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Alt 25.07.2009, 01:48
Lissi 2 Lissi 2 ist offline
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Standard AW: Es bleibt die Liebe

Mein geliebter Peter,
wieder Freitag, der 44. ohne dich hier in dieser Welt. Ich zähle ganz bewusst den 19.09. nicht dazu, denn da konnte ich dir bis kurz vor 15:00 noch in die Augen schauen, deine Hand halten, mit dir reden. Bis 14:10 war noch soviel neue Hoffnung da, bei dir und bei mir, Hoffnung das uns beiden noch eine kleine Weile bleibt, Hoffnung das es für dich noch eine kleine Weile ohne Schmerz und ohne Angst hier weiter gehen kann. 34 Minuten später hielt ich deinen Körper im Arm und sah über deine Schulter am strahlend blauen Himmel eine einzige kleine, schmale weiße Wolke und ich wusste sie war nur für dich, für deine Seele da. Der Arzt sagte: es ist vorbei! Ja ich weiß, aber für meinen Mann ist nur der Schmerz, die Angst und das Leid vorbei, alles andere bleibt! Das war meine Antwort, wortwörtlich, der Arzt hat es sogar im Krankenblatt notiert. Lange, sehr lange habe ich nicht mehr an diese letzte Szene gedacht, hatte nur die 32 Minuten davor im Kopf, immer und immer wieder spielten sich diese Minuten in meinem Kopf ab. Wollte ich mich damit ganz bewusst martern? Warum suchte ich in diesen 32 Minuten immer wieder danach, was dich hätte noch halten, retten können. Retten vor was??? Warum fragte ich mich immer wieder was hab ich in dieser Zeit falsch gemacht, was hätte ich noch tun können außer deine Hand zuhalten, dir die Stirn zuwischen, dir zuzulächeln, dich zuküssen und dir zusagen das es richtig und gut ist wenn du jetzt gehen willst??? Hab ich zu früh losgelassen???

Letzte Woche Freitag war es mal wieder ganz besonders schlimm. Es passieren so viele schlimme Sachen um mich herum und keiner da mit dem ich reden kann, dem ich meine Wut und mein Traurig sein mitteilen kann. T. ist gestorben, 37 Jahre jung, nur drei Wochen nach der Diagnose. Ja auch Krebs. Hab es am letzten Donnerstag erfahren, seine Frau fiel mir fast in die Arme, ich stand da und versuchte verzweifelt ihr ein klein wenig Halt zugeben und fühlte mich wieder mal so hilflos. Nun ruft sie mich fast täglich an, gestern hat sie mich gebeten mit zur Beerdigung zukommen... mein Gott ich weiß nicht ob ich das kann, jetzt schon kann und was ist wenn ich ihr und auch den beiden Kleinen keine Hilfe sein kann, was ist wenn ich versage??? Hab mir Bedenkzeit erbeten und ihr gesagt das ich mich bis Sonntag entscheide. Liebling, hilf mir bitte bei der Entscheidungsfindung! Letzten Dienstag ist Frau H. verstorben, eine meiner Lieblingspatientinnen, du kennst sie ja auch, was für ein feiner Mensch, auch sie hatte Krebs, schon lange, wir haben so oft von ihr gesprochen und du hast sie sehr bewundert, genau wie ich auch. Ich war am Dienstagmorgen noch bei ihr und als ich gehen wollte sagte sie: heute sagen wir uns nicht auf Wiedersehen, heute sagen wir uns Adieu. Am Dienstagabend ist sie verstorben. Am Mittwoch letzter Woche kam G. ins Krankenhaus und ich fürchte schlimmes... habe Angst um ihn und E. dabei hätten sie nun endlich auch einmal wieder Grund zur Freude, ihr erstes Urenkelchen ist geboren. Ich bin so wütend und so traurig zugleich, überall um mich herum ist fast nur noch dieses Wort Krebs, es ist echt zum heulen.
Ich hab mich mit letzter Kraft durch diesen 43. Freitag geschleppt, konnte wieder mal nicht schlafen. Dabei bin ich stehend ko, ständig müde, wünsche mir so sehr einen Schlaf der mich vergessen lässt. Also bin ich mitten in der Nacht aufgestanden, musste raus hier, hielt es hier nicht aus und hab mir unsere beiden Kerle geschnappt, ins Auto und einfach losgefahren. Zuerst ziellos durch die Nacht, plötzlich wusste ich wohin... bin ans Meer gefahren, dort wo wir immer hin sind um uns den Wind mal um die Nase pusten zulassen. Die Autobahn war fast nur für mich alleine da, im Radio noch eine CD von Grönemeyer, ewig lange nicht gehört, tut zu sehr weh, Erinnerungen an das Konzert vor zwei Jahren in Bremen( ach was war das schön) aber nun muss es mal sein, beiße dich durch diesen Schmerz, du kannst nicht ewig davor weglaufen. Man kann das heulen in der Nacht nicht sehen und hören tut man es auch nicht wenn man die Musik ganz laut stellt, außerdem es sind nur die Hunde und ich hier im Auto, wenn stört es???
Angekommen war die Enttäuschung erst mal groß, abgeschlossen der Übergang, nee nich, man kann es kaum glauben aber die sperren das Meer ein in der Nacht, na so was verrücktes. Zum Glück kennen wir uns ja hier aus, kleiner Umweg und dann stehen wir am Strand, na gut es ist noch dunkel, genau genommen ist nix zusehen, aber gut fühlt sich es hier an. Kuscheln uns in den Sand, rechts der Dicke und links Ben, beide müde. Ich schaue in den Himmel, ab und zu blitzen Sterne durch die Wolken dann wird es langsam unmerklich heller, ein neuer Tag bricht an. Meine Gedanken wandern mit den Wolken, ein schöner Himmel und plötzlich spüre ich, weiß ich wieder wie es in den letzten zwei Minuten deines Lebens war. Diese zwei Minuten, die so unerklärlich aus meinem Hirn raus waren, sind nun wieder da und ich weiß... nein ich hab dich nicht zu früh losgelassen... ja es war alles richtig... nein ich hätte nichts anders machen können und du auch nicht mein Geliebter, alles war gut so. In dieser Nacht, an diesem Morgen am Strand hast du mir diese letzten zwei Minuten deines Lebens noch einmal geschenkt, nun werde ich sie hüten wie einen Schatz, nun sind sie fest eingebrannt für immer. Nie waren wir uns näher.

Heute??? Ja es tut immer noch weh und du fehlst mir unbeschreiblich. Und ja ich bin traurig, sehr traurig, aber etwas ist anders geworden, bin ich am Boden, helfen mir nun die Erinnerungen an diese zwei Minuten. Irgendwann werde ich dich auch wieder in meinen Erinnerungen lachen sehen, irgendwann werde ich in der Erinnerung unsere gemeinsame Zeit vor der Diagnose wiederfinden... irgendwann... in der Zwischenzeit werden mich diese zwei Minuten dorthin tragen.

Ach ja und die CD von Grönemeyer läuft seitdem jeden Tag im Auto, ich halt es aus, oft mit Tränen und doch es tut gut.

http://www.youtube.com/watch?v=ALrQI...eature=related

Vielleicht fahre ich bald mal wieder ans Meer, nein heute Nacht nicht, aber wer weiß...

Ewig dein Engel
Lissi
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Wege entstehen dadurch,dass man sie geht.
Franz Kafka

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