Einzelnen Beitrag anzeigen
  #18  
Alt 12.04.2010, 05:23
stefan-hh stefan-hh ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 01.05.2008
Beiträge: 27
Standard AW: Leberkrebs inkl. 30 Kg Wasser

Hallo Chrissi,

ich habe hier schon länger nicht geschrieben und gelesen, weil mich das was ich hier lesen muss immer zu sehr an das erinnert was ich mit meinem Papa erleben musste.

Mein Papa ist vor ca. 1,5 Jahren gestorben. Von der Diagnose bis zu dem Tag an dem er für immer gegangen ist sind keine drei Monate vergangen. Damals war ich mit der Situation total überfordert - wie es wohl die meisten hier gewesen sind als sie von der Diagnose bei einem geliebten Mensch gehört haben.

Ich habe nie eine Oma oder einen Opa gehabt und hatte wahrscheinlich auch daher nie zuvor ernsthaft mit Krankheit oder Sterben zu tun gehabt. Und dann wurde mein Papa auf einmal so krank. Mit nur 65 Jahren.

Die Ärzte haben von beginn an ganz offen gesagt dass es eine lebensbedrohliche Krankheit ist und das ganze mit hoher Wahrscheinlichkeit kein gutes Ende nehmen wird. Ich habe es zwar gehört, konnte es aber nicht mal ansatzweise verstehen! Ich wusste nicht was es bedeutet wenn jemand so schwer krank ist. Aber ich wusste automatisch dass ich in dieser Zeit für meinen Papa da sein musste.

Und so habe ich ALLES getan was aus meiner Sicht wichtig für ihn war. Alles andere wurde untergeordnet und spielte keine Rolle mehr. Natürlich habe ich ihn täglich im Krankenhaus besucht. An einem Freitag sagte man uns dass wir uns überlegen sollen ob wir nicht einen Hospizplatz suchen wollen. Ich frage ob das denn jetzt schon sein müsste. Man hatte mir dann gesagt dass ich mich darauf einstellen muss dass es ganz schnell gehen kann und mein Papa vielleicht keine zwei Wochen mehr bei uns sei. Für meine Mama war der Hospiz-Gedanke besonders schlimm, weil sie wusste das man ins Hospiz geht um zu sterben und nicht um gesund zu werden. Das konnte sie nicht akzeptieren. Mama hatte außerdem Angst Papa nach hause zu holen, weil sie Befürchtungen hatte es hier nicht mit ihm zu schaffen. Ich musste wirklich sehr streng zu ihr sein und ihr sagen dass es jetzt nur um Papa geht und wir für ihn in dieser Zeit alles durchstehen müssen und uns danach richten sollen was er wünscht.

Meinen Papa zu fragen ob er nach Hause will... das war einer der schlimmsten Momente meines Lebens. Ich wusste das die Ärzte ihm gesagt hatten das es keine Hoffnung mehr gibt und das er sterben würde. Aber zwischen uns blieb das bis dahin unausgesprochen. Mit meiner Frage war aber klar dass auch ich bescheid wusste. Er fragte dann was er denn zuhause solle. Ich konnte nichts antworten, denn die einzige Antwort hätte lauten können "in Ruhe sterben". Ich hatte meiner Mama erklärt dass wir am Montag ins Hospiz fahren müssten um uns anzuschauen ob dass das richtige für Papa wäre. Gleichzeitig hatte ich ein sehr ungutes Gefühl, obwohl die Ärzte ja von einem Zeitraum von zwei Wochen gesprochen haben. Und daher bin ich dann auch nicht mehr von seinem Bett gewichen und habe von da an auch die Nächte bei ihm verbracht. Am Sonntag Abend ist mein Papa dann eingeschlafen.

Es war irgendwie meine Pflicht meinen Papa auf diesem schweren Weg zu begleiten. ich bin sooo dankbar das ich meinem Papa diesen Gefallen tun konnte. Gleichzeitig habe ich so schlimme Erinnerungen an diesen Moment in dem Papa aufgehört hat zu atmen, dass ich heute noch sehr große Probleme damit habe und mich das sehr belastet. Trotzdem bin ich für meinen Papa froh dass ich bei ihm gewesen bin.

Ich schreibe Dir so ausführlich wie es bei mir gewesen ist, weil ich weiß dass es bei jedem Menschen anders ist und jeder unterschiedlich damit umgeht. Je mehr Leute Dir von ihren Erfahrungen berichten, desto eher verstehst Du wie individuell der Verlauf bei jedem ist. Außerdem hängt es von Persönlichkeit jedes einzelnen ab ob er überhaupt in der Lage ist diesen Weg auf die eine oder andere Weise zu gehen.

Mein kleiner Bruder wollte damals eine Fernreise machen. Das war einige Wochen bevor Papa eingeschlafen ist. Er fragte mich vorher ob er fahren könnte. Ich konnte diese Entscheidung nicht für ihn treffen. Er hat dann meinen Papa selbst gefragt. Und er sagte dass er selbstverständlich fahren soll. Ich bin heute froh das meinem Papa in dieser Zeit nichts passiert ist, denn mit dieser Last hätte mein Bruder wahrscheinlich nur schwer leben können.

Ich kann nicht abschätzen wie das Verhältnis von Dir zu Deinem Papa ist. Aber ICH würde jede freie Sekunde bei ihm verbringen. Und auf keinen Fall würde ich eine Reise antreten. Die Zeit die Du jetzt noch mit ihm hast bekommst Du später nicht zurück. Sei für ihn da wenn Du das kannst. Man muss auch nicht immer reden. Mein Papa konnte die letzten Tage so gut wie gar nicht mehr sprechen und auch vorher haben wir nur noch wenig gesprochen, da er immer sehr sehr müde war. Aber ich glaube er war froh das jemand da war. Das "Glück" im Moment des endgültigen Abschieds bei einem geliebten Menschen zu sein hat nicht jeder. Aber darauf kommt es auch nicht an. Man hört auch oft von Menschen die erst gehen konnten als sie alleine waren. Aber es ist sicher nicht verkehrt vorher da gewesen zu sein.

Mich hat es damals sehr stark gemacht das ich das Gefühl hatte alles regeln und organisieren zu müssen, damit Papa nicht auch noch mit Belanglosigkeiten belastet wird. Erst hinterher bin ich in ein Loch gefallen aus dem ich bis heute nicht wieder raus gefunden habe.

Auch auf Dich wird wohl noch eine sehr sehr schwere Zeit zukommen für die ich Dir ganz ganz viel Kraft wünsche.


(Vielleicht magst Du ja noch mal kurz berichten wie alt Du bist und auch das alter von Deinem Papa sagen.)
Mit Zitat antworten