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Alt 12.03.2010, 12:44
Stefans Stefans ist offline
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Standard AW: Zuhause verstorben

Hallo Mollie,

ich empfinde das ähnlich wie du, da gibt es einige Parallelen. Meine Frau hatte auch das Glück, Zuhause sterben zu können, so wie sie das wollte.

Sie lag lange in der Klinik, und es war klar, dass sie sterben wird. Die letzte Chemo wurde abgebrochen, erfolglos, die Metas wuchsen weiter. Sie wollte keine Behandlung mehr, ausser der palliativen. Essen konnte sie nicht mehr, die künstliche Ernährung über den Port hat sie abgesetzt, vertrug sie nicht, musste davon nur dauern kotzen. Also war klar, dass sie in absehbarer Zeit verhungern wird (hatte eh schon 30 kg abgenommen), wenn der Krebs nicht schneller ist. Also nur noch per Port Flüssigkeit, Morphiumpumpe und ein paar Medis gegen Übelkeit usw.

Zitat:
Zitat von mollie Beitrag anzeigen
was wir damals nicht geahnt hatten war, dass wir es vielleicht nicht schaffen würden, sie zu hause zu pflegen und welch ein kampf es um jedes einzelne hilfsmittel geben würde. nicht, dass wir es nicht bekommen hätten...aber es dauerte wochen und so haben wir letztlich alles selbst organisiert und gezahlt (welch glück, dass wir das konnten).
Genau so war das bei uns auch, leider. Klar, die Kasse zahlt alles, kein Problem. Aber bis die Bürokratie mal so weit ist, kann es gut sein, dass der Patient inzwischen längst tot ist. Bei meiner Frau hing es an der mobilen Morphium-Pumpe. Sie lag wochenlang "sinnlos" in der Klinik. Nur noch palliativ behandelt, medikamentös gut eingestellt, und sie fragte jeden Tag nur noch: "Wann darf ich endlich nach Hause". Antwort: "Wenn die Morphium-Pumpe für dich beantragt, geprüft, bewilligt, bestellt und geliefert ist." Das kann noch dauern. Tat es dann ja auch. Zwar hatte meine Frau in der Klinik schon seit Wochen das gleiche Modell, und das funktionierte. Aber aus formal-korrekten-bürokratisch-finanzierungs-zuständigkeits-technischen Gründen darf ja niemand die Pumpe, die in der Klinik verwendet wird, dem Patienten leihweise mit nach Hause geben. Auch wenn die in der Klinik hunderte davon haben und es nur eine Frage von wenigen Wochen ist, bis sie ihr Gerät zurück kriegen. Nein, sowas geht natürlich nicht, weil die Versicherung und der Gesetzgeber.... blablablaetcpp. Bevor die Klinik einem Todkranken seinen letzten Wunsch erfüllt, Zuhause sterben zu dürfen, pocht sie lieber formal korrekt auf das "das ist aber unsere Schmerzmittelpumpe, die dürfen wir nicht ausser Haus geben" - und läßt die Patienten gegen ihren Willen im Mehrbettzimmer einsam krepieren, weil irgendeine Vorschrift (bei der es praktisch niemanden interessiert, wenn sie übertreten wird) eine humane Lösung verhindert.

Mit den Hilfsmitteln war es bei uns genau so wie bei dir. Als die Morphium-Pumpe für meine Frau endlich da war und der Entlassungstermin aus der Klinik feststand, war Zuhause nichts. Kein Galgen, keine Dekubitus-Matratze, kein WC-Stuhl, kein gar nichts. Die Kasse sagt: das ist bewilligt, kein Problem. Der Lieferant vor Ort sagt: wir haben noch keine Kostenübernahmebescheinigung der Kasse, wir dürfen nicht liefern. Ich sage: liefern sie, und zwar sofort. Morgen kommt eine Frau nach Hause. Mir scheissegal, ob das dann die Kasse bezahlt oder ich selbst. Kann ich mir zum Glück leisten.

Zitat:
ich bin unendlich dankbar, dass wir ihr ihren wunsch erfüllen konnten. unendlich dankbar bin ich auch meinem papa, meinem bruder und meinen kindern. ohne sie wäre es nicht möglich gewesen.
Das gleiche hier. Der Pflegedienst war zwar gut, aber vieles konnte er (mangels Kostenübernahme) nicht tun, und anderes durfte er nicht tun (wie intravenös Medikamente verabreichen). Meine Frau war nur wenige Wochen zum Sterben Zuhause, aber ich war fast nie allein. Meine Schwägerin war da, hat unbezahlten Urlaub genommen, Freunde waren tagelang da, allein hätte ich das niemals geschafft.

Es war eine extrem stressige Zeit. Und das schlimmste war für mich nicht die Sorge um und die Pflege meiner Frau, sondern der ständige Kampf gegen bürokratische Windmühlen. Wenn man 10 mal täglich telefonieren muss wegen irgendeinem Sche*ssdreck, mit Kasse, Klinik, Lieferant, und alle immer das selbe sagen: ja, tut uns schrecklich leid, aber solange wir Formular xyz nicht vorliegen haben, können wir leider gar nichts, sie verstehen, der Gesetzgeber... und nichts geht voran - dann ist man irgendwann fertig mit den Nerven.

Dass wir es trotzdem geschafft haben, dass meine Frau Zuhause sterben durfte, zwar nicht "friedlich", aber in Ruhe und in ihrer gewohnten Umgebung, die sie liebte, mit den Menschen, die ihr wichtig waren... das grenzt schon fast an ein Wunder. Weil die Gesundheitsbürokratie alles getan hat, um das zu verhindern Nein, sicher nicht böswillig. Sondern einfach 100%ig bürokratisch, völlig desinteressiert an der Sache und absolut formal korrekt den Vorschriften folgend.

So ist das halt in Deutschland. Geld ist kein Problem, die Kasse zahlt schon. Aber die Bürokratie ist endlos und unmenschlich. Vorsicht, jetzt kommt ein völlig abwegiger und unlauterer Vergleich: aber als meine Frau im Sterben lag, mit dem ganzen Ärger drumrum, war mir plötzlich etwas klar, was ich im Geschichtsunterricht nie verstanden habe: wieso man in Deutschland vor langer Zeit Mio Menschen ausgrenzen, diskriminieren, verhaften, quälen und schließlich vergasen konnte. Ohne dass einer was "gemerkt" hat, und ohne dass nachher irgendeiner Schuld daran war. Klar, das war bürokratisch perfekt organisiert. Jeder hat nur das getan, was "der Gesetzgeber" von ihm verlangt hat. Menschliche Schicksale sind Bürokraten egal. Hauptsache, das Formular B2x ist da und von einem Vorgesetzten unterschrieben. Dann leitet man den Antrag halt an die zuständige Stelle weiter. Wenn nicht, dann nicht. Was das für die Betroffenen heisst, wird ausgeblendet. Kann man nichts für. Wir sind ja alle nur kleine Rädchen in einer großen Maschine, und wir persönlich sind niemals für irgendetwas verantwortlich.

Viele Grüße,
Stefan
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