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Alt 21.11.2008, 09:39
Tochter1980 Tochter1980 ist offline
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Standard AW: Wie lange dauert das Begreifen?

Guten morgen,

schneit es bei Euch auch so doll wie hier in Hamburg?
Die Flocken fangen an liegen zu bleiben, zumindest auf den Autos und den Wiesen.
Seid Ihr auch so empflindlich geworden? Mein Papa ist krank und ich habe wahnsinnige Angst und mache mir große Sorgen. Er hat seit gestern in den frühen Morgenstunden Magenschmerzen mit Krämpfen, Durchfall und Fieber. Bin gestern so schnell wie möglich zu ihm gefahren, weil ich ihn nicht alleine lassen wollte. Bin dann gegen sieben nach Hause gefahren als er ins Bett gegangen ist. aber die Sorgen haben mich nicht in Ruhe gelassen. Bin dann noch einmal um halbzehn mit Tee zu ihm gefahren um zu sehen wie es ihm geht. Keine Besserung. Heute morgen war ich vor der Arbeit auch noch einmal da, aber da war es im Haus noch alles dunkel (hat bei meinem Papa nichts zu sagen), wollte deswegen nicht reingehen. Habe gehofft er schläft und ich wollte ihn nicht wecken. Jetzt frag ich mich wann ich ihn anrufen kann. Weiß nicht was ich machen soll. Würde am liebsten zu ihm fahren, kann ich aber nicht, muss arbeiten. Hoffentlich sind die Schmerzen nicht mehr so stark wie gestern.

Habe große Angst und zeitweise male ich mir das Schlimmste aus. Kennt Ihr das auch? Ist das normal oder reagiere ich da überempfindlich?

@Ronnya: Ich verstehe Dich überhaupt nicht falsch. Ich verstehe Dich ganz richtig. Mir kamen auch schon die Gedanken, wie es wohl gewesen wäre, wenn es nur zwei Monate eher gewesen wäre. Konnte ich nicht. Hätte nicht gepasst. Es wäre zu viel Leben drumherum gewesen. Am liebsten hätte ich sie gar nicht gehen lassen. Am liebsten hätte ich sie immer noch bei mir, gesund, stark, mutig und liebevoll. So wie sie ist. Es ist egal wann ein geliebter Mensch stirbt, die Trauer ist gleich. Aber die dunkle Jahreszeit macht es vielleicht ein bisschen erträglicher. Wenn die Natur sich zum Winterschlaf zurückzieht, die Tiere Ihre Höhlen aufsuchen und das Leben langsamer, besinnlicher und ruhiger von Statten geht. Wenn man mehr beisammen sitzt und enger aneinanderrückt. Dann kommt es einem nicht so Widersprüchlich vor.

Im Moment kann ich meine früheren Beiträge noch nicht durchlesen. Später mal ja, bestimmt. Aber jetzt, ich weiß das in den Beiträgen von Hoffnung und alles nicht so schlimm, geschrieben habe. Von Selbstvorwürfen an mich, von Verzweiflung und vor allem von Unwissenheit zu Anfangs. Kann mich noch nicht überwinden, mir diese Gefühle wieder ins Gedächtnis zu rufen. Später mal.
Jetzt arbeiten wir uns ganz langsam auf Montag zu und das wir sie auf ihrem allerletzten und für uns schmerzvollsten weg begleiten werden.

Danke Ronnya, dass Du mich durch diese Zeit begleitest.

@Manu: Ja, dann ist es ja doch ein bisschen normal, dass die Ältesten die Aufgaben übernehmen.
Mama hatte auch immer alles im Blick und alle Termine im Kopf. Und die, die sie sich nicht merken konnte stehen im Kalender in der Küche. Tut weh ihre Handschrift zu sehen und gleichzeitig beruhigt es auch. Denn selbst jetzt hat sie noch ein bisschen die Organisation in unserer Familie. Ab nächstes Jahr schreibe ich den Kalender, dann wird alles ein bisschen anders. Aber ist auch nicht schlimm, denn ihre Handschrift werden wir immer sehen, denn seit 2003 hat sie die Kalender aufgehoben, weil sie die Bilder so schön findet und sie stehen in der Küche in der Essecke auf der Bank und dort werden sie auch bleiben.
Jeden Tag brennt zuhause eine Kerze für Mama. Am Mittwoch hat Papa die letzte Rose aus dem Garten abgeschnitten. Mamas Rosen. Die blüht jetzt in einer Vase für sie. Es ist immer eine Kerze und eine Rose, die auf dem Tisch stehen, denn Mama hat Kerzen und Rosen geliebt. Es hilft uns.
Auch neben dem Grabstein will Papa ein Rosenbäumchen pflanzen.

Danke für die Kraft, die Du mir immer sendest.

@Birgit: Danke das Du bei mir vorbeischaust und so liebe und tröstende Worte da lässt. Ja, wir haben sie aus Liebe gehen lassen, denn so hat sie uns erzogen, nicht zum Egoismus, der es gewesen wäre, hätten wir uns an sie geklammert. Was das Begreifen angeht, da hast Du wohl recht, begreifen vielleicht nie, aber annehmen, irgendwann.
Ich bleibe wie ich bin und gebe das weiter was Mama aus mir gemacht hat. Als kleines Kind bin ich immer schon hinter ihr hergelaufen und ihre Fussspuren getreten. Damals kamen sie mir so groß vor und ich musste immer hüpfen um dort hineinzukommen und sie hat sich immer umgedreht und gesagt, "Irgendwann brauchst Du nicht mehr hüpfen." Wenn ich daran denken schießen mir gleich wieder die Tränen in die Augen und ich sehe sie vor mir wie sie mich anlächelt mit all ihrer Liebe. Sie war so fantastisch.

Ich wünsche Dir von ganzem Herzen dass Du dem Unausweichlichem noch ganz lange ausweichen kannst.

Heute ist Freitag. Es ist ein bisschen heller als gestern und ein leichter weißer Film legt sich über die Stadt. Es ist klar, jetzt kommt der Winter. Die Menschen haben Tüten in der Hand und jeder geht ein Schritt langsamer. Es zeiht sich ein Geruch von Zimt, Orangen, Vanille und Glühwein durch die Straßen. Selbst der größte Muffelkopf hat plötzlich ein Lächeln im Gesicht, wenn er die leuchtenden Kinderaugen sieht, die sich von außen die Nasen an den Scheiben plattdrücken oder ihre Eltern am Arm durch die Spielzeuge zieht mit den rotglühenden Wangen und einem erwartungsvollen Blick in den Augen. Wenn man sich auf der Straße nicht kennt und dennoch anlächelt steht fest es kommt die Weihnachtszeit. Eine schöne Zeit, die ich immer geliebt habe und dieses Jahr fürchte.

Danke an alle
Susi
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In Erinnerung an unsere geliebte und starke Frau und Mama
*28.02.1958 +18.10.2008
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