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Alt 11.01.2009, 12:02
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Cee Cee ist offline
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Registriert seit: 02.08.2008
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Standard AW: An alle Hinterbliebene...

Hallo Stefan und @ll,

Du hast ja ziemlich heftige Erfahrungen gemacht im Zusammenhang mit KH und Bestatter Bei Deinem ersten Posting habe ich überlegt, ob ich dazu etwas schreiben möchte, da meine Erfahrung bei der Begleitung eines Familien angehörigen GANZ ANDERE waren. Dann aber dachte ich "ach, lies erstmal weiter..." Nunja, nun antworte ich doch, oder besser: ich erzähle mal von meinen Erfahrungen in Sachen Sterbebegleitung.

Mein liebster Onkel erkrankte Anfang 2007 sehr schwer am kleinzelligen Bronchialkarzinom. Ausgelöst durch eine Asbestose. Die Prognose lag bei einem Überleben von 9 bis 15 Monaten. Naja, halt die "gängige" Prognose in seinem Stadium. Wir waren natürlich alle geschockt, er war ja erst 67 Jahre alt. Seine Chemo und alle weiteren Behandlungen bekam er in einer Lungenfachklinik, deren Station dort palliativ ausgelegt ist. Als klar war, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit Weihnachten nicht mehr erleben würde, haben wir über viele Dinge geredet. Auch über das Sterben. Alles, was eine Schwester (meine Mum) sich nicht traute anzusprechen, tat ich, weil wir ein sehr inniges Verhältnis hatten. Er wollte im Krankenhaus sterben und seine Bestattung vorher mit gestalten. Ich ersparen mir jetzt alle Details zu Höhen und Tiefen, gesundheitliche Krisen und Therapien, weil das einfach enorm viel zu schreiben wäre. Mitte November ging es ihm dann sehr schlecht, er konnte sich kaum noch auf einem Stuhl im Sitzen aufrecht halten. Der Körper war enorm geschwächt von den Chemos und er hatte bereits in 4 Monaten um die 28 Kilo abgenommen.

Ich kontaktierte einen Bestatter. Und hatte enormes Glück, an den richtigen MENSCHEN zu geraten. Er kam dann zu uns ins Haus und regelte alles mit uns, hörte sich die Wünschen meines Onkels an und beriet uns ausführlich. Am nächsten Tag kam er wieder in KH, nun das letzte Mal. Eigentlich hätte er Termin zur Chemo gehabt, aber die wurde nun abgeblasen, weil das einfach keinen Sinn mehr gemacht hätte. Wochen zuvor sprach ich mit ihm, dass er jederzeit mit Chemo aufhören könne, weil es ihm bereits sehr schlecht ging. Aber, obwohl er um seinen Zustand wusste, hat er sich hoffnungsvoll dafür entschieden und so sein schreckliches Leid ertragen.

Mein Onkel kam also nun ins KH in ein 2-Bettzimmer. Als er dann aber unter der hohen Morphiumdosierung zu halluzinieren und zu randalieren anfing, in der zweiten Nacht dann schwer stürzte, sich eine Kopfverletzung zuzog und mit rausgerissenen Blutkonserven in seinem Gemisch aus Fäkalien und Blut gefunden wurde, hat man seinen Zimmernachbar verlegt. Das freie zweite Bett wurde nun uns zur freien Verfügung überlassen. Meine Mutter zog ins KH und blieb Tag und Nacht bei ihm. Man muss einen Menschen nicht nach Hause holen, damit er nicht alleine stirbt. Tagsüber waren wir immer zwischen 2 und 4 Leute, die da waren. Am dritten Tag kam die ganze Familie und verabschiedete sich, da konnte er bereits die Augen kaum noch öffnen, was aber eher am Morphium lag. Er war bereits auf dem Weg in eine andere Welt... Meine Mutter, meine Cousine und ich waren bis zum letzten Atemzug da. Er brauchte noch drei weitere Tage im Dämmerschlaf und mit Schnappatmung. Und am letzten Tag wurden die Zeichen des Todes deutlich; seine Haut wurde wächsern, das Wasser stieg rapide in den Oberkörper und in die Arme, die Organe versagten langsam ihren Dienst. Das Gesicht fiel ein und Mund und Nase wurden ganz spitz, ein weisses Dreieck bildete sich um Mund und Nase. Um die Mittagszeit schlief er ein. Er hatte vorher immer mal Atemaussetzer. Und dann atmete er einfach nicht mehr ein, sein Gesicht durchzuckte kurz ein schmerzhafter Ausdruck. Es war vorbei.

Kein Aufbäumen, kein Kaffeesatz-Erbrechen. Er wurde bis zum letzten Tag von den Pflegern mehrfach täglich gesäubert und wie ein normaler Mensch respektvoll gebettet und angesprochen. Wir hatten alle Zeit der Welt mit ihm und es war eine ausserordentlich friedliche Atmosphäre. Er wurde medikamentös so eingestellt, dass er "rüberschlief".

Unsere Erfahrung waren so positiv, da auch immer Ärzte mit uns sprachen, Personal unsere Fragen beantworteten. Und ich denke das liegt auch daran, dass diese Station im KH palliativ ausgerichtet war und deren Patienten alle früher oder später dort oder zuhause an ihren Erkrankungen sterben. Das Sterben gehört zum Alltag, was nicht heisst, dass dort abgefertigt wird, sondern ein professioneller und einfühlsamer Umgang mit den Erkrankten und Angehörigen stattfindet.

Als wir meinen Onkel ca. 4 Stunden nach seinem Tod dort zurück liessen war klar, dass ich auch so sterben wollte - wenn es denn irgendwann so weit ist. 9 Monate später erhielt ich meine Gebärmutterhalskrebs-Diagnose. Aber damit muss ich ja nicht in die Lungenfachklinik Und ich habe auch vor, damit alt zu werden - wenn es klappt

Das waren also meine Erfahrungen mit einer Sterbebegleitung. Und ich denke, dass man das nicht verallgemeinern kann, ob es schwierig und eklig ist. Sterben ist INDIVIDUELL. Ein Mensch stirbt, wir er gelebt hat. Manche können loslassen. Manche nicht. Zweitere ringen oft sehr schwer mit dem Tod. Die Verläufe sind krankheitsbedingt. Und soooo unterschiedlich. Wie die Menschen auch. Und als Sterbender und Angehöriger kann man nur dankbar sein, wenn man unter dem Ärzte/Pflegepersonal MENSCHEN findet, die einem helfend und unterstützend zur Seite stehen. Oder wenn man so ein Forum hat wie hier
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Liebe Grüße

Cee


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