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Alt 27.07.2009, 09:00
Schneekugel Schneekugel ist offline
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Standard AW: Papa hat Flügel bekommen...

Hallo Papa,

ich weiß ich habe mich lange nicht mehr gemeldet, aber ich bin mir sicher, dass Du meine Gedanken auch so kennst. Ich habe Angst. Der Tag an dem sich mein Leben für immer verändert hat, naht. In vier Tagen jährt sich zum ersten mal der Tag an dem ich erfahren habe: "Dem Arzt gefallen die Mandeln nicht!" Letztendlich waren es zwar nicht die Mandeln, aber dennoch Krebs. Heute vor einem Jahr warst Du schon sehr schlapp. Du hast Unmengen abgenommen. Ich glaube morgen und übermorgen vor einem jahr waren Deine letzten Arbeitstage. Ich habe gerade unten rechts an meinem PC im kalender nachgesehen. Einfach die Zeit zurückgeblättert. Ich wünschte das würde auch außerhalb des PC´s funktionieren
Damals hast Du noch gesaht: "Ich lasse mich aber höchstens eine Woche krankschreiben!" Nach Deinem Tod habe ich mir Dein Handy angesehen. Du hast Deinem Arbeitskollegen noch geschrieben: "Morgen bin ich wieder da!"
Ich glaube sie vermissen Dich. Das haben sie uns auf der beerdigung versichert.
Es hat mir das Herz gebrochen, als ich Dein Handy gesehen habe. Du hattest immer ein Bild vom 1.FC Köln oder den Kölner Dom auf Deinem Handy. Aber Du hast es geändert. Erst nach Deinem Tod habe ich gesehen, dass Du als Hintergrund ein Foto von dem Blumenstrauß, den Ihr von Tante karin und Onkel Ernie bekommen habt, eingestellt hast. Neben dem Strauß steht das Hochzeitbild von Dir und Mama. Ich stehe zwischen Euch. Wir waren eine Familie und dass Du den Hintergrund geändert hast, zeigt mir wie wichtig wir Dir waren. Wir haben zusammen geweint, als die Ärzte Dir sagten, dass die Diagnose Krebs noch gar nicht sicher ist. Und wir haben zusammen geweint, als es doch bestätigt wurde. Auch zwischendurch haben wir zusammen geweint, weil wir alle Angst hatten. Um Dich.
Ich kann nicht fassen, dass ich Dich einen tag vor Deinem Tod angeschriene habe, dass Du essen sollst. Du sagtest: "Schrei doch nicht so. Das tut mir weh!" Und ich schrie wieder: "Was glaubst Du wie weh es mir tut Dir beim Sterben zuzusehen?" Etwa 12 Stunden später warst Du tot. Wieso hab ich Dich so angeschrien? Auch meine Angst hat mich dazu nicht berechtigt. Wir haben uns zwar beide wieder eingekriegt, aber dennoch werfe ich es mir heute vor.
Später haben wir noch zusammengesessen. Ich habe mit Mama Papiere sortiert und Du hast mir geholfen Sie durch den Aktenvernichter zu ziehen. Vorher hast Du sogar den Vogel noch sauber gemacht. Woher hattest Du die Kraft? Man reinigt doch keinen Vogelkäfig einen tag bevor man stirbt. der um es anders zu formulieren: Wenn man noch die Kraft hat etwas sauber zu machen, kann man doch nicht so schwach sein, dass man am nächsten Tag stirbt. Du hast es getan. Ich wünschte die Ärzte hätten Dich am Leben gehalten bis ich da war. Ich weiß bis jetzt nicht, ob ich in DEM Moment dabei war. Die Todeszeit auf dem Totenschein stimmt nicht mit der Aussage der Ärzte überein. Zu der auf dem Schein angegebenen Zeit war ich bei Dir, aber sie sagten, dass Du tot bist. Es ist ja auch eigentlich egal. Ich hoffe, Du hast auch so gesehen, dass ich bei Dir war. Dass ich Deine Hand hielt. Dass ich mich bei Dir für alles bedankt habe. Dank Dir waren wir eine Familie. Mein echter Vater wollte mich nicht sehen. Erst wenige Tage vor seinem Tod äußerte er, dass er mich sehen will. Zu spät. Und dann hat das Schicksal mir den besten Papa geschickt, den ich mir wünschen konnte. DICH!!! Ich bin so dankbar Dich gehabt zu haben. Auch wenn ich jetzt hier sitze und heule wie ein Schlosshund: Ich würde es immer wieder so wollen. Für die Zeit, die ich mit Dir hatte, lohnt sich das Leiden heute. Ich vermisse Dich so sehr. Und der Schmerz lässt nicht nach.

In Liebe Deine Irina
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*1949 +2009
Mein lieber Papa durfte nur 60 Jahre jung werden

31.07.2008: Überweisung ins Krankenhaus
13.08.2008: Diagnose "Nasopharynx CA T4N2M0 G3". Chemo und Bestrahlung!
09.01.2009: 60.und letzter Geburtstag
02.02.2009: Diagnose "Frühprogression" und Einleitung einer Antikörpertherapie.
01.04.2009: Schlaganfall als Nebenwirkung der Antikörpertherapie. Papa hat Flügel bekommen

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