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Alt 15.11.2010, 11:42
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annika33 annika33 ist offline
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Standard AW: Warum ist das so?

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Zitat von Stefans Beitrag anzeigen
Hallo Annika,


Bist du dir da sicher. Ich meine, dass es anders war in dem Sinne, dass deine Mutter dich hätte dabei haben wollen? Deinen Mann und ihren Lebenspartner wollte sie ja offensichtlich auch nicht dabei haben (ich sage "offensichtlich", weil ich glaube, dass jemand in Grenzen seinen Todeszeitpunkt schon selbst beeinflussen kann; und da ging's ja nur um eine Stunde).

Hallo an alle,
hallo Stefan,

weißt Du, unser Verhältnis war stets offen. Manchmal schon schonungslos offen. Als die Krankheit kam, da kam dieser, ich nenne es mal "gegenseitige Behütungsfilter" in diese eigentlich bis dahin sehr gesunde Beziehung. Mama hatte Angst und Sorge um mich, und ich um sie.

Jeder Angehörige, jeder Betroffene weiß von welcher wechselseitigen Angst und Sorge ich da schreibe. Jedenfalls war das Sterben lange Zeit erstmal (noch) ein Tabu. Es galt ja zu kämpfen und das Beste rauszuholen. Bis wir irgendwann mal gemerkt haben, dass das gegenseitige Schonen im Grunde genommen kontraproduktiv, für unsere eigentlich stets gute Beziehung war. Denn sich zu schonen heißt ja nicht zwangsläufig, nicht auch den Ängsten Ausdruck zu verleihen.

Irgendwann kam halt das Thema Sterben zur Sprache und in diesem Gespräch sagte meine Mutter, dass sie sich schon wünschen würde, wenn ich dabei wäre. Tja, seinerzeit da war die Vorstellung vom Sterben mannigfaltig. Man malt sich die düstersten Gedanken aus, aber eines, das war in unserer Vorstellung glaube ich gleich: wir dachten immer, Mama würde bei Bewusstsein sein. Es trug sich aber so zu, dass meine Mutter durch das Fortschreiten der LK-Erkrankung einen Befall des zentralen Nervensystems erlitt. Die Hirnhäute und der Spinalkanal waren betroffen. Mama versank in den letzten 3 Wochen zunehmend mehr in ihre eigene Welt, halluzinierte, war zeitlich, örtlich, räumlich nicht mehr orientiert. Doch eines blieb bis zum letzten Tag, an dem sie noch bei Bewusstsein war. Mich erkannte sie. Ihren Mann nicht, aber immer mich .

Wiegesagt, und dann kam der Tag x. Der Tag x, von dem ich weiß, dass es vielleicht für sie gar nicht mehr so bedeutend gewesen wäre, ob ich dabei war oder nicht. Ich bezweifele, dass sie gemerkt hat, was geschieht. Sie war ja quasi nicht mehr bei Bewusstsein. Sie ist wirklich "rübergeschlafen". Aber ich, ich weiß das. Ich weiß, dass ich nicht da war. Als ich im KH ankam, da hab ich mich noch verabschiedet und ich hatte auch das Gefühl, dass sie das, so blöde das klingt, irgendwie noch merkt.

Ich weiß auch heute, dass es meine Mama irgenwie "noch gibt". Und ich weiß auch, dass sie mir nie böse wäre. Sie würde mir wieder mit ihrer humorigen Art, ihrem zynischen Humor auf ihre Weise zu verstehen geben, dass ich aus ihrer Sicht nichts falsch gemacht habe. All das weiß ich.

Was Du beschreibst, dieses Revue-passieren-lassen Eurer gemeinsamen Lebensgeschehnisse am Sterbebett. Ehe meine Mama starb, einige Wochen zuvor, da hatten wir so eine Situation. Ich war spontan an diesem Tag zu ihr gefahren. Sie lag im Bett und schlief. Als sie wach wurde, da sie gehört hatte, dass ich das Haus betreten hatte, da rief sie mich zu sich. Stundenlang lagen wir auf dem Bett und sie erzählte mir von sich, aus ihrem Leben. Dinge, die ich zuvor nicht wußte, Erlebnisse aus der Jugend. Lustige, bewegende und auch traurige Ereignisse. Sie "teilte" mit mir ihr persönlichstes Gedankengut. Wir hielten uns zwischendurch an den Händen und lachten viel, das Weinen unterdrückte ich so gut ich konnte. Wir wussten beide, in welche Richtung es gehen würde.

Ich merke, dass sie mir unendlich fehlt. Vor mir liegt derweil viel Stress. Wir ziehen bald um und im neuen Jahr beginne ich einen neuen Job. Ich sitze hier, mache gerade Pause vom Kistenpacken und weine. Immer wieder fallen mir Dinge in die Hand, die mich an sie erinnern. Ihre Wintermütze, mit den großen, christallklaren Strasssteinen, welche sie alternativ zur Perücke trug, ihr Hosenanzug, den ich einpacken muss.

Ich finde bemerkenswert, wie schnell man mit so einem Verlust "reift". Man sieht die Welt mit völlig anderen Augen. Manchmal, da kann mich nichts trösten, aber hier, da weiß ich, dass Menschen auf der anderen Seite vor dem PC sitzen, die exakt das selbe fühlen wie ich. Hier muss man sich nicht groß erklären, was im realen Leben, viel zu umfangreich und komplex, viel zu anstrengend und nervenaufreibend wäre.

Ich danke Euch dafür!

Liebe Grüße

Annika
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