Thema: Geheilt????
Einzelnen Beitrag anzeigen
  #3  
Alt 03.05.2006, 02:00
Benutzerbild von Geli-Emilie
Geli-Emilie Geli-Emilie ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 20.10.2005
Ort: Asslar
Beiträge: 250
Standard AW: Geheilt????

Liebe Hanne,

wie Recht Du hast! Auch mir wurde schon nahegelegt, ein Buch zu schreiben in Richtung "Wie ich den Krebs besiegte" - ich kann es nicht mehr hören. ICH habe keinen Krebs besiegt. Mit meiner 5-%-Überlebenschance (laut Internet bei Halslymphknotenmetastasen bei CUP) habe ich Glück gehabt, dass bei mir die Therapien wie Chemo/Radio/OP gut angeschlagen haben. Jeder kleine "Knubbel", den ich spüre (auch wenn ich fast sicher sein kann, dass es sich um harmlose Myogelosen handelt), ist zunächst einmal eine Bedrohung bis ich die Sache geklärt habe. Das Damoklesschwert namens "Krebs" wird immer über mir schweben, wie lange ich auch noch leben werde.

Trotz allem muss ich wirklich feststellen, dass ich vorher in meinem ganzen Leben noch nie so gelassen war wie im Augenblick. Ich weiß, dass ich alles getan habe, was mir möglich war - sprich: ich habe alle Therapien erfolgreich mitgemacht. Das positive Denken hat mich zwar vor Depressionen bewahrt, aber den Krebs habe ich damit nicht besiegt. Hätten wir kein positives Denken, bräuchten wir mit einer Therapie überhaupt nicht erst anzufangen. Es wundert mich überhaupt, dass sich alle darüber wundern, wie "toll" ich das alles hinnähme. Für mich ist der Kampf selbstverständlich, da gibt es kein "Toll", nur ein Entweder-Oder.

In ihrer Hilflosigkeit haben mich einige Freunde regelrecht bombardiert mit Büchern, Broschüren, Hinweisen von Beispielen, wie Gott-weiß-wer mit seiner Krankheit umgegangen ist. Da kann ich nur noch mit dem Kopf schütteln und darum bitten, das sein zu lassen. Die Schwerbehindertenstelle meiner Dienststelle fragte an, ob ich Kollegen beraten könne, die ebenfalls Krebs haben und längst nicht so gut damit umgehen können wie ich. Ja natürlich biete ich meine Hilfe an, aber dann sollen mich die Kollegen selbst anrufen. Ich würde mich niemals aufdrängen, weil ich weiß, wie lästig es sein kann, von allen Seiten Ratschläge zu bekommen. Außerdem warne ich jeden davor, verzweifelten Patienten auch noch "positiv denkende" Betroffene als Vorbild vorzuhalten. Es gibt kaum etwas, was den Kranken noch mehr runterziehen könnte.

Selbst die Psycho-Onkologin in meiner Reha schlug mir vor, meine doch etwas "abweichende" Einstellung in Buchform in die Öffentlichkeit zu bringen. Nein, danke. Wer meint, sich damit zu helfen, die eigene Version unter die Leute zu bringen, der sollte dies tun, um die Probleme bewältigen. Mir liegt es erstens fern, meine Krankheit zu vermarkten, zweitens würde es für mich überhaupt kein anderes Thema mehr geben. Und gerade das will ich vermeiden. Es ist nicht so, dass ich verdränge oder mich nicht mit der Krankheit auseinandersetze, aber ich brauche auch "Normalität". So viel wie möglich. Und wenn mich die (ehemalige) BfA zwangsverrentet, dann bin ich froh, wenn ich nun Gelegenheit habe, gewisse Träume wahr zu machen, mich zu belohnen für erlittene Torturen, indem ich mir sage, gut, ab jetzt bin ich im Urlaub.

Kürzlich wurde eine Klassenkameradin von mir beigesetzt. Auch sie dachte positiv, hatte noch viele Pläne... aber auch sie sagte, sie würde damit klarkommen, wenn es einmal heißen könnte: wir können nichts weiter für Sie tun. Die Trauerfeier war schlimm. Da sie nicht zur Kirche gehörte, haben sich ihr Mann und die Kinder darauf verlassen, dass ein Jugendfreund und zwei Kolleginnen die "Sache" in die Hand nehmen. Im Ergebnis davon wurde ich immer wütender und frustrierter, weil ich wusste, dass alles Gesagte sicher nicht im Sinne meiner Freundin war. Dafür hatten wir zu oft telefoniert, die Zeit der Chemo/Radio zusammen durchgestanden und so vieles miteinander geredet.

Noch heute bin ich froh, dass ich den Mut hatte, ans Mikrofon zu gehen und den Anwesenden ein anderes Bild zu verschaffen. Nämlich Dankbarkeit für ein Leben, das immerhin über ein halbes Jahrhundert gedauert hat, was viele aus unserer Klasse gar nicht erst geschafft haben, dass wir uns niemals vorwerfen müssten, etwas nicht zu der Zeit getan zu haben, als es uns noch möglich war, dass wir wohl nicht die Angst haben müssten, an Alzheimer zu erkranken, wir im Reinen sind mit unserer Familie und die einzige Sorge denen gilt, die wir traurig zurücklassen müssen, aber verbunden mit der Hoffnung, dass auch sie Trost finden.

Den ersten Schock habe ich überwunden. Hätte ich meine Krankheit ein Jahrzehnt früher bekommen, wären meine Metastasen nicht durch Zufall entdeckt worden, dann wäre ich jetzt tot. Aber ich habe das Gefühl, "ich bin noch nicht dran" - trotz miserabler Statistiken. Oder ich habe das "5-%-Glück". Und ich bin gewarnt und halte meine Kontrolltermine ein. Und hoffe auf Weiterentwicklung in der Krebsforschung.

Alles Gute Euch allen wünscht
Geli
Mit Zitat antworten