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Alt 07.11.2015, 15:27
Tienchen Tienchen ist offline
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Standard AW: Schwiegervater hat Magenkrebs

Hallo Lia,
es ist toll zu sehen, dass du immer wieder an uns gedacht hast. Ich hoffe, dir geht es gut! Und ich hoffe auch, dass ihr noch nicht durch das durch musstet, was wir seit Ende September erleben.

Gut daran ist vielleicht, dass wir zwischen der Diagnose der Lungenmetastasen und dem Tod meines Schwiegervaters nur 6 Wochen in dem Wissen gelebt haben, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Was daran schlecht ist, das muss ich in einem Forum wie diesem wohl nicht mal beginnen aufzuzählen. Es ging alles so wahnsinnig schnell und war zu dem Zeitpunkt so plötzlich. Ich brauchte jetzt einige Zeit, um meinen Mann und meine Schwiegermutter zu unterstützen, ganz viel Ablenkung und somit auch Abstand von diesem Forum. Es fiel und fällt mir schwer, dieses Wort 'Krebs' zu lesen. Aber jetzt möchte ich diese letzten Wochen aufschreiben, damit ich sie nachlesen kann (ich musste schon hier nachsehen, weil ich die Zeiträume gar nicht mehr einschätzen konnte. Ich hatte keine Daten mehr in Erinnerung, wann welche Hiobsbotschaft kam) aber auch, damit ihr wisst, was vor sich ging. Ihr habt mir so viel Anteilnahme gezeigt, obwohl ihr in ähnlichen Situationen seid. Dafür möchte ich nochmal danke sagen!

Die letzte Whatsapp-Nachricht von meinem Schwiegervater erreichte mich am 20. September. Darin schrieb er, dass er Fortschritte macht und seit 6 Tagen richtige Nahrung zu sich nimmt. Vorher hat er wochenlang nur noch an der künstlichen Nahrung gehangen. Er schrieb von Kartoffelsuppe und jedes Mal, wenn ich die nun koche, denke ich ganz besonders an ihn. Ich machte mir an diesem 20.9. schon meine Gedanken, weil ich viel gelesen hatte von diesem "Hoch vor dem Ende". Aber ich drängte den Gedanken weg. Es war ja erst ein Monat vergangen, seit der Arzt sagte, dass eine Behandlung unmöglich sei und wir hofften auf ein letztes gemeinsames Weihnachten, vielleicht träumten wir sogar noch davon, seinen Geburtstag im März mit ihm zu feiern. Als es ihm 'so gut' ging, bat er meinen Mann um Karten für das nächste Heimspiel unseres Vereins. Er wollte noch ein letztes Mal ins Stadion. Das Spiel war am 26.9. - aber er durfte sein Stadion nicht mehr sehen. Am 25.9. rief er nach einer schrecklichen Nacht den Notarzt, er kam mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus. Wir sind noch am selben Nachmittag zu ihm gefahren, zum Glück wusste ich da noch nicht, dass es das letzte Mal sein würde, dass ich ihn bei Bewusstsein sehen würde. Er schien es im Nachhinein gewusst zu haben. Er hat uns vieles gesagt: dass er uns bitten wollte, ihn mit zu meiner Familie nach Norddeutschland zu nehmen, weil er mal sehen wollte, wo ich aufgewachsen bin. Dass er dort nochmal mit meinem Opa ein Bier trinken wollte, weil sie sich bei unserer Hochzeit so gut verstanden haben. Dass er doch so gerne nochmal ins Stadion gegangen wäre. Dass er ständig mit meiner Mutter über Fußball schreibt. Und kurz bevor wir uns verabschiedeten, sagte er, dass wir seine Engel sind. Nichts tröstet mich mehr als die Erinnerung an diesen Satz. Wir waren für ihn da, das ist alles, was man seinem lieben Menschen in dieser Situation geben kann. Mein Mann ging am nächsten Tag mit seiner Mutter zum Fußballspiel und besuchte ihn nochmal. Trotz Antibiotikum ging es ihm immer schlechter. Am Morgen des 29.9. kam der Anruf, den ich wohl nie vergessen werde: meine Schwiegermutter, die mich bei der Arbeit anrief und mir sagte, dass ich unbedingt meinen Mann erreichen muss und er sofort ins Krankenhaus kommen soll. Mein Schwiegervater lag im Sterben. Schon in der Nacht ging es ihm sehr schlecht und am Dienstagmorgen haben die Ärzte nochmal nachgesehen, wie weit der Krebs inzwischen fortgeschritten ist. Laut meiner Schwiegermutter haben sich die Ärzte sehr erschrocken. Der Krebs war schon den Rachen hinauf gewandert. Aus der Narkose ließen sie ihn gar nicht mehr richtig aufwachen, er bekam sofort viel Morphium, um ihm diese Schmerzen zu ersparen. Zum Glück habe ich tolle Kolleginnen, sodass ich mittags gehen durfte und es noch rechtzeitig ins Krankenhaus schaffte. Als ich ankam, war er gerade von der Intensivstation geholt und in ein Sterbezimmer gebracht worden. Er atmete so schwer, in den ersten Nächten habe ich von diesem Atmen geträumt. Es hörte sich so schrecklich an. Die Ärztin hat uns versichert, dass es sich nur für uns so schlimm anhört, dass er davon aber nichts merkt. Er reagierte nur auf zwei Dinge: auf seinen Namen, da öffnete er ganz kurz die Augen. Und auf den Kampfspruch unseres Vereins: da öffnete er die Augen, lächelte und nickte, als wollte er antworten. Er hat lange gebraucht, um loslassen zu können. Am Nachmittag sind die meisten gegangen (er hatte vier Söhne, da standen also eine Menge Leute hilflos um ihn herum), nur meine Schwiegermutter, mein Mann und ich waren noch da. Wir haben sie in die Cafeteria geschickt, damit sie etwas essen konnte. Das waren unsere letzten Minuten allein mit ihm. Wir saßen einfach neben ihm, hielten beide seine Hand und konnten uns nur weinend unseren Gedanken hingeben. Als meine Schwiegermutter wieder da war, haben wir uns verabschiedet. 40 Minuten später ist er gestorben. Es war, als hätte er nur gewartet, bis er endlich mit seiner Frau allein war.

Am nächsten Morgen frühstückten wir mit ihr und ließen uns von diesen letzten 40 Minuten berichten. Bestattet wurde er erst am 16.10. und einen Tag später stand das erste Heimspiel seit seinem Tod an. Der Stadionsprecher hat in der Halbzeit kurz von ihm gesprochen. Das war fast emotionaler als die Trauerfeier. Tja und seitdem versuchen wir irgendwie klarzukommen. Ich denke, es wäre leichter, wenn man wüsste, dass er keine Hoffnung mehr hatte. Dass er nicht mehr leben wollte. Aber er wollte noch nicht gehen, er hat sich bis zum Ende gewehrt. Das sieht man schon daran, dass er auf der Intensivstation beatmet wurde, damit alle Angehörigen noch mal zu ihm konnten, er aber als alle da waren noch 3-4 Stunden ohne Hilfe atmete. Er hatte noch so viel vor. Und ich hätte ihm so sehr gegönnt, dass er seine Enkelkinder kennenlernen kann. Es tut mir jetzt schon leid für meine Kinder, dass sie diesen tollen Opa nicht kennenlernen dürfen. Das war mir aber auch gleichzeitig der einzige Trost: dass ich meinem Mann sagen konnte, dass wir alles richtig machen, wenn unsere Kinder nur halb so fröhlich, liebenswert, offenherzig, großzügig und dankbar werden wie ihr Opa.
Nicht jeder ist mit 24 Jahren schon verheiratet. Ich bin froh, dass ich es bin, denn weil wir uns schon so lange kennen, hatte ich 5 Jahre mit meinem Schwiegervater, ich kenne ihn nicht nur aus Erzählungen, ich kann selbst Geschichten von ihm erzählen und mich an einen Menschen erinnern, der mir sehr am Herzen liegt und den ich gegen keinen anderen Schwiegervater der Welt, sei er auch noch so gesund, jemals eintauschen wollen würde.

Ich vermisse dich, Klaus, jeden Tag, so sehr.
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