Thema: Gedanken
Einzelnen Beitrag anzeigen
  #10  
Alt 27.02.2010, 19:55
Sousha Sousha ist offline
Gesperrt
 
Registriert seit: 20.09.2006
Beiträge: 242
Standard AW: Gedanken

Hallo Ihr tollen Frauen,

ich meine das ernst, weil ich diese Offenheit in diesem Thread als sehr wohltutend empfinde.

Ich gehe mit der Erkrankung sehr offen um und auch ich finde es bisweilen schwierig zu entscheiden, was ich meiner Familie/Freunden zumuten kann.
Ich sage ihnen immer wieder, dass sie mir mitteilen müssen, wenn es für sie zuviel wird. Als ich von meinen Behandlungswochen in Oberstaufen abgeholt wurde, war ich jedesmal so voller Eindrücke und z.T. schmerzvoller Erfahrungen, dass ich das bereits auf der Rückfahrt beschreiben musste. Meine Mutter hat mir an einem dieser Tage mal gesagt, dass sie jetzt einen Themawechsel benötigt, weil sie von meinen Erzählungen sehr betroffen war. Sie hat mir dann erklärt, dass sie ein schlechtes Gewissen hat so etwas zu sagen. Ich habe sie beruhigt und auch dazu ermuntert immer wieder eine Grenze zu ziehen, wenn es für sie zu schmerzhaft wird. Ich wünsche mir das von den mir nahestehenden Menschen, weil es ja schließlich nicht nur um mich und meine Erkrankung geht.

Als mich einige Freunde nach der OP des Rezidivs aus dem Krankenhaus abgeholt und nach Hause gebracht haben, haben sie Wein besorgt und kleine Köstlichkeiten und wir haben zusammen gegessen, geweint, gelacht und es war eine sehr warme und liebevolle Athmosphäre. Ich war nach dieser Nachricht, dass "er" schon wieder versucht sich in mir breit zu machen sehr geschockt und in Endzeitstimmung. Ich habe sie gebeten, sich zu überlegen, ob sie mich auch auf dem letzten Weg begleiten würden, wenn es denn so kommen sollte. Ich bat sie, sich das gut zu überlegen, weil dies eine sehr spezielle Sache ist. Ich habe die Erfahrung einer Sterbebegleitung bei einem sehr geliebten Menschen gemacht und es war sehr schmerzvoll und traurig und zugleich auch sehr kostbar für mich. Wir konnten sie in Liebe bis zum letzten Augenblick begleiten und ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung und froh, dass ich den Mut hatte diese Situation zu durchleben.

In Gedanken habe ich bereits "geplant" wer mein Auto bekommen soll, wer für meine Katzen sorgt, welches Schmuckstück für wen bestimmt ist, welches Lied an meiner Beerdigung gespielt werden soll (My way), wer es singen soll und dass meine Asche ins Meer verstreut werden soll. Ich stelle mir vor, wer wohl alles kommt und dass die Menschen nicht in Schwarz erscheinen sollen. Ich versuche alle noch offenen Konflikte zu bereinigen, damit diesbezüglich nichts ungeklärt bleibt. Oder einfach den Menschen immer wieder sagen, wieviel mir ihre Freundschaft bedeutet und sie teilhaben zu lassen an meinen Gefühlen, Gedanken, Ängsten, Hoffnungen....

Das kennt ihr sicher auch: Jeder kommt mit einem Buch, einem Tee oder einer Internetadresse um die Ecke und manchmal ist es mir einfach schon zu anstrengend zu entscheiden was ich heute essen will.Es ist gut gemeint, aber manchmal überfordert mich das alles.

Für viele gesunde Menschen bedeuten diese Gedanken an meinen Tod so etwas wie Aufgabe. Aber das ist es nicht für mich. Ich empfinde es eher als Akzeptanz meiner Lebensumstände. Ich bin momentan medizinisch und mental weit entfernt vom Sterben und mache mich wieder auf ins "normale" Leben mit arbeiten und so. Dennoch weiß ich nicht was kommt und ich habe durch diese Erkrankung die Endlichkeit menschlichen Daseins begriffen.

Der Austausch mit betroffenen ist etwas besonderes. Es ist als würden wir uns einer eigenen Sprache bedienen. Es ist einfacher all die Erfahrungen und Gefühle, die mit der Erkrankung zusammenhängen zu beschreiben, angefangen damit welch ein Schock die Diagnose auslöst, über die individuellen Strategien damit umzugehen bis hin zu Themen wie Schlafstörungen, Ödeme, Portprobleme, Behandlungsansätze, usw. Gott sei Dank habe ich Freunde, die sich auf diese Dinge einlassen können und mich wirklich stützen, wenn ich es brauche. Dennoch ist es anders als mit betroffenen zu sprechen.

Heute war ich am See (ich wohne in der Nähe des Bodensees) und es war frühlingshaft, sonnig und roch nach Frühling. Erste Krokusse habe ich gesehen und meine Mutter hat Kässpätzle für mich gekocht. Nach der langen Behandlungszeit, der Müdigkeit, den Schmerzen, der Apettitlosigkeit, der langen Dunkelheit und dem vielen Schnee fühle ich das Leben auch in mir erwachen. Hoffnung, Lebendigkeit und Liebe zum Leben durchfluten mich, lassen mich meine Vorstellung von Glück empfinden und Pläne schmieden, wie das zu realisieren ist. Es ist nicht vermessen seine Träume zu erfüllen! Der einzige Unterschied zu Menschen die gesund sind ist der, dass ich nicht mehr lange damit warten werde.

In diesem Sinne wünsche ich Euch allen

ein Frühlingserwachen ohnegleichen!

Sousha
Mit Zitat antworten