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Alt 02.10.2009, 05:51
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rosa.sputnik rosa.sputnik ist offline
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Standard AW: Betroffen?! Angehörig?! Herzlich Willkommen!

Liebe Annika,

ja,... Kraft brauchen wir alle im Moment.
Wir sind jetzt seit zwei Wochen wieder in Austin und die Erinnerungen holen mich hier stärker ein als in Deutschland, in Mamas Wohnung.
Es vergeht kein Tag an dem ich nicht mindestens zwei- oder dreimal bei ihr anrufen will... etwas erzählen möchte.
Wir haben immer mindestens 2x täglich telefoniert... immer...
Über unser neues Haus, Julias erste Schultage, wie paddelig mein Göttergatte manchmal ist... alles Mögliche halt.
Ich ertappe mich oft dabei wie mir ein "Ach Mensch, Mami" rausrutscht...
Knappe 20 Kisten habe ich hergeschickt, mit Mamis Kleidung, persönlichen Gegenständen, Erinnerungen...
16 sind angekommen bisher und ich habe mich drei Tage davor gedrückt sie auszupacken...
Heute habe ich damit angefangen und es hat mich oft so traurig gemacht...
Sie hat sich immer so superteure Anti-Falten Cremes gekauft... als sie noch lebte sagte ich immer zu ihr dass sie die Cremes doch mal wieder nehmen solle.
Nein, erst wenn sie wieder gesund sei... bei diesem "Monsteraussehen" würden die besten Cremes nichts nutzen.
Heute packte ich sie aus... unbenutzt...
Es war schlimm...
Anfangs war eine gewisse "Erleichterung" da, dass sie nicht mehr leiden muss... jetzt aber fehlt sie mir so sehr...
Manchmal schleicht sich die Erleichterung auch für einen kurzen Moment wieder ein, aber es hält nie lange an...
Im Moment ist es nachts am Schlimmsten... irgendwie laufen ihre letzten Wochen, Tage, Stunden und Minuten immer wieder wie ein Film vor mir ab...
Klar, wir waren seit Dezember letzten Jahres mit den wenigen Krankenhausunterbrechungen 24h rund um die Uhr zusammen auf engstem Raum.
Und immer wieder überkommt mich Wut auf diesen verdammten Palliativdienst... ja Bibi, nicht alle Palliativdienste sind gut für jeden Patienten.
Und ich werde wütend auf mich weil ich diesen Dienst nicht schon viel früher gefeuert habe... weil ich es "zugelassen" habe dass sie den Willen meiner Mom brechen wollten... weil sie zu "störrisch" war ihrer Meinung nach...
Weil sie eben nicht sterben wollte... und es nicht wissen wollte, und nicht darüber reden wollte.
Weil ich manchmal nicht wusste was ich sagen sollte, wenn sie mich ansah, in Tränen ausbrach und weinte dass sie nicht sterben will...
Weil ich dachte es sei gut wenn sie das Dormikum bekommt,... damit sie ruhiger wird... und damit ist sie in einem tagelangen Alptraum gefangen gewesen...
Und dann wieder bin ich froh dass der Hausarzt in letzter Minute aus dem Urlaub zurückkam... diese verdammte Pumpe abstellte und ihr den Dauerkatheter legte... so hatte sie wenigstens 36 Std. Ruhe.
Und ich bin froh dass wir alle bei ihr sein konnten als es geschah... dass wir die Möglichkeit dazu hatten... dass sie nicht mitten in der Nacht ging.
Das war meine größte Angst, von Anfang an... dass ich schlafen könnte... und aufwache... im selben Raum... und sie gegangen wäre.
David und ich haben gute zwei Wochen Wechselschichten geschoben... ich tagsüber... er nachts... damit das nur ja nicht passiert...
Und trotzdem... immer wieder höre ich ihre letzten Atemzüge... immer wieder spüre ich ihren Kopf wie er an meinem lehnte, ich sie ganz feste im Arm hatte... und wie der Atem immer flacher wurde,... aussetzte... wie ein Atemzug... vorbei...
Und im selben Moment das verdammte Telefon... es lag neben mir... ich wollte nicht rangehen, was ich aber noch viel weniger wollte war dass es 6x klingelt, dann der AB mit Mamas Stimme rangeht... und dann möglicherweise noch irgendwer irgendetwas draufträllert.
Also bin ich rangegangen... es war ihre älteste Freundin...
Ich sagte nur: "Conny, ich kann nicht... Mami ist gerade gestorben." und legte auch sofort wieder auf.
Und auch da frage ich mich ob sie in diesem Moment wirklich schon tot war... oder ob sie es gehört hat.. und vielleicht Angst hatte...
Wenn ich könnte... würde ich wissen wollen ob es ihr jetzt gut geht... aber auch auf diese Antwort werde ich warten müssen bis es bei mir einmal soweit ist.
Ich zumindest kenne niemanden der zurückkam und sagte: Hey, da ist es klasse... alles prima,... sorgt euch nicht.

Anni, ich glaube dass es ein ewiger Rauf und Runter ist... und dass es nie weggehen wird... dieses Vermissen und die Sehnsucht, aber irgendwann lernt man, hoffe ich, damit zu leben.

Ich drück Dich feste und denk an Dich

Jasmin
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Meine Mama: ED 12.11.2008 Kleinzelliges Bronchialkarzinom, T4 N3 M1 (multiple Hirnfiliae)
4 Zyklen Cisplatin und Etoposit, Ganzhirnbestrahlung, dann Tumorprogression, April 09 neue Lungenmetastasen und obere Einflussstauung. Keine weitere Kontrolle, keine Chemo mehr... nur Hoffen auf ein kleines bisschen mehr Lebensqualität...Am 28.07.2009 um 11:26 Uhr Meine Mama ist in meinen Armen für immer eingeschlafen...
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