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Alt 22.02.2007, 07:30
antje s. antje s. ist offline
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Standard AW: dinge, die mir angesichts des sterbeprozesses nicht aus dem kopf gehen

Hallo Steff,

auch mir gehen die letzen Wochen, Tage, Stunden, Minuten nicht mehr aus dem Kopf.
Mein Mann lag seit 2 Monaten im Krankenhaus, vorrangig nicht w/Leukämie, sondern den Begleiterscheinungen Wasser in Herz und Lunge, Lungenentzündung etc. Als er diese schweren Wochen überstanden hatte, wurde uns gesagt, daß nun schnellstens eine Knochenmarkstransplantation angegangen werden musste. Trotz geringer Chancen wurde ein passender Spender gefunden und eine Chemotherapie eingeleitet. Hierfür war mein Mann noch einmal 10 Tage zu Hause, um Kraft - sowohl psychisch als auch pysisch - zu tanken. Er hatte unglaubliche Angst vor dem Tod und davor, unser Zuhause nie wieder zu sehen. Er hat allerdings mit mir nur wenig darüber geredet, denn ich war nicht bereit dazu. Ich wollte darüber nicht nachdenken, denn es durfte ja nicht sein. Das bereue ich heute zutiefst. Ich habe das Gefühl, in in seiner Angst alleine gelassen zu haben.
Er war also wieder im Krankenhaus. Erste Woche Chemo gut, zweite Woche der Chemophase ok, dritte Woche wurde schlechter. Er konnte immer schlechter atmen, hat wieder Sauerstoff bekommen.
(Ich brauche nicht zu erwähnen, daß ich jeden Tag nach der Arbeit mehrere Stunden bei ihm war.)
An dem Sonntag konnte er nur noch aufrecht sitzen, im Liegen bekam er keine Luft mehr. Er konnte kaum einen Satz zu Ende reden und hat mich nach 2 Stunden nach Hause geschickt - sehr untypisch, denn eigentlich versuchte er immer noch ein paar gemeinsame Minuten "herauszuschlagen". Die Ärztin sagte mir damals, daß sie ihn ev. wieder auf die Intensivstation verlegen wollten, da dort die Betreuung sehr viel besser sei und sie innerhalb von Minuten überlegen könnten, ihn zu intubieren.
Uns beiden war das sehr recht. Wir kannten die Intensivstation zu gut und fühlten uns in guten Händen.
Ich fuhr also nach Hause, war mit zwei Freundinnen eine Pizza essen (das erste Warme seit Wochen) und telefonierte nochmal mit meinem Mann (das letzte Mal!). gegen 21 Uhr rief mich die Ärztin der Normalstation an, daß sie meinen Mann jetzt verlegt hätten. Worauf ich dann in der Intensivstation anrief und meinen Mann fragen ließ, ob ich kommen sollte.
Ich hörte, wie er im Hintergrund sagte, daß es nicht nötig sei (das war das letzte Mal, daß ich seine Stimme hörte). Am nächsten Morgen rief ich ab 8 Uhr halbstündig an, konnte aber niemanden erreichen. Erst um 12 Uhr sprach ich mit dem Arzt, der sagte, daß es keine Veränderung gab und ich ab 14 Uhr zur offiziellen Besuchszeit kommen könnte.
Als ich um halb zwei dort war, war mein Mann schon intubiert und ins künstliche Koma gelegt worden.
Hier habe ich erfahren, daß er eine schwere Infektion hätte und die Möglichkeit bestünde, daß er diese nicht überlebt. Das war das erste Mal, daß mir sein möglicher Tod tatsächlich bewusst wurde. Ich habe seine und meine Familie informiert (sein Vater war damals in Frankreich und flog am gleichen Abend zurück zu uns).
Sicherlich habe ich dann fast ununterbrochen an seinem Bett gesessen, mit ihm geredet, ihn gehalten und gestreichelt. Und ich bin sicher, daß er mich gehört und gespürt hat, denn er hat zusammen mit mir geweint. Aber ich werde mir nie verzeihen können (selbst wenn er es tut), daß ich nicht bei ihm war, als er die größte Angst hatte.
Am Dienstag spätabends haben wir erfahren, daß es sich um eine schwere Pilzinfektion handelt und daß die Chancen sehr schlecht seien. Am Mittwoch dann die Mitteilung, daß wir entscheiden müssten, ob weitere Maßnahmen eingeleitet werden sollten (die Niere arbeitete nicht mehr. Dialyse???), allerdings ist die Prognose mehr als ausssichtslos. Selbst wenn ein Wunder geschehen sollte, würde er das wohl nicht ohne Folgeschäden überleben. Eine weitere Behandlung der Leukämie wäre undenkbar.
Ich habe also bei ihm gesessen - Tag und Nacht - habe ihn dann nicht mehr aus den Augen gelassen.
Es war immer jemand bei mir - meine Eltern, meine Brüder sind abwechselnd angereist, seine Eltern und Geschwister. In den Nächten hat seine Schwester viele Stunden mit uns verbracht. Wir haben uns schon immer gut verstanden, aber diese Nächte haben uns noch mehr zusammen geschweißt. Donnerstag nacht war es irgendwie anders. Ich kann es nicht erklären, aber seine Herzfrequenz hatte sich verändert, die Stimmung, seine Mimik. Ich habe dann gegen halb 2 Uhr die gesamte Familie verständigen lassen. Sie waren alle um 2 Uhr da und danach dauerte es noch eine Stunde bis er uns verlassen hatte. Ich hatte meine Hand auf sein Herz gelegt bis es nicht mehr schlug.
Sicherlich hatte ich Zeit, mich zu verabschieden und ich habe alles gesagt, was mir auf der Seele brannte. Aber wir haben uns gegenseitig nicht verabschieden können. Und das begleitet mich heute noch und wird mich immer begleiten!
Es hört sich blöd und schrecklich an, aber ich beneide alle von uns, die wirklich alles noch aussprechen konnten. (Und ich wünsche es jedem, der in eine solche Situation kommen muß.)

Antje
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