Thema: meine Eltern
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Alt 11.03.2004, 01:11
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Standard meine Eltern

Liebe Alexa und Michael

Für euch beide:

"Stark sein bedeutet nicht nie zu fallen;
Stark sein bedeutet immer wieder aufzustehen"



Von dir Alexa weiss ich, dass du jung bist, von Michael gehe ich davon aus. Ich bin 43, also auch ein junges Mami auch wenn mein Körper nicht mehr so jung ist aufgrund der MS und ich mit Stützrädchen gehen muss, aber ich gehe noch!!

Ja ich weiss wie es ist, wenn man eigentlich reden möchten, auch sagen möchte es geht einem nicht gut und dann das ganze mit einem Lächeln überspielt und lakonisch sagt es geht oder es geht sogar gut! Was uns am meisten fehlt ist zeitweise die spontane Frage wie es den Boys und mir geht, es ist selbstverständlich dass nach Willy gefragt wird, aber niemand interessiert sich wirklich wie es uns so geht.

Wir haben, vor allem aber ich, das Problem das ich oft gar nicht über die Probleme, Ängste oder den wahren Zustand von Willy sprechen kann da er fast immer um mich herum ist und ich so nie die Gelegenheit habe alleine mich jemandem auszusprechen oder gar zu heulen. So ist es schon vorgekommen, dass ich in der Strassenbahn ganz leise vor mich hin geheult habe. Dabei wäre es mir wohler gewesen wenn jemand mich einfach in den Arm genommen hätte.

Du hast gefragt wie unsere Boys damit umgehen.

Sie sagen es ist seit Jahren bei uns der Ausnahmezustand ausgebrochen und wir leben in einer dauerhaften Tal- und Bergfahrt resp. Gratis Achterbahnfahrten und das ohne Pause!!!!

Auch sie sind ganz anders Erwachsen geworden wie andere und mussten schon früh sehr viel Zurückstecken, Dinge tun die eigentlich erst später zu tun wären und sind daurch viel schneller Erwachsen geworden.

Na Pascal mag es fast nicht mehr hören wenn es irgend welche schlechte Nachrichten wieder gibt. Er hat grosse Schwierigkeiten mit diesem ganzen Auf und Ab!

Er hat aber eine liebe Freundin die ihm hilft. Ich weiss er redet viel mit seinen Freunden, Marc auch.

Pascal hat sich schon sehr früh mit eigenen frühen Tod auseinander setzen müssen, denn er hat auch eine tödlich verlaufende Erkrankung.

Marc hat als er 6 Jahre alt war auch seine Todessehnsüchte gehabt, da er aufgrund seines nicht einstellbarem Asthma so oft Atemnot hatte, dass er sich einfach mal ruhe wünschte! Da hat er dann von den Sonnenstrahlen- und Mondstrahlenkinder gesprochen und ich habe dann das all Gedankegedicht geschrieben.

Marc und Pascal waren sehr gut in der CVJM eingebettet bis vor kurzem. Jetzt haben sie leider keine Zeit mehr.

Hart hat es Marc getroffen in den letzten Jahren bezüglich seinen Freunden, ist wahrscheinlich auch ein Grund warum er das Ganze nicht so nahe na sich heranlassen will. Marc hat auch schon sehr früh mit der Kirchgemeinde am alten Wohnort die Jugendarbeit aufgenommen und das Jugenddisco sowie das Jugendcafé wieder aufgebaut. Es war eine Gruppe von 5 Jugendlichen die durch dick und dünn gingen. Marc, Thomas, Patrick, Dominik und Christian. Christian starb bei einem Verkehrsunfall 1996, da brach für Marc eine Welt zusammen. Schlimm wurde es aber als 1999 sein bester freund Thomas (der für uns wie ein Sohn war und ein und aus ging wie bei sich zu hause, wir lustige Mitternachts Spaghettifressattacken hatten, schlitteln gingen und vieles mehr) – er starb am 17.21999 bei einem Tramunfall als es geschneit hat und die Haltestellen nicht von Eis- und Schnee geräumt wurden. Marc, wir aber auch, leiden heute noch sehr unter dem Verlust von Thomas, er fehlt uns allen an allen Ecken und Enden. Marc hat danach den Halt etwas verloren und wäre fast abgerutscht in eine Szene die ihm nicht gut tat, er war aber stark und ist nicht abgerutscht. 2001 starb dann auch noch Patrick bei einem Arbeitsunfall, im gleichen Monat wie eine weitere Freundin von Marc bei einem Autounfall starb als ein Geisterfahrer ihr die Vorfahrt nahm. Also wie du siehst, musste er sich oft mit dem Tod von sehr engen Freunden auseinander setzen und jetzt kommt noch die Angst um sein Paps, der nicht an einem Unfall sterben wird, sondern lange leiden muss.

Wenn es Pascal schlecht geht kommt er wie ein Kleinkind und kuschelt sich ganz fest an mich und braucht einfach seine Mami die ihm den Kopf streichelt, ihn massiert und herzt. Wenn ihm zum heulen zu mute ist, dann macht er es, er geht auch zu seinem Papi und weint. Er versucht auch spezielle Situation herbeizuschaffen die er ganz alleine nur mit seinem Paps noch erleben kann, als ob er versucht alles schöne noch irgendwie zu speichern. So zum Beispiel jetzt das Autofahren lernen, in der Schweiz kann man auch Privatstunden nehmen und üben und muss nicht alles über den Autofahrlehrer laufen lassen. Da ist er wahnsinnig stolz dass sein Paps noch da ist und ihm hilft. So wollte er auch, dass seine erste Privatstunde mit seinem Paps abgehalten wird, auch ich musste dabei sein, dass wollte er mit uns teilen, Noch dazu war es in seinem mühsam erspartem eigenen Gebrauchtwagen den er sich nun mit seinem Lehrlingslohn gekauft hat ohne sich zu verschulden. Da sind wir wahnsinnig stolz darauf. Nun kommt er immer und fragt ob er mit uns zum Einkaufen fahren soll (ich geh ja noch 2x wöchentlich einkaufen für meine blinde und gehbehinderte Mutter, und das normalerweise mit der Strassenbahn und meinem Gehwagen (ich bin ja auch gehbehindert!).

Marc schluckt vieles, er ist aber auch in der Lage mit Freunden zu sprechen, das merken wir daran, dass seine Freunde uns immer fragen wie es Willy geht. Er ist der Typ der uns nicht belasten will, aber gerade das belastet, denn wir sehen es arbeitet in ihm und es geht ihm nicht so gut, aber er schafft es nicht mit uns zu reden. Per Internet sprechen wir miteinander unter der Woche (vie Messanger) da Marc ja wochentags in Bern lebt in einem Behindertenheim wo er auch eine Ausbildung zum Elektroniker macht. Marc ist aber auch in Psychotherapie da er am 31.12.2000 Opfer eines Gewaltverbrechens wurde (Raubüberfall im Tram) und dabei schwere Gesichtsverletzungen erlitt. Ich bin sehr froh, dass er Therapie hat. Aber auch er kommt und nimmt mich und sein Paps in den Arm wenn er es für nötig befindet. Das tut uns allen sehr, sehr gut.

Beide sagen uns sie haben uns sehr lieb so wie wir unsere Gefühle auch mitteilen können. Das ist so schön, es ist wie eine Zauber.

Beim Marc ist mir aufgefallen, dass er etwas zugenommen hat seit der Diagnose vor 1,5 Jahren, ich gehe davon aus, dass er ein Frustesser ist und das macht mir sorgen. Sein Gewicht ist aber nicht gefährlich, er haut einfach ein bisschen zu viel. Liegt u.a. sicher auch daran, dass wir gar nicht mehr regelmässig zusammen essen können. Ich versuche ihm klar zu machen, dass er aufs gewicht achten muss, hat er doch gesundheitliche Probleme bei denen zu viele Gewicht nicht unbedingt förderlich ist.

Für Marc wünschte ich mir eine liebe Freundin mit der er durch dick und dünn gehen kann, aber seit dem es mit Nadja und ihm aus ist gab es keine mehr (sie sind 1997 auseinander, hat aber noch einen super guten Kontakt zu ihr – wir auch).

Beim Pascal muss eher aufpassen dass er nicht abnimmt mit seiner Krankheit, er ist sowieso mager! Er ist ca. 188cm und ca. 54/56 kg schwer!

Kurz nach der Diagnose hatten wir rel. häufig Krach, da die Jungs nichts mehr hören wollten, Willy es aber rauslassen musste und ich dazwischen stand. Das hat sich aber deutlich verbessert.

Willy hat sich als Ziel gesetzt seine Enkelkinder noch zu sehen. Ich bin froh, dass er sich das Ziel gesetzt hat, denn es gibt ihm Kraft auch wenn die Realität, zumindest laut Ärzten ganz anders aussieht. Aber ich gebe auch nicht auf. Auch wenn ich zeitweise einen totalen Hänger habe.

Pascal und Marc wünschen sich sehnlichst einmal mit uns in die Ferien gehen zu können, wir waren das letzte Mal so richtig im Urlaub 1985 als Pascal gerade mal 10 Monate alt war, seither haben wir nur einen Verwandtenbesuch in England gemacht und das war 1992. Sie möchten gerne mit uns einfach lange Spaziergänge im tiefen Schnee machen und einmal an die Wärme gehen. Aber das wird wohl nie stattfinden, auch wenn er es jetzt noch gesundheitlich verkraften könnte, denn es liegt finanziell nicht drin. Das macht mir eher zu schaffen, denn wir mussten schon seit Jahren auf vieles verzichten weil die Jungs krank warne oder wegen mir und jetzt wo es wirklich auch darum geht etwas zu machen mit ihrem Paps im Wissen die Zeit drängt geht es nicht. Das ist halt das Schicksal.

Ich bin nur froh, dass Willy und ich 1998 eine Geschäftsreise nach Israel noch machen konnten (5 Tage) wo wir am Toten Meer waren und Jerusalem und Bethlehem besucht haben. Davon träumt und schwärmt Willy heute noch. Ich bin so froh das wir damals eingeladen wurden vom Innenministerium von Israel. Wir hätten es nicht machen können.

Über den Tod selber haben wir im Zusammenhang mit Willy nur zeitweise gesprochen, so beispielsweise als Willy operiert wurde und es auch sehr, sehr schlecht um ihn stand. Das Thema Testament ist kein grosses Thema aus einfachem Grund ich bin noch da und nicht wie bei dir wo beide Eltern eine Krankheit haben bei der man nicht weiss wie das Jahr sein wird. Es gibt an sich auch nicht viel zu regeln, denn die schlechte Gesundheit von uns allen und das seit Jahren hat unser Erspartes aufgebraucht. Die Kinde wissen einfach, alles was von meinem Vater noch da ist (ist nicht sehr viel – er war Künstler) muss in der Familie bleiben und über den Rest können sie verfügen, wir sind auch nicht sehr materiell orientiert sondern eher praktisch. Für uns ist aber sehr wichtig , dass falls etwas passiert für unsere Tiere gut gesorgt wird.

Marc und Pascal sind aber über unsere Wünsche bestens orientiert wie wir es uns vorstellen bei unserem Ableben, also, dass wir wenn möglich zu Hause sein möchten, auf alle Fälle unsere Boys und evtl. noch meine Mam dabei haben möchten. Und dass wir keine lebensverlängernde Massnahmen wie Beatmung haben möchten, wenn es klar sein soll, dass der Fall hoffnungslos ist. Die Schmerztherapie muss aber gewährleistet werden udn Sauerstoff ist gestattet. Über unsere Beerdigungen haben wir uns auch schon Gedanken gemacht (noch vor dem Krebs), das müssen wir aber noch schriftlich machen, leider ist es etwas was man nicht gerne macht, denn es hat so einen unangenehmen Beigeschmack als ob man, wenn man sich mit dem auseinandersetzt, den Tod beschleunigen würde.

Vielleicht es auch der Grund warum deine Eltern es noch nicht können. Vielleicht haben sie auch schon alles geregelt und es liegt irgend wo einfach bereit für den Fall um dich nicht jetzt schon zu belasten. Wir würden auf alle Fälle auf die Frage eingehen wenn die Jungs kommen würden um zu fragen was zu tun ist wenn so was passieren sollte.

Aber falls sie dass Thema irgend wie indirekt aufbringen, versuche es aufzugreifen und darüber zu sprechen, vielleicht haben sie schon im verborgenen versucht darüber zu sprechen und niemand verstand genau was eigentlich besprochen werden sollte.

Ich habe ja lange als Sterbebegleiterin gearbeitet und habe oft gesehen, dass die ersten zaghaften Versuche das Gespräch in Richtung Tod, Testament, Beerdigung zu lenken noch so undeutlich warnen, dass es nicht gedeutet werden konnte. Aber man sollte versuchen den Faden aufzunehmen und darüber zu sprechen.

Ich hoffe dir so ein paar Antworten auf deine Fragen geben zu können, wie gesagt du kannst auch ein Mail privat schicken. Zu jederzeit.

Alexa, und Michael, ich weiss ihr seid beide zwei ganz starke Menschen, wenn ihr das Bedürfnis habt abzuladen dann macht, mein Ohr ist euch garantiert.

Es grüsst ganz lieb und wünscht euch zuerst eine gute Nacht und dann einen guten und trotz allem wunderschönen Tag

eure Liz
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