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Alt 13.11.2010, 17:40
Stefans Stefans ist offline
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Standard AW: Warum ist das so?

Hallo Michaela,

Zitat:
Zitat von Pferdchen Beitrag anzeigen
Habe ich das richtig verstanden das deine Frau dich kurz bevor sie gestorben ist angelächelt hat? Was für ein schönes Geschenk von ihr!
Nicht "kurz" bevor. Kurz bevor war nur noch ihr Körper mit seinen letzten Lebenszeichen beschäftigt. Das war aber schon "nicht mehr sie", sondern der Tod.

Am Abend ist mir schon aufgefallen, dass sie geistig abwesend ist und verwirrt. Sie hat noch versucht, mir etwas zu sagen. Von ihrem Vater, und Nachbarn in ihrer alten Heimat, und "Onkel Heinz". Nie von dem gehört, es war auch unzusammenhängend und kaum verständlich... Wo ich schon dachte, OK, das kann jetzt zu Ende gehen, lieber mal aufbleiben. Nachmittags hatte ich in einem Forum noch sinngemäß geschrieben, dass sie sterben wird. Ob morgen oder in 2 Monaten, weiss man nicht. Und dann war es am nächsten Tag.

Jedenfalls schwante mir abends schon Böses, und ich habe mir überlegt: was mache ich jetzt bloß mit dieser Situation ??? Der Gedanke war mir vorher nie gekommen, da gab es im "Alltagsbetrieb" der Pflege immer Wichtigeres. Und wer denkt schon gerne an sowas. Klar war, dass ich eines garantiert nicht tue: in Panik verfallen und den Notarzt rufen - weil meine Frau das nie wollte. Das war ihr letzter Alptraum ein paar Tage vor ihrem Tod: dass die Männer kommen und sie abholen und von Zuhause wegbringen, und dass ich ab jetzt immer bei ihr bleiben müßte, damit das nicht passiert. Ich weiss nicht, wie oft ich ihr hoch und heilig versprechen musste, dass ich ja immer da bin und auf jeden Fall verhindern werde, dass man sie "abholt". Aber so richtig glauben konnte sie es nicht mehr. Und an dem Abend habe ich wirklich daran gedacht, das zu tun, so überfordert war ich in dem Moment.

Egal, jedenfalls habe ich mir dann überlegt, was ich mit diesen letzten gemeinsamen Stunden nach über 20 Jahren mache. Wenn jemand noch hören / verstehen kann, aber nicht mehr sprechen. Ihr am Bett was vorheulen? Oder sie nach dem Motto "alles wird gut, mach dir nur keine Sorgen?" anlügen? Das hätte sie mir nichtmal in dem Zustand abgenommen, so gut kannten wir uns schon. Das Beste, was mir eingefallen ist, war, in der Erinnerung zu kramen und ihr - "weisst du noch?" - von den Dingen zu erzählen, die wir im Lauf der Jahrzehnte miteinander erlebt haben.

Und da hat sie des öfteren gelächelt und meine Hand gedrückt. Sie hat mich schon noch verstanden. Auch wenn ich Belangloses gequatscht habe. Z.B. von dem Winter 1986(?), an dem wir noch nicht zusammen waren, aber uns schon kannten. Wo es genau so -20°C waren wie am Tag vor ihrem Tod. Und wo ich trotz Smog-Alarm und Fahrverbot mit meinem Diesel-Golf durch Berlin gefahren bin - schließlich hatte ich ja die Öko-Ausnahme-Plakette vom Fahrverbot, und so frei waren die Straßen noch nie zuvor. Und wie sie sich darüber fürchterlich aufgeregt hat und nicht mit eingesteigen ist, sondern lieber in der verpesteten Luft zur U-Bahn gelaufen, weil sie so eine Öko-Schweinerei prinzipiell inakzeptabel fand. Gerade als Umwelt-/Naturschutz-Studenten war das ja völlig unerhört - nicht nur ein Auto besitzen, sondern auch noch bei Smog-Alarm damit rumkurven

Tja, und da konnte sie nicht anders, auf ihrem Sterbebett: da musste sie einfach lächeln. Und ich auch. Vielleicht weniger über die Situation damals, sondern eher über das Schicksal, dass sich trotzdem so zwei unterschiedliche Charaktere gefunden und ein Leben lang zusammen gehört haben. Bis zum letzten Atemzug.

Im nachhinein weiss ich gar nicht, wie ich diese Nacht ausgehalten habe. Wenn ich jetzt darüber schreibe, muss ich dauernd unterbrechen, weil ich heule wie ein Schloßhund. Aber damals, ich weiss nicht, stand ich wohl irgendwie neben mir. Das war in der Situation bei weitem weniger traurig, als es jetzt ist.

Viele Grüße,
Stefan
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