es musste überbrückt und letztendlich die Kette wieder geschlossen werden. Ich selber musste meine Stellung im Leben, innerhalb der Familie und mein Verhältnis zu meinen Kindern neu definieren. Mich selbst neu definieren. Ich trat ihnen gegenüber plötzlich nicht mehr als Wir, als Paar, als Eltern auf, sondern einzig als Vater und musste versuchen, das ihnen auch verständlich zu machen. Ich musste meine Kinder selbst überdenken.

Auch für sie war es nicht anders. Jedoch eben nur ähnlich. Noch nie zuvor hatten sie mich als Einzelmenschen erfahren. Immer nur als Teil ihres Elternpaares. Auch sie mussten sich neu orientieren im Leben in vieler Hinsicht und sie mussten einen neuen Menschen kennenlernen: ihren Vater. Der sich zudem, durch den Tot seiner Frau genau wie sie durch den Tot ihrer Mutter, teilweise grundlegend verändert hat.

Liebe untereinander, ja, immer. Respekt voreinander. Schon, irgendwie. Lange Zeit auf wackligen Füßen. Denn das Warum stimmte nicht mehr so ganz und musste neu überdacht und gefunden werden. Und die Kinder sehen ihre Mutter immer als anderen Menschen als der Vater seine Frau. Obwohl Beides der gleiche Mensch ist. Das alles geht nicht von heute auf morgen. Das braucht Zeit und läuft zum großen Teil auch gar nicht bewusst ab.

Wenn man über eine Beziehung nachdenkt, dann sollte man sich prinzipiell über verschieden Dinge klar werden:

Will ich diese Beziehung überhaupt? In deinem Fall, Aquintos, ein klares ja. Im Falle deiner Muter auch, so wie man das lesen kann.

Auf welchen Füßen sollte diese Beziehung stehen? Das Minimum: Respekt. Ohne den geht gar nichts. Um so besser, wenn, wie in deiner Situation, noch Liebe hinzu kommt. Über deine Mutter kann ich da nichts beurteilen. Eine Beziehung kann lebensfüllend funktionieren auch ohne Liebe, jedoch niemals ohne gegenseitigen Respekt. Es sei denn, eine Seite lässt sich versklaven. Das will eigentlich niemand.

Du hast also ein gehöriges Päckchen zu schultern. Du trauerst um deinen Vater, musst dich neu definieren, dein Leben in den Griff bekommen und trägst Verantwortung für deine Mutter. Vor allem willst du die Beziehung zu deiner Mutter aufrecht erhalten, willst sie festigen. Eine Beziehung, welche durch den Tod deines Vaters und gleichzeitig ihres Mannes, nicht mehr das sein kann, was sie mal war. Es wird auf jeden Fall eine neue Beziehung. Da beißt, meiner Erfahrung nach, keine Maus einen Faden ab.

Ihr habt da Beide was zu tun. Du musst dir klar sein, welcher Art diese Beziehung sein soll und dir gleichzeitig Respekt von Seiten deiner Mutter verschaffen. Deine Mutter wird ihre Trauer für sich annehmen und Respekt vor dir entwickeln müssen. Dich nicht nur als pflichterfüllende Tochter sehen, sondern auch als ganzen, eigenständigen Menschen respektieren.

Niemand muss meine Gedanken zu diesem Thema eins zu eins übernehmen. Es genügt mir, wenn sie dich zum Nachdenken anregen und du so deinen/euren Weg findest. Packe es an. Du kannst das schaffen. Ihr könnt das schaffen. Mal unter uns .... auch ich bin mir bei dieser Unterhaltung über so einiges für und über mich klar geworden. Danke, auch wenn das sicher nicht deine Absicht war.


Einen schönen Sonntag euch Beiden,

Helmut
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Geändert von HelmutL (12.08.2012 um 15:47 Uhr) Grund: Rechtschreibung :)
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