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Alt 22.12.2010, 23:21
undine undine ist offline
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Standard AW: Verhalten von Freunden/Verwandten

Liebe Steffie,

es tut mir sehr leid zu lesen, dass Euch die Unterstützung der Familie und Freunde fehlt.

Auch wenn ich selbst gerade vollkommen anders erlebe, (meine Ma hat Lungenkrebs,) so weiß ich doch, dass das so schnell passiert.

Ich selbst habe seit meiner Kindheit (30 Jahre nun,) Gelenkrheuma. Als ich krank wurde, bekam meine Mutter die gleichen Vorwürfe von ihrer Mutter. Sie sei schuld, dass ich krank geworden sei. Und meine Eltern wurden in kürzester Zeit sozial total isoliert, obwohl sie vorher sehr aktiv in der Kirche tätig waren und viele Freunde hatten. Meine Oma hat irgendwann auch den Kontakt zu mir abgebrochen, weil sie es nicht ertragen konnte, dass ich krank war.

Und auch die Oma meines Lebensgefährten brach den Kontakt zu ihrer Tochter, (meiner Schwiegermutter) ab, als diese Alzheimer in jungen Jahren bekam. Es gab nur Vorwürfe und Beschuldigungen. Sie konnte diese Nachricht nicht an sich heranlassen. Mein Freund und sein Vater haben seine Mutter bzw. Frau 8 Jahre alleine gepflegt und waren total isoliert.

Was ich jetzt sage klingt ein bisschen doof, aber ich meine es wirklich ernst: es ist nicht böse von diesen Menschen gemeint!!!

Das klingt schon irgendwie pervers, aber ich denke, es ist deren eigene Unfähigkeit, mit dieser schlimmen Situation umzugehen. Ich denke, es zerreißt sie: die Angst, die Machtlosigkeit und der Schmerz.

Und deshalb ist es so einfach, wenn man jemanden die Schuld geben kann! Dann ist das "Monster Krankheit" plötzlich nicht mehr so bedrohlich auch für das eigene Leben, denn man verhält sich ja anders, kann vorbeugen! Du bist schuld - dann braucht man sich keine Gedanken um die eigene Zukunft machen!
Es ist einfach ein absolut abartiger Schutzmechanismus, aber total menschlich!

Mein Dad und ich gehen sehr offensiv mit unserer Angst um. Und das ist für viele Leute nicht leicht. Ich merke es jetzt besonders, wenn ich die Reaktionen auf die Nachricht von der Krebserkrankung meiner Mutter sehe. Wir alle, (mein Vater, meine Mutter und ich,) sprechen das offen aus, weinen auch, (egal was man von uns denkt,) aber gleichzeitig ist es mir auch nicht wichtig, wie die Leute reagieren. Selbst wenn sie blöd reagieren, ist es mir egal. Vor 20 Jahren starb die Mutter einer Freundin an Lungenkrebs und ich erinnere mich, wie bescheuert ich reagiert habe. Ich wusste überhaupt nicht, was ich sagen oder tun konnte! Ich habe zwar mein Mitgefühl ausgedrückt, habe aber auch nicht den Kontakt gesucht. Und zwar einfach nur, weil ich große Sorge hatte, mich total dämlich zu verhalten.

Vielleicht bin ich deshalb so gelassen diesbezüglich. Ich weiß nun (leider), dass niemand, der nicht diese Erfahrung macht, das nachempfinden kann. Und was soll ich sagen? Das ist auch gut so! Es ist schlimm genug! Mitleid im Sinne von mit-leiden hilft niemanden!
Ich bin eine, die gerne ihr Umfeld mit ihrer Offenheit überfordert. Aber es treten dann auch neue Leute, die gut damit umgehen können oder ähnlich gestrickt sind.

Wenn sich Freunde zurückziehen.... ist es traurig, aber verschwende nicht zu viel Zorn darauf. Es liegt nicht an Euch, sondern an ihnen.
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Ich habe mit Hilfe der Menschen im Krebsforum meine Mutter 2010-2011 bei ihrer Lungenkrebserkrankung (Adenokarzinom) begleitet.
Sie starb Weihnachten 2011.
Danke an alle, die mir geholfen haben. Und alles Liebe für alle, die den Kampf gegen Krebs bestreiten.
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