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Alt 31.08.2010, 14:18
Henning Sp Henning Sp ist offline
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Standard AW: Wie sollten Tipps für Angehörige aussehen?

Hallo Birdie, liebe Forum Gemeinde,

möchte mich zunächst mal bekannt machen, mein Name ist Sigrid und ich bin die Ehefrau von Henning Sp. Wir kennen das Forum seit Ende Juni, finden es klasse, lesen regelmäßig eifrig und ich habe einmal auch schon im Namen von Henning geschrieben ( bzgl. Birdies Adresssammlung). Henning hat nicht so den Dreh zum Schreiben und sagt dann immer, ach mach Du das mal (das war bei uns schon immer so). Ich tue mich auch noch immer ein bisschen schwer so allgemein in einem Forum zu schreiben, und irgendwie fehlt mir auch immer ein bisschen die Zeit, aber jetzt im Zusammenhang mit Deinen Tipps für Angehörige liebe Birdie, die ich übrigens ganz, ganz wichtig finde, möchte ich eigentlich in unserer beider Namen schreiben und hoffe, dass ist so für Euch alle in Ordnung.

Vorweg schicken möchte ich noch, dass ich selbst 15 Jahre lang als Krankenschwester gearbeitet habe, dass ich zwar vor 20 Jahren den Beruf ins kaufmaännische gewechselt habe, aber meine medizinische Ader kann und will nicht ganz verleugnen. Ich war selber auch schon sehr viel und relativ schwer krank in meinem Leben, aber seit Hennings Nierenkrebs sind das alles Peanuts für mich, denn ich hatte immerhin nie Krebs.

Seit Freitag, dem 23.04.2010 ist unser Leben nun einfach anders. An diesem Tag haben wir die Diagnose, Nierentumor re. Riesengroß mit Lungenmetastasen (über 30) und Knochenmetastasen an Becken und Wirbelsäule erfahren, natürlich wie so viele von Euch, ohne jede Vorahnung, denn auch Henning hatte keinerlei Symptome. Innerhalb von fünf Std. hatte er drei Arzttermine – Urologe- Radiologe- Urologische Klinik.

Der Radiologe hatte 0 Feingefühl, er Henning die Diagnose ziemlich barsch mitgeteilt. Anschließend in der Urologischen Klinik in Herford, wo ich dann mit dabei war, war es zum Glück anders, genau das Gegenteil Der Professor hat versucht uns erst mal etwas zu beruhigen. Die Chemie zwischen ihm und uns hat vom ersten Moment an gestimmt, was wir beide extrem wichtig finden. Wir haben ihm von Anfang an gesagt, dass wir immer die volle Wahrheit wissen möchten, wie auch immer sie aussieht, ob positiv oder negativ, um uns keinen falschen Hoffnungen hinzugeben. Aber er hat uns Mut gemacht. Henning wollte natürlich so schnell wie möglich seine Niere los werden, eine Alternative gab es eh nicht aufgrund der Tumorgröße, und so wurde die stationäre Aufnahme direkt für Montags geplant.

Seine erste Reaktion noch beim Arzt in der Klinik war „dann muß ich jetzt wohl das Rauchen aufhören, wenn ich meine andere Niere behalten will“ und dass nach über 40 jährigem extrem starken Rauchen von 40-60 Zigaretten pro Tag. Ich habe tierisch Angst gehabt, dass er dabei in starken körperlichen Entzug kommt. Den Samstag und Sonntag hat er noch gequalmt und ich habe mir auch Kommentar verkniffen und danach war Schluss mit dem Rauchen ohne Probleme, es hat wohl klick gemacht und siehe da es geht mwenn man will oder muss. Um die Gedanken irgendwie zu betäuben haben wir beide an diesem Wochenende so manch ein Glas Rotwein geleert, obwohl es natürlich nicht wirklich hilft. Mir liefern in den ersten beiden Tagen immer wieder die Tränen, obwohl ich das absolut nicht wollte. Ich habe mich dafür geschämt und habe versucht es zu vertuschen, denn Henning erschien mir viel gefasster, obwohl er der Kranke war/ist und nicht ich. Da wir beide in zweiter Ehe verheiratet und kinderlos sind und seit 15 Jahren auch beruflich noch eng zusammen arbeiten, haben wir eine sicher besonders intensive Beziehung.

Hennings Sorgen gingen z.B. dahin, dass er auf jeden Fall erreichen möchte, dass ich später rentenmäßig gut versorgt bin ( was sowieso der Fall sein wird durch private Vorsorge). Ich fand dass zwar irgendwie rührend, aber das interessierte mich gar nicht. Mein Gedanke dies bzgl. war und ist immer noch, ich werde eines Tages schon zurecht kommen wenn es eines Tages sein muss. Ich hingegen denke immer nur, welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es, sicherlich auch durch meinen früheren Beruf bedingt. Ich habe fortan wochenlang kaum noch geschlafen und gegessen und die halbe Nacht versucht, mir über das Internet Informationen zu holen, (wohlgemerkt gefiltert), so bin ich dann auch auf die Anlaufstelle für Nierenkrebspatienten gekommen, was mir persönlich sehr viel geholfen hat. Ich habe mir nach ein paar Tagen dann von dort Info Material schicken lassen und alles in mich aufgesogen. Natürlich habe ich auch Henning davon erzählt, er hat sich auch alles angehört, war zu dem Zeitpunkt aber noch nicht bereit fachliches zu lesen, das kam später von alleine irgendwann.

Am Samstag habe ich dann nach und nach mit Hennings Einverständnis unsere Familie und engsten Freunde ( ich betone hier ausdrücklich wirkliche Freunde) informiert. Jeder war zutiefst geschockt und wollte uns irgendwie helfen. Aber ansonsten wir sind zunächst für uns alleine geblieben und haben uns auf den Krankenhausaufenthalt vorbereitet, einschließlich Patientenverfügung etc. Für Henning totales Neuland, denn er ist glücklicherweise noch nie in seinem Leben krank gewesen.

Er wollte ausdrücklich auch niemanden sehen, weder zu Hause noch im Krankenhaus, er musste schließlich erst mal selber mit der Situation fertig werden. Alle hatten hierfür Verständnis, bis auf meine Schwiegermutter, aber das ist eh ein heikles Thema, auf das ich nicht näher eingehen möchte.

Ich hingegen brauchte das Reden mit anderen. Wenn ich abends auch schachmatt aus dem Krankenhaus nach Hause kam, habe ich trotzdem mit allen Lieben telefoniert und Sie auf dem Laufenden gehalten. Teilweise haben unsere Freunde eine Infokette gebildet, damit ich nicht alles 100 mal erzählen musste. Fand ich persönlich sehr gut. Alle haben sehr viel Verständnis gehabt.

Ich habe irgendwie nur noch funktioniert, denn arbeiten musste ich auch, in unserem kleinen Betrieb war Hochsaison.

Schlimm war für mich auch, dass ich mir hier gegenüber Kunden auf keinen Fall etwas anmerken lassen durfte, die Gerüchteküche in der Branche blüht schnell und kann tödlich sein. Manche Kunden die mich gut kennen haben natürlich an meiner Stimmlage etwas gemerkt, da habe ich dann Notlügen ggf. gebraucht.

Leider war die erste Woche nach der Diagnose eine Achterbahnfahrt für uns beide, wie man sie sich glaube ich kaum vorstellen kann.Als wenn die Diagnose nicht schon genug ist, musste aufgrund eines intraoperativen Herzinfarktes die OP nämlich kurz nach Beginn abgebrochen werden. Niere also noch drin.

Zunächst hieß es nur Rhythmusstörungen, Intensivstation- alles stabil – nachts dannVerschlechterung der Laborwerte (Herzenzyme), am nächsten morgen als ich wie verabredet wieder anrief, kannte keiner auf Intensiv meinen Mann, mein Herz blieb da auch bald stehen, - er war nachts auf eine andere Intensivstation verlegt worden- Folge Herzkatheteruntersucheung - Ergebnis jetzt frischer leichter Infarkt, Setzen eines Stents. Einen Tag später dann die Entlassung, war mir zwar irgendwie auch nicht ganz geheuer, aber heute läuft halt doch scheinbar so einiges anders als zu meiner aktiven Zeit als Schwester. Egal, wir sind beide erst mal etwas zur Ruhe gekommen. Die OP war vorläufig nicht möglich, da sich sein Herz erholen musste. Um die Zeit nicht ungenutzt zu verlieren wurde dann mit einer Torisel-Behandlung begonnen. Zum Glück hat Henning sie eigentlich sehr gut vertragen, aber ich bin schon hypersensibel sobald er irgend etwas besonderes merkt.

Inzwischen, am 07.07.2010 hat Henning die OP gut hinter sich gebracht, nach einer Woche wurde er entlassen, erstaunlich fit und wiederum eine Woche später haben wir einen erholsamen kleinen Urlaub auf Usedom verbracht, da Henning absolut keine Reha wollte. Dieser Urlaub hat uns beiden sehr gut getan. Im Moment beschäftigen wir uns mit der Bekämpfung der beiden Wirbelsäulen Metastasen. Wir planen eine Cyberknife Behandlung in Soest und die Voruntersuchungen laufen zur Zeit. Sobald wir da was näheres wissen, werden wir dazu schreiben. Den Lungen Metastasen rücken wir erst mal weiter mit Torisel zu Leibe.

Mir persönlich hat die Beratung die Anlaufstelle für Nierenkrebspatienten sehr viel Mut gegeben. Nachdem wir zum LH Forum in Frankfurt waren hat auch Henning sich auf einmal mit dem Lesen „spezieller Krebs Lektüre“ beschäftigt und das finde ich sehr gut, aber er musste es von selbst wollen und nicht weil ich ihn dränge. Mir selbst ist nichts zuviel ich würde und werde alles für ihn tuen.

Abschließend sind wir beide der Meinung das es dass Wichtigste ist, offen und liebevoll miteinander umzugehen, jeder hat mal einen Hänger und manchmal fressen einen die Ängste auch auf. Aber auch die Ängste muss man zwischendurch zulassen, sie gehören einfach dazu. Außerdem haben wir uns nie im Freundeskreis zurück gezogen und sprechen auch hier offen und wenn einem jemand mal „blöd“ kommt mit guten Ratschlägen oder extremen Bedauern, sollte man dass demjenigen auch offen sagen.


So das sind unsere Tipps, bzw. unsere Einstellung
Liebe Grüsse
Henning & Sigrid

Geändert von Birdie (18.08.2012 um 20:59 Uhr) Grund: Verweis auf Anlaufstelle gelöscht
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