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Alt 12.01.2009, 14:12
Stefans Stefans ist offline
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Registriert seit: 27.01.2007
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Standard AW: An alle Hinterbliebene...

Hallo Chris,

Zitat:
Zitat von mascha2600 Beitrag anzeigen
Was ich hier auch nicht verstehe, ist einfach, dass der KK ja eine Plattform sein soll, auf welcher die User Gefühle, Gedanken, oder auch Fragen etc. austauschen können.
Das Thema Sterben ist sehr sensibel. Auch (oder besser: besonders) hier. Nicht nur die Sterbephase, sondern auch die Zeit davor. Die vom Erhalt des Todesurteils / der "Restlebenszeitprognose" bis zum Tod. Und Angehörige tun sich damit oft sehr viel schwerer als die Betroffenen selbst - die nun leider oft nicht mehr in der Lage sind, sich hier zu äußern.

Zitat:
Zitat von Karin B. Beitrag anzeigen
Außerdem bekam ich einige PN`S, dass das geschmacklos sei, und ich würde mit so einer Frage bei vielen die Hoffnung nehmen.
Ich habe da ähnlich traurige Erfahrungen gemacht. Vor langer Zeit war ich so naiv, hier in den KK-Foren im Lungenkrebs-Forum eine Frage zu stellen, die mir eigentlich recht harmlos schien. Nämlich, ob jemand der Anwesenden die Krebsbehandlung bei Lungenkrebs für sich abgelehnt hat (bzw. einen Angehörigen kennt, der das getan hat). Die Überlebensstatistik bei diesem Krebs ist nunmal miserabel, und in dem Zusammenhang hat mich interessiert, ob sich jemand bewusst dafür entschieden hat, seine letzten Lebensmonate lieber Zuhause zu verbringen statt in Kliniken mit Chemo usw.

Gegen den Sturm der Entrüstung, der darauf hin losbrach, ist die Entwicklung dieses threads nur ein laues Lüftchen im Wasserglas. Die Antworten öffentlich und per mail waren ziemlich drastisch. Was mir immer noch nachhaltig in Erinnerung ist, ist die Antwort einer Angehörigen, die verkündete: WIR WOLLEN LEBEN !!! Und dieses Leben-Wollen schloß offensichtlich ein, das über das Sterben-Müssen nicht gesprochen werden darf.

Das hat mich sehr gewundert, weil ich solche Tabus aus dem Brustkrebs-Forum nicht kannte. Und dann ist mir irgendwann aufgefallen, warum das so ist. Weil Betroffene mit einem Krebs wie BK, mit dem frau noch recht lange selbständig leben kann, und dessen Heilungschancen sehr gut sind, sich überwiegend noch selbst in den Foren zu Wort melden. In Foren zu Krebsarten, die häufig schnell tödlich verlaufen (wie LK), finden sich dagegen ganz überwiegend Angehörige.

Und die Angehörigen sind meiner Erfahrung nach sehr viel empfindlicher gegenüber der Wahrheit als die Betroffenen selbst. Ist mir auch nachvollziehbar. Wenn meine Frau gerade an LK stirbt, und ich genau weiss, dass sie nur noch 3 Monate hat... was würde ich dann lieber tun, als die Augen davor zu schließen, WIR WOLLEN LEBEN !!! (wobei ich mit 'wir' natürlich 'ich' als Hinterbliebener meine...) zu rufen und sämtliche Themen, die mir 'die Hoffnung nehmen' könnten, sofort in Grund und Boden zu verdammen. Und ich würde auch nichts davon lesen wollen, wie unschön das Sterben manchmal sein kann. Menschlich ist mir das sehr wohl nachvollziehbar.

Andererseits: tut sich wirklich jemand einen Gefallen, die Augen vor dem Unabwendbaren zu verschließen? Im BK-Forum hier gibt es einen riesig langen thread mit dem Titel "Die dümmsten Sprüche". Da findet sich mit schöner Regelmäßigkeit all das wieder, was Angehörigen und Umwelt einfällt, um sich die Lage schönzureden, statt sich mit der Realität auseinanderzusetzen. Wohlgemerkt: _nicht_ den Betroffenen, sondern den Angehörigen. All das, was meine Frau und ich uns in den letzten 2 Jahren auch zur Genüge haben anhören müssen. Da darf man den Mut nicht verliefen, der liebe Gott wird's schon richten, das wird schon alles nicht so schlimm, bloss nicht den Kopf hängen lassen, viele überleben das ja auch, da braucht man einfach Kampfeswillen... usw. usf. Bis hin zu ganz widerlich instinktlosen Äußerungen wie: wer Krebs hat ist selbst schuld, der hat wohl falsch / ungesund gelebt; schämen sie sich nicht, sich so todkrank in der Öffentlichkeit zu zeigen, was sollen die Leute da denken; du hast es gut, du musst morgen nicht zur Arbeit gehen, sondern kannst ausschlafen; im Rollstuhl rumgefahren werden möchte ich auch gerne mal; gib' doch deine Frau ins Heim, wieso belastest du dich damit; usw. usf.

Erst seit ich begriffen habe, welche Funktion solche Einstellungen und statements für Angehörige und Mitwelt haben, rege ich mich weniger darüber auf. Das sind einfach Schutzmechanismen, um so eine schreckliche Krankheit und die Konsequenzen, die man bei anderen mitunter hautnah miterleben muss, menschlich nicht an sich heranzulassen. Psychologen haben bestimmt Fachbegriffe für diese Strategie. Verständlich ist mir schon, dass viele Menschen - besonders Angehörige - Leid, Schmerz, Sterben, Tod, Trauer, Ohnmacht, Verzweiflung, Einsamkeit, Versagensängste, Schuldgefühle einfach verdrängen _müssen_. Weil sie sonst wahrscheinlich im Alltag ziemlich schnell zusammenbrechen würden. Sich der Wahrheit zu verschließen, ist mitunter vielleicht einfach lebens-notwendig. Weil es ganz individuelle Grenzen für das gibt, was ein Mensch ertragen kann.

Daraus mache ich niemandem einen Vorwurf. Böse werde ich nur, wenn manche Menschen andere, für die es die bessere Lösung ist, offen über etwas zu sprechen, was die Umwelt nur schwer ertragen kann, deswegen angreifen. Bzw., indem sie einen auf moralisch machen, ihnen über den Umweg von 'Sitte und Anstand' den Mund verbieten wollen. Nach dem Motto "muss doch nicht sein, über so unangenehme Dinge zu sprechen; will doch keiner lesen, und belastet nur und nimmt die Hoffnung". Nein, muss nicht sein, darüber zu sprechen. Ist aber auch nicht verboten, und manchen hilft es vielleicht sogar.

Und dass dieser thread trotz aller Widrigkeiten manchem hilft und das darüber Reden Erleichterung verschafft, das erfüllt mich mit Freude. Tabus brechen ist doch gar nicht so schlimm, wenn man merkt, dass auch zig andere das schon längst gerne getan hätten, sich aber nur nicht getraut haben. Und ich denke: sich zu trauen, das muss hier in dieser Atmoshpäre unter "Gleichgesinnten" niemand bereuen. Zum Glück!

Viele Grüße,
Stefan
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