Mein geliebtes Herz,
was war das nur wieder für eine Woche? Es wird dringend Zeit, dass ich Dir wieder einen Brief schreibe. Ich muss es aufarbeiten, aber es macht mir komischerweise Mühe, zu schreiben.
Also letzten Mittwoch... ich war schon einen Tag aus HH zurück. Alles hat sich in mir gesperrt, schon direkt am Dienstag zu Dir auf den Friedhof zu gehen. Mir ist aufgefallen, als ich Montag durch HH gewandert bin, dass ich besonders intensiv die Orte genossen habe, die MEINE Stellen sind, die neue Hafencity z.B. Orte ohne Dich, Schatz, Du hast gerade mal die ersten Bauten mitbekommen. Aber die neue Magellanterasse, die lud so sehr zum träumen und verweilen ein. Und ich tat genau dies... ohne Dich. Ich hörte über Kopfhörer Musik, las ein Buch, sass in der Sonne und konnte das Wasser förmlich riechen. Alles ohne Dich. Es war ein komisches Bauchgefühl.
Mittwoch war ich dann oben bei Dir und hab ein bißchen Ordnung auf Deinem Grab gemacht, brachte Dir frische Blumen und wollte eine Kerze anzünden. Und da brach es aus mir heraus... mein Gott Schatz, ich weiß, ich hab geschimpft wie ein Rohrspatz. (Ein Glück, dass niemand kam.)
Es stürmte und brauste, war ein sehr unangenehmer Tag.
Dieser Sturm schien von Dir zu kommen, es kam mir vor, als wolltest Du mit mir schimpfen, dass ich ohne Dich in HH war, oder eher, dass ich anfange, auch ohne Dich gewisse Dinge zu genießen. Ich hab an Deinen Grab gehockt und immer wieder gesagt "warum gönnst Du mir das nicht? warum nicht? Du hast mich hier allein gelassen und ich muss nun mit den seelischen Qualen fertig werden".
Ich konnte nicht anders als immer weiter schimpfen und anklagen, meine Güte, war ich fertig. Dann versuchte ich als letztes, Deine Kerze anzuzünden. Aber sosehr ich mir auch Mühe hab, immer wieder brannte sie aus. Schließlich hab ich auch da die Schuld bei Dir gesucht. "DAnn sieh doch zu, woher Du Dein Licht bekommst, ich komm nicht nochmal heute vorbei, um sie anzuzünden". Wütend hab ich die Glastür zugeknallt und bin gegangen. Es war doch ein eindeutiges Zeichen von ihm, oder?
Später hab ich Axel auf den Friedhof geschickt, um die Kerze anzuzünden. Er war in 5 min wieder da... hatte überhaupt keine Probleme..... !!!!
Am Samstag bin ich nach der Arbeit noch zu einem Dorffest gefahren, wie erwartet hab ich nicht nur viele Freunde getroffen, sondern auch W. Seine ehrliche Freude, mich zu sehen, hat mich echt gerührt. Wir sind uns mitten im Saal um den Hals gefallen und haben den Rest des Abends (bin erst um 2:30 Uhr zu Hause gewesen) miteinander verbracht, an der Theke gestanden und geredet, geredet, geredet. Und als die Kapelle Musik spielte, bei der mir vor lauter Erinnerung an Dich die Tränen kamen, hat er mich umarmt und, ich sag mal, in seinen Armen geschützt. Das ganze Dorf hat uns zugesehen, einige anzügliche Bemerkungen sind ja direkt bis zu uns durchgedrungen
Und dann hat er mich wahrhaftig zum Essen eingeladen.
Alfred, mein Herz, ich weiß, wie sehr Du W. gemocht hast, und ich weiß auch um die komplizierte Konstellation mit K+J. Aber ich hab ja auch nicht vor, eine ernsthafte Beziehung zu führen, erstmal sind W. und ich beide allein und sehnen uns nach freundschaftlicher Gesellschaft. Mehr kann und wird es niemals sein. Aber warum sollte ich seine Freundschaft nicht erstmal genießen?
Sonntag war ein ziemliches Gefühlschaos in mir. Ach Herz, ist das ein Sch***Leben.
Gestern, wieder ein Mittwoch, war ich oben bei Dir auf dem Friedhof. Es war warm draußen, nicht zu heiß, ich hab im Schatten auf der Grabumrandung gehockt und in mir war alles ruhig. Als ich Deine Kerze mit einem Streichholz anzündete, ging es diesmal sofort. Klar, war ja auch nur ein laues, warmes Lüftchen da draußen. Ich wollte das Streichholz auspusten... aber es ging nicht. 3x musste ich kräftig pusten, ehe es ausging. Und dann war mir, als wenn Du mit mir sprechen würdest.
"Wenn Du meine anderen Zeichen nicht verstehst, dann lasse ich dieses Feuer weiter brennen. Geh, es ist alles gut, ich bin nicht böse". Ich hab sooo geweint (jetzt laufen mir auch wieder die Tränen), hab noch sehr lange dort gesessen. Ich fühlte mich, als wenn ich liebevoll umarmt werde. Alles um mich herum war friedlich, warm, angenehm. In mir war soviel Ruhe... eigentlich wie früher oft an Deinem Grab.
Zuhause habe ich dann DVDs mit unseren Urlaubsvideos rausgeholt. Ich sah Deine warmen Augen, die mich immer so voll Liebe angeschaut haben. Es waren lustige, verrückte Szenen dabei mit den Jungs, leise intensive Umarmungen, wo die Jungs die Kamera draufgehalten haben. Ich sah Freude und Liebe in Deinen Augen, auch Trauer bei dieser Weihnachtsbescherung.
Ich liebe Dich, alles ist wieder gut. Keine Wut mehr, Du bist bei mir, in mir, Du bist mir nah.
Gestern kam dann auch eine SMS von W., wir werden wohl Sonntag zusammen essen gehen. Ich freue mich sehr, gleichzeitig hab ich Angst davor. Ich bin 22 Jahre nicht mehr mit einem anderen Mann aus gewesen als mit Alfred. Wie macht man das, wenn man einfach freundschaftlich miteinander verkehren will? Worüber redet man unverbindlich? Ich hab Angst.....
........... aber jetzt weiß ich, Du, mein Herz, bist wieder bei mir.
Ich liebe Dich.
