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Alt 09.04.2010, 19:37
Antara-01 Antara-01 ist offline
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Standard AW: Meine liebe Mama, Du fehlst mir so sehr!

Liebe Julita,

es ist erschreckend, mich in deinen Worten wiederzufinden. Ich sehe, dir geht es ebenso wie mir. Das tut mir so leid. Du hast Recht. Unsere Mamas schauen bestimmt runter auf uns uns sorgen sich, wenn sie sehen, wie depremiert wir sind. Aber ich kann doch auch nicht so tun, als wäre alles in Butter... Es ist ja nichts in Butter.

Wenn ich heute in den Spiegel schaue, dann erschrecke ich mich vor mir selbst, weil ich jetzt in meinen Augen dieselbe Traurigkeit sehe, die ich in den Augen meiner Ma auch gesehen habe. Dieser Tunnel, dieser Sog, diese tottraurigen Augen. Ich bekomme sie nicht mehr weg...

Nein, ich habe auch keine Ahnung, was ich mit meinem restlichen Leben anfangen möchte. "Restlich" trifft es, denn anfühlen tut es sich jedenfalls, als wäre dies nur noch der klägliche und unwichtige "Rest" von irgendetwas, was einmal ein Leben war, das aber jetzt völlig irrelevant ist. Vielleicht hat das damit zu tun, dass unsere Gedanken und Leben in den letzten Jahren völlig von der Sorge um unsere Mütter ausgefüllt waren. Und nun, da diese Sorge fort ist, ist da ein Loch. Aber ich fürchte, dieses Loch geht viel tiefer. Es ist nicht nur die Sorge die fehlt. Es ist das eigene Leben. Ich habe nicht nur das Gefühl, dass meine Ma gestorben ist, sondern auch, dass ein Teil von mir mit ihr gestorben ist. Und das Teil, das nun fehlt, ist wie ein schwarzes Loch und reißt alles andere mit. Lust habe ich auch keine mehr. Ich funktioniere nur noch. Auch ich muss Geld verdienen, arbeiten, jeden Tag, aber da ist kein Funke mehr, kein Herzblut, es ist wirklich nur noch reines Funktionieren wie eine Maschine, weil es halt sein muss. Ich habe das Gefühl, mir ist der Sinn des Lebens abhanden gekommen. Früher, da hat es mich gefreut, meine Ma stolz zu machen. Das war mein Antrieb, sie glücklich zu machen. Aber jetzt ist keiner mehr stolz auf mich. Was nutzt mir irgendeine Freude, wenn sich keiner mit mir mitfreut? Ich habe eine Mann, und obwohl ich meinen Mann sehr liebe, muss ich sagen, dass ein Mann kein Ersatz für eine Mutter ist. Eine Mutter ist Heimat. Sie ist der Mensch auf Erden, der uns am längsten und besten kennt. Sie ist ein Teil von uns. Und wir sind ein Teil von ihr. Ein Mann kann diesen Platz nie ausfüllen, und wenn er sich noch so sehr bemüht.

Bitte mache dir keine Vorwürfe, dass du deiner Ma wegen Weihnachten Mut gemacht hast! Ich finde das ganz toll, dass du das gemacht hast. Du hast ihr bestimmt viel Kraft dadurch gegeben. Krebs ist so unberechenbar. Man weiß vorher nie, wie diese Krankheit verläuft. Manch eine andere Ma erlebt unter vergleichbaren Umständen vielleicht auch noch das nächste Weihnachtsfest. Und ohne Hoffnung kann man auch nicht kämpfen. Hoffnung muss da sein. Dass sie sich nicht erfüllt hat, daran trägst du keine Schuld!

Ja, ich dachte auch, mit der Zeit würde es besser werden, dabei wurde es immer schlechter, und jetzt ist es chronisch. Man spricht ja im Allgemeinen von einem Trauerjahr. Ich denke, das sollten wir uns auch ohne Ungeduld zugestehen.

Ich wünsche dir ein paar Lichtblicke, auch an diesem Abend! Aus meinem Fenster sehe ich gerade die letzten Sonnenstrahlen eines schönen Frühlingstages. Die Vögel zwitschern im Garten. Die Katzen tollen auf der Terasse herum. Es gibt dennoch auch so viele schöne Dinge. Ich wünsche dir, dass du ein paar davon wahrnehmen kannst.

Alles Liebe,

Yvonne
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Mama 21.11.1941-09.08.2009 (Zungenkrebs)
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