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Alt 02.11.2010, 15:00
Benutzerbild von annika33
annika33 annika33 ist offline
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Standard AW: Fragen an die, die hinterlieben sind!

Hallo an alle,

Allerheiligen!

Als ich Kind war, da gingen meine Eltern und ich immer an Allerheiligen auf die Friedhöfe. Ich mochte Allerheiligen, so blöde das vielleicht klingen mag, immer gerne. Es war ein Tag, an dem man schulfrei hatte, an dem es früh düster wurde, und unzählige Lichter auf dem Friedhof standen. Außerdem war der Friedhof gar nicht gruselig. Viel zu viele Menschen waren gleichzeitig dort.

Gestern konnte ich nicht gehen. Ich war einen Tag zuvor an Mamas Grab, habe es geschmückt und war traurig. Ich weiß nicht....ich kann nur schwer dort sein. Ich mag den Tag nicht mehr, das ist vorbei und auch unwiederbringlich so, das weiß ich.

Ich sitze oft hier zu Hause und möchte die Erlebnisse das Tages ungefiltert meiner Mama erzählen. Es gibt hierfür keinen adäquaten Ersatz. Nur Mamas können einen da so verstehen, dass man nie "Gesprächsstoff auf Verträglichkeit filtern" muss. Sie fehlt mir so sehr.

Ich habe immer gedacht, mit der Zeit würde alles irgendwie besser werden und ich würde einen gewissen Abstand zum Erlebten finden. Ja, ich hatte tatsächlich ein wenig die utopische Vorstellung, sogar wieder ein wenig von meiner eigentlichen Unbeschwertheit zurückzuerlangen, aber die Hoffnung, dass dies jemals wieder so sein könnte, habe ich unlängst aufgegeben.

Alles ist so anders geworden. Ich kann den Dingen nicht mehr spontan nur ihr Gutes abgewinnen, hinterfrage alles und beleuchte von möglichst allen, auch unangenehmen und unbehaglichen Seiten. Wiegesagt, die Selbstschutzeigenschaft, Gedankengänge an gewissen Punkten aus Eigennutz zu unterbrechen, die ist fort. Einmal mit dem persönlichen Super-Gau konfrontiert, ist für mich nahezu alles vorstellbar.

Mama verlor ihre Eltern verhältnismäßig jung und musste auch das Sterben ihrer beiden Brüder miterleben. Wir sprachen viel über Tod und Trauer. Irgendwann mal, da hab ich sie auch gefragt, ob sie glaubt, dass es nach dem Tode noch was gibt. Sie hat das klar gejaht. "Daran musst Du einfach glauben!", hat sie gesagt. Ich frage mich, ob das wirklich die Überzeugung war, oder einfach die Unerträglichkeit dessen, nämlich das nichts mehr kommt, kein Wiedersehen, wenn man sich nicht in den Glauben flüchtet.

Glaubt ihr? Und wenn, warum?

Ich glaube. Nicht im Sinne von zwanghaft-anerzogener religiöser Einstellung, aber ich glaube schon, dass es etwas gibt, was für uns hier, in unserer "jetzigen Lebensform", ungreifbar und unermesslich ist.

Was macht denn Euren Alltag leichter?

Ich hab immer noch die alte Funktionalität. Ich kriege alles hin, bin zu vielen Dingen in der Lage, kann über mich hinauswachsen. Das zumindest sehen die anderen. Ich selber, ich habe das Gefühl, ich arbeite eine innerliche Liste ab und erfülle pflichtgemäß chronologisch alle aufgeführten Punkte.

Im näheren Umfeld hat eine Frau ihren Vater verlorgen. Ganz plötzlich. Herzinfarkt. Keine Zeit zum Abschiednehmen - mitten aus dem Leben gerissen.

Heute traf ich sie. Ein warmer Händedruck, keine großen Worte, denn die habe ich selber nie gemocht und genau das sagte ich auch, und sie drückte mir dankbar die Hand und weinte.

Diese Konfrontation mit der Krankheit und dem Tod, die empfinde ich manchmal ähnlich dem, wenn man in ein Geheimnis eingeweiht wird. Ein bedrückendes, ungemein belastendes Geheimnis. Es erschließt sich einem vorher nie, auch nicht ansatzweise. Und auf einmal, so hat man es denn erfahren, belastet es die Seele mit tonnenschwerem, erdrückenden Ballast. Und manchmal, da trifft man auf Menschen, die von einem Tag auf den nächsten, genau das selbe Geheimnis ertragen müssen. Man weiß um die Bürde und versteht einander wortlos.

Nun auch noch der Herbst und dann die Steigerung - der Winter. Ich hab jetzt schon manchmal auf der Annika-eigenen-Trauerskala die volle 10. Ich frage mich, wie das noch werden soll.

Ob´s irgendwann mal besser wird?

Euch allen eine gute Woche

Annika
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