Thema: Was tun?
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Alt 23.06.2005, 09:59
Gast
 
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Standard Es ist so weit

Dienstag um 22 Uhr bekamen wir DER entscheidene Anruf.
Momi liegt im sterben.
Ich glaube so schnell waren wir nie aus dem Hause gegangen.
Unterwegs kamen alle Erinnerungen an ihr wieder hoch. Die Gute und auch die "Schlechte". Aber die "Schlechten" waren nicht mehr von Bedeutung. Ich hatte sie gestrichen.
Anfangs schenkte sie mir wenig Beachtung. Sahen uns nur an Festtage und an Geburtstage. Auch kam sie nie zu uns ausser wir hatten Geburtstag. Auch zeigte sie es durch ihre Geschenke...
Erst mit den Jahren kam es zu eine kleine Ernäherung.Konnte wenigstens über allgemeine und alltägliche Sachen reden. Nie konnte ich mit ihr ernsthaft reden. Aber zu uns kam sie nie.
Ich bin ihr nicht böse und sie musst sich auch nicht entschuldigen... Es war nun mal so...
Als wir sie sahen, waren wir erschrocken. Wir erkannten sie fast nicht mehr. Sie war Total abgemagert. Sie hatte so ein schmalles Gesicht und ihre Augen waren sooooooooo gross und geschwollen. Sie ass und trank nichts mehr. Ihr Atem war schwer und aber langsam.
Sie klagte schon den ganzen Tag dass es ihr nicht wohl war. Am Abend bekam sie Atemnot. Der Hausarzt konnte ihr nur noch Morfium geben. Er meinte dass sie bis spätestens am nächsten Tag noch leben würde.
Mein Mann und ihr Schwester(Agnès), ihr Mann und ihre ältesten Kindern(18 und 20), mein Sohn und ich hielten die ganze Nacht Wache. Keiner konnte in dieser Nacht schlafen.Keiner wollte verseumen sie in den letzten Stunden zu begleiten und noch ein letztes Mal ihre Nähe spüren.
Taschentücher liegen überall rum. Immer wieder flossen Tränen. Agnès hatte es am schwersten.Sie hatte immer und ihre Kindern(4, im Ganzen) ein sehr enges Verhältnis zu ihr. Da sie auch im gleichen Ortschaft wohnen.
Die Nacht ging ruhig vorbei. Alle vier Stunden sollte sie eine dosis morfium bekommen. Nachspritzen war aber nicht nötig. Momi schlief ruhig die ganze Nacht.
Am Morgen öffnete sie sogar ab und zu die grosse Augen. Aber sie waren so leer. Sie zeigten keine Reaktion wenn man sie ansprach.
Um 8 Uhr kam ihre zweite Tochter Suzanne aus dem Wallis( Kanton Süd-westlich der Schweiz) angereist. Und Tränen fliessen wieder von allen Seiten. Sie kam alleine. Ihr Mann musste arbeiten und die Kindern(4) waren bei einer Freundin geblieben.Die Familie war fast komplett.
Von einem Hospiz für sterbende und unheilbare Krebs kranke Leute kam um 9 Uhr eine Pflegerin. sie konnte nicht viel tun. sie machte noch ein paar Morfiumspritzen bereit und Kochsalzlösung zu spülen bereit. Gab uns ein paar Tipps...
Und dann plötzlich machte Momi mehrmals, die Augen auf. Schien auch wach zu sein. Sie wollte sitzen.
Es kam mir vor dass sie von den "Toten" auferstanden ist. Mit viel Mühe und kaum zu verstehen konnte sie sogar noch kurz auf Fragen antworten. Es ging ihr "gut". Sie blieb so sitzend ca. ein viertel Stunden krümmend am Bett. Das Atem fiel ihr aber schwer.
Darauf hin legte sie sich mit Hilfe wieder hin und schlief ein. Auch in diesem Moment war eine Spritze nicht nötig.
Kurz darauf kam der Pfarrer und gab ihr die letzte Ölung. Dieser Pfarrer würde auch ihre Bestattung leiten.
Der Morgen lief sonst sehr ruhig. Sie schlief und war ruhig. Erst um 12 Uhr bekam sie Atembeschwerden. Sie öffnete weit ihr Mund auf, holte tief Luft und die Atmung ging schneller. Agnès gab ihr eine halbe Dosis Morfium, dass für Atemnot vorgesehen war. Die sollte nach ca.10 Minuten Wirkung zeigen. Es war aber nicht der Fall. Ich drängte Agnès die zusätzlich geschriebene Demesta zugeben. Das wollte sie aber nicht. Ich bat ihr der Arzt anzurufen um zu wissen ob eine zweite halbe Dosis eingegeben werden kann. Wollte sie auch nicht.
Ich war stock sauer. Auch wollte sie am Tag zuvor kein Pfarrer kommen lassen. Sie war vor Jahren aus der Kirche ausgetretten und meinte nur dass auch wenn ein Pfarrer nicht da ist, wäre Momi mit Gott und Gott mit ihr. Das stimmt. Aber als Katholisch gehört einfach die letzte Ölung dazu. Und das konnte sie nicht verstehen. Ich ging zu Bopi (der Übername vom Schwiegervater) und trängte ein Pfarrer zuzulassen. Bopi überlegte nicht lange. Er rief den Pfarrer an.
Leider musste ich um 13 Uhr weggehen. Mein Mann hielt mich aber in meiner Abwesenheit auf dem Laufenden. Um 15 Uhr gab es noch keine Änderung. Sie hatte immer noch Mühe mit dem Atmen. Um 15 Uhr 45 fuhr ich wieder zu Momi. Als ich rein kam, kam mein Mann mir entgegen und sagte mir dass es so weit ist... Momi stirbt.
Ihre beste Freundin war auch da mit ihrem Mann. Alle waren in Tränen. Momi atmete tief aber mit grosse Abstände. Ihr Körper war aber ruhig fast, entspannt.Zum Glück. Sie hatte immer Angst bein Ersticken sterben zu müssen. Ich musste sofort zu meinem Sohn gehen. Er war zur Arbeit gegangen nachdem Momi am Morgen doch ruhig schlief. Ich wollte meinem Sohn nicht zu lassen dass er sich nicht von Momi verabschieden kann.Es war reine Hetze. "Hoffentlich kommen wir nicht zu spät" dachte ich die ganze Zeit.
Aber Momi hat auf Philippe gewartet. Er konnte sich verabschieden.
Die Atmung ging immer langsamer und langsamer. Momi war entspannt und schlief ruhig. Um 16 Uhr 55 war es so weit... Sie nahm ihr letzter Atemzug und... Nichts mehr. Es war eine unheimliche Stille.
Alle hofften auf dem nächsten Atemzug... Aber keins kam mehr... Es war vorbei. Bopi sagte immer wieder "Momi geht einfach so". Seit Gestern Abend kam immer wieder dieser Satz und jedesmal haute es mir um. Weil ich dann an meinem Bruder dachte. Er ist auch einfach gegangen...Einfach so... Ohne sich zu verabschieden.Er war erst 22 und ich 18.
Momi ist gegangen ganz leise, ohne Schmerz, in aller Ruhe.
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