Mein Liebling,
am Freitag war ich bei der Trauergruppe. Ich hatte mir vorher vorgenommen, danach einfach mal nach Köln zu düsen, mich in die Altstadt an den Rhein zu setzen und mir.. na ich sach ma, frische Luft um die Nase wehen zu lassen.
Die Trauergruppe war diesmal ziemlich dezimiert, naja, Urlaubszeit eben.
Ich bekam an diesem Abend den Tip, Dir einen Brief zu schreiben, damit ich endlich meine Gedanken mal wieder ordnen kann.... was ich also hiermit mache.
Der Abend fing schon seltsam an. Wir bekamen wie so oft ein Bild von Schwester Genoveva in die Hand gedrückt und sollten die Eindrücke schildern. Thema diesmal? Ist der tote Partner weiterhin unser ständiger Begleiter?
Na super. Thema ins Schwarze getroffen.
Ach Alfred, ich hab wiedermal ständig schluchzen müssen. Ich bin wirklich mit den Nerven ziemlich am Ende, es geht furchtbar mit Riesenschritten auf Dein Jahrgedächtnis zu.
Bist Du immer noch mein ständiger Begleiter? Ich habe ehrlich an diesem Tag gesagt, dass ich immer verzweifelt "suche", dass ich komischerweise sogar in der Anzeige für Jahrgedächtnis, die ich vor ein paar Tagen entworfen habe, auch nur geschrieben habe, dass Du Gott sei Dank immer die Kinder sicher begleitet hast... instinktiv hab ich mich ausgenommen.
Also so fühle ich... Du schützt die Kinder, aber was ist mit mir? Warum bist Du nicht bei mir? Ich spüre Dich einfach nicht!? Daran werde ich echt wahnsinnig. Immer wieder sehe ich Dein Bild an, manchmal rede ich auch mit Dir, naja, sogar oft.
Aber meine Gedanken sind immer öfters bei anderen Männern, oder vielmehr gesagt, bei einem Mann, der mich mal liebevoll umschlingt, mir lieb zulächelt und dem ich wichtig bin. Keinem bestimmten Mann, aber die Sehnsucht nach Gesellschaft spukt mir wilde Dinge hins Hirn.
Kein Wunder, dass ich ein schlechtes Gewissen habe. Je mehr ich an Gesellschaft anderer Männer denke, desto mehr glaube ich, dass Du ärgerlich und eifersüchtig von da oben runterblickst und Dich deshalb nicht "meldest".
Ich bin aber am Ende meiner Kräfte, alleine durch dieses verdammte Leben zu gehen. Ich möchte endlich jemanden, der einfach mal mit mir essen geht, oder wie heute mit mir am Rhein spazieren geht.
Ach Schatz, der letzte Sonntag mit Kathi und Jörg war so wunderschön, dass ich heute alleine nach Köln gedüst bin. Einfach so, die Ohrstöpsel mit sanfter Musik ins Ohr und vorbei an massenweise Menschen (irre, was da so los ist mitten in Köln). Ab und zu am Geländer stehen geblieben und aufs Wasser geschaut, einen schönen Flohmarkt entdeckt, gleich ein Buch gekauft (einzig autorisierte Portrait von Robbie Williams), thailändisch gegessen, einfach auf die Wiese gehockt und die ersten 100 Seiten über RW gelesen. Ein wahnsinns-Tag. Ich war so ganz in mir... weiß einfach nicht, wie ich es sonst beschreiben soll. Also eigentlich ein guter Tag, aber ich habe weniger an Dich gedacht als mehr an ... ich weiß auch nicht... an alles mögliche.
Aber ich hab nicht an Dich gedacht und war traurig, weil ich allein in Köln war.
Ist doch sch****, wenn sich jetzt wieder der Gedanke einschleicht..... ob Du wohl traurig darüber bist, dass ich den Tag auch alleine genossen habe.
Liebling, das war erstmal alles für heute. Ich sollte also hier versuchen, durch Briefe an Dich meine Gedanken zu ordnen.
Für heute mache ich aber erstmal Schluss. Ich liebe Dich... und ehrlich gesagt, bin ich immer öfters einfach sauer auf Dich, weil ich alleine hier bin und keine Antworten von Dir bekomme. Warum haben wir über vieles gesprochen, aber nicht über mein Leben alleine als Mensch und Frau? OH ja, über meine Verantwortung als Mutter und "Verdienerin" der FAmilie haben wir gesprochen, aber darüber nicht.
Ich bin sauer darüber.... Du bist mir immer ferner... und das macht mich sauer auf Dich.
Ich bin wütend.... weil es mir das Leben immer schwerer macht.
Weißt Du, was Schwester G. am Freitag rundherum fragte? Ob unsere Trauer nach einem Jahr jetzt eine andere ist. Für alle war klar, die Trauer ist da, aber anders und nicht so dramatisch und heftig wie vor ca einem Jahr. Nur ich... ich sagte, die Trauer ist schlimmer geworden. Anfangs war für mich nur die Erleichterung der Erlösung für Dich da.
Jetzt trauere ich immer schlimmer, ich weine und weine, aber meine Trauer wird Wut und Verzweiflung. Ich finde das schlimmer.
"Aushalten" heißt es von den anderen zu mir. Bis zum 30.9. muss ich aushalten, furchtbare Heultage eingeschlossen und normal.
Ach übrigens waren wir zum erstenmal danach mit 4 Leuten ein Bier trinken in der Kneipe da in der Nähe. Also nix mit nach Köln fahren Freitagabend.
Alfred, wir müssen miteinander klar kommen. Ich will nicht mehr sauer sein, ich will endlich entspannter leben.
Ach Herz, Du hast mich mit vielen Konflikten allein gelassen. Ich bin einfach nur sauer. Sorry, heute geht nicht mehr.... nix anderes.
Ich liebe Dich... aber ich bin wütend.
