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Alt 16.10.2010, 13:57
Moppel125 Moppel125 ist offline
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Standard AW: Tabuthema??? Depressionen, Tablettenabhängikeit und jetzt auch noch Krebs

Hallo Greeneye,
ich habe dieses Thema erst nach meinem Posting in Deinem Cita-Thema entdeckt. Nun kann ich Deine Antipathie gegenüber Tabletten natürlich viel besser verstehen.
Du hast mich auch nicht um meine Meinung gefragt, dieses Thema hier beschäftigt mich aber genauso. Nein, meine Ma hatte keinen Krebs. Ich bin dafür unheimlich dankbar dass ihr dies erspart geblieben ist. Meine Mutter hatte über 40 Jahre Gelenkrheuma in seiner fiesesten Form. Ich erinnere mich, dass sie, als ich noch n kind war, sich nicht allein die Haare kämmen konnte ohne fremde Hilfe. Aber mal zum Arzt??? Da passte ihr die Helferin nicht, dort war der Arzt nicht freundlich genug....also wurde jahrelang Schmerzmittel ohne Kontrolle genommen. Zum Schluß war auch sie so abhängig, dass mein Vater ihr die Tabletten abzählte. So hatten wir wenigstens ein wenig Übersicht.
Irgendwann vor 6 Jahren rächte sich dies alles in Nierenversagen und meine Ma wurde Dialysepatientin. Immer wieder kam es zu Rückfällen und Komplikationen. Die Schilddrüse war dann hinüber, das Herz machte nicht mehr richtig mit, und was weiß ich nicht noch alles. Kurz vor ihrem Tod habe ich zu Hause ma die Medikamente gezählt. 18 (!!) -diesmal verschriebene Tabletten- mußte sie über den Tag verteilt einnehmen. Die letzten zwei Jahre lag sie fast nur noch im Bett, wurde dreimal die Woche im Rollstuhl zur Dialyse gefahren und schrie vor Schmerzen wenn man ihr den Kopf ein wenig zum Trinken anheben wollte. Ich wohne mit meinen Eltern im gleichen Haus, überall waren Notfallglocken verteilt falls mal irgendwas war. Aber trotz der Schwere ihrer Krankheiten wollten wir meine Mutter ungern in ein Pflegeheim geben. Eine endgültige Entscheidung blieb uns aber durch ihren Tod erspart.
Sie ist morgen vor elf Monaten an einer einfachen Lungeninfektion gestorben. Ihr Körper hatte nicht mehr die Kraft sich dagegen zu wehren. Nach zehn Tagen auf der Intensivstation nahmen uns die Ärzte beiseite und fragten uns ob die lebenserhaltenden Massnahmen weitergeführt oder beendet werden sollten.
Ich durfte meine Mutter in ihrer letzten Stunde im Arm halten, ihr immer wieder sagen dass alles gesagt und erledigt wäre und sie in Ruhe gehen könne. Es war für mich das erste mal dass ich einen Sterbenden begleitet habe. Und ich hoffe Ihr findet das jetzt nicht zynisch oder abstoßend; ich war in diesem Moment so unendlich glücklich und froh, dass meine Ma es endlich geschafft hatte. Ich habe lange und oft noch mit meinem Vater diskutiert ob dieses Leben in den letzten anderthalb Jahren ihrer Krankheit noch lebenswert war. Sieben Tage in der Woche mit Schmerzen ans Bett gefesselt und dreimal die Woche kurzweilig zur Dialyse.
Auch für mich sind meine Eltern meine Hauptbezugspersonen, vor allen anderen. Ich vermisse meine Mutter wahnsinnig. Aber der Gedanke an die Erlösung von ihren Schmerzen überwiegt meine Trauer. Direkt hier über meinem Bildschirm hängt ein Bild von ihr. Müßte ich sie beschreiben, genau dieses Foto würde ich dazu nehmen. Es entstand wenige Wochen vor ihrem Tod. Auf der Bettkante sitzend, im Nachthemd, wirres Haar, aber n Zettel in der Hand um meinem Pa aufzuschreiben was er denn alles zu erledigen hätte. Das schaue ich mir an und muß eher grinsen als dass ich in ein tiefes Loch falle. Ich schimpfe mit ihr beim sortieren des Nachlasses, ich rede mit ihr; wenn ich ma meine fünf Minuten beim Auto fahren bekomme frag ich sie ob sie auch auf mich aufpasst....und bei allem was ich mir nicht erklären kann hat SIE natürlich seitdem auch ihre Finger im Spiel.
Natürlich habe auch ich andauernd Hänger. Die Zeit von 19.30 bis 20.20 in der sie gestorben ist. Da hab ich jetzt noch teilweise Probleme mit. Ihr Geburtstag im September. Oder demnächst der erste Jahrestag.
Dies wird Dir alles nicht viel helfen. Ich glaube jeder Mensch geht mit seiner Trauer unterschiedlich um. Es gibt bestimmt kein Patentrezept was man in so einem Fall abspulen kann. Diesen Weg wirst Du für Dich alleine finden müssen.
Ich bin kein besonders gläubiger Mensch. Aber ich hoffe, dass meine Ma in irgendeiner Form hier in meiner Nähe ist; auch wenn das wahrscheinlich sehr oft sehr peinlich ist
Wünsche Dir und Deiner Familie ganz viel Kraft für die nächste Zeit.
Gruß
Micha
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