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Alt 19.01.2005, 09:54
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Christian Christian ist offline
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Standard Sentinel-Lymphknoten

Hier noch mal die Erklärung zu den Sentinel-Lymphknoten oder auch
Wächterlymphknoten:

Krebszellen breiten sich entweder über die Blutgefäße oder über das Lymphsystem im Körper aus. Sind die Lymphknoten in der Nähe des Tumors befallen, gilt dies gemeinhin als ungünstiges Zeichen und verlangt eine aggressivere Behandlung. Jedoch ist in vielen Fällen unklar, in welchen Lymphknoten man nach derartig frühen Tumoransiedelungen suchen muß. Denn der Verlauf der Lymphgefäße ist nicht genau festgelegt und längst nicht bei jedem Menschen gleich. Unmittelbar vor der Front der zahlreichen Lymphknoten, die ein Gebiet abschirmen, gibt es aber meist einen Vorposten, der sich als erster mit dem Feind auseinandersetzen muß. Anfang der neunziger Jahre wurden Verfahren entwickelt, diesen "Sentinel-Lymphknoten" auszumachen. Insbesondere für die Behandlung des schwarzen Hautkrebses, des Melanoms, hat das Aufspüren des Wächter-Lymphknotens inzwischen große Bedeutung erlangt.

Seit mehr als hundert Jahren gibt es Auseinandersetzungen darüber, wie man Patienten, deren Hautkrebs bereits tief ins Gewebe eingedrungen ist, am besten behandelt. Ob es Vorteile für das Überleben bringt, wenn man alle umliegenden Lymphknoten ausräumt, wurde nie zweifelsfrei geklärt. Ein solch radikaler Eingriff ist nicht selten mit Komplikationen behaftet- Schwellungen (Ödeme), Wundinfektionen, vorübergehende Nervenschäden und das Absterben ganzer Hautlappen können die Folge sein. Zudem ist der Eingriff meistens unnötig, denn nur in einem Fünftel der Fälle sind die für die Drainage des Tumorgebietes zuständigen Lymphknoten auch tatsächlich befallen.

Läßt sich der Wächter-Lymphknoten ausmachen, kann man vielen Patienten den großen Eingriff mitsamt Komplikationen ersparen. Nach derzeitigem Kenntnisstand läßt der Befall dieses einen Lymphknotens äußerst verläßlich darauf schließen, ob auch schon in den zahlreichen nachgeschalteten Knoten Krebszellen nisten und diese folglich entfernt werden sollten. Außerdem hat man inzwischen herausgefunden, daß sich die Suche nach den Wächter-Lymphknoten - manchmal sind es mehrere - auch in anderer Hinsicht lohnt. So wurde entdeckt, daß Zellen eines Melanoms am Rücken gänzlich unvermutet auch direkt in Lymphknoten innerhalb des Bauchraums abfließen. Die exakte Darstellung der Lymphabflußwege des Tumors erlaubt somit eine gezieltere Suche nach weiteren Herden.

Ganz ähnlich verhält es sich beim Brustkrebs. Auch hier gilt es abzuwägen, ob bei Tumoren bestimmter Größe die Lymphknoten in der Achselhöhle ganz oder teilweise entfernt werden sollten. Wie beim Melanom profitieren nur wenige Kranke davon, und die übrigen müssen unnötigerweise Komplikationen wie Annschwellungen hinnehmen. Offenbar gibt auch beim Brustkrebs der Wächter-Lymphknoten verläßlich Auskunft, ob mit einem weiteren Befall der Achselhöhle gerechnet werden muß. Experten in Amerika und Europa fordern inzwischen, die Biopsie des Sentinel-Lymphknotens schon jetzt zum Standardverfahren in der Brustchirurgie zu machen. Andere warnen indessen vor einer routinemäßigen Anwendung. Denn der endgültige Beweis, daß das neue Verfahren für den Patienten tatsächlich vorteilhafter ist als die herkömmliche Vorgehensweise, steht noch aus.

Überdies ist unklar, wie man genau vorgehen soll. Zu Beginn der Sentinel-Lymphknotenchirurgie wurde ein blauer Farbstoff zur Markierung der Wächterlymphknoten verwendet. Um größere Genauigkeit zu erzielen, spritzt man inzwischen radioaktiv markierte Substanzen in den Tumorherd. Diese fließen bevorzugt in den Wächterlymphknoten ab, der sich dann durch die Strahlung verrät. Jedoch ist noch ungeklärt, ob eine solche Messung während der Operation oder bereits vorher erfolgen sollte und ob man die verschiedenen Verfahren am besten kombiniert. Der Erfolg hängt zudem davon ab, wie gründlich der Pathologe das entnommene Material untersucht. Es gibt Hinweise, daß Rückfalle, die in der Nähe des entnommenen Lymphknotens auftraten, auf Fehlurteile zurückzuführen sind. In dem zunächst als tumorfrei bewerteten Knoten wurden bei sorgfaltigen Nachuntersuchungen doch noch Krebszellen entdeckt.

Schließlich sind Fälle beschrieben, in denen die Krebszellen die Wachposten an vorderster Front umgehen und Lymphknoten der zweiten und dritten Linie befallen. Dies könnte ebenfalls ein Grund dafür sein, daß es trotz tumorfreien Wächterlymphknotens manchmal zu Rückfallen kommt. Solche Einschränkungen schmälern indes kaum die Hoffnungen, die man in die Sentinel-Lymphknotenchirurgie setzt. Die meisten Arbeitsgruppen befassen sich mit dem Melanom und dem Brustkrebs. Allerdings gibt es vereinzelt schon Versuche, das neue Verfahren auch bei anderen Tumorformen anzuwenden. Dazu zählen Schilddrüsenkarzinome, Penistumoren sowie Geschwulste der Schleimhäute in Nase, Mund und Rachen. Für Patienten mit Darmkrebs wurde eine Variante der Sentinel-Lymphknotenchirugie entwickelt. Denn man nimmt an, daß die vielen Rückfalle nach Operationen auf nicht sichtbare Krebszellen in Lymphknoten zurückzuführen sind. Die vorbeugende radikale Entfernung möglichst vieler Lymphknotengruppen geht aber mit Komplikationen einher. Ob durch ein solches Vorgehen echte Überlebensvorteile zu erzielen sind, ist überdies nicht gesichert. Also kommt es auch bei diesem Krebs darauf an, besser zu unterscheiden, welchen Weg die Krebszellen nehmen.

Ein amerikanisches Forscherteam hat ein neues Verfahren getestet, das helfen soll, dieses Dilemma zu überwinden. Wochen vor der Operation erhielten die Patienten radioaktiv markierte Antikörper, die gegen bestimmte Antigene der Tumorzellen gerichtet sind. Sie reichern sich nicht allein in den Lymphknoten an, in denen intakte Krebszellen nisten. Vielmehr findet man auch in solchen Lymphknoten eine höhere Strahlung, in denen Bruchstücke davon verborgen sind. Gerade dort soll eine Ursache dafür liegen, daß die Immunantwort des Körpers gegen den Krebs unterdrückt wird. Entfernt man solche Knoten ebenfalls, so stärkt das zusätzlich die Abwehr. Ein solches Vorgehen führt der amerikanischen Untersuchung zufolge zu einer deutlich günstigeren Überlebensquote als die herkömmlichen Verfahren. Ein verläßliches Urteil ist aber noch nicht möglich.

Viele Grüße von Christian
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