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Alt 05.07.2009, 19:34
Bücherlilli Bücherlilli ist offline
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Standard AW: Ich habe Krebs! und mein Kind?

Liebe Petra,

meine Erfahrungen sind ein wenig anders. Meist hatte ich gute Reaktionen der "Erwachsenen", und die blöden Erfahrungen halten sich in Grenzen. Mei, sag ich mir heute, die Leute sind halt unwissend und hilflos ob ihrer eigenen Ängste vor Krebs. Da ist noch viel Aufklärung vonnöten. Der Bayer fordert treffend: Oh Herr, schmeiß Hirn vom Himmel.

Ich bin selbst alleinerziehend. Meine Tochter ist neun Jahre alt, 3. Klasse. Mitte Januar erhielt ich die Information, dass ich an einem lobulärem Karzinom erkrankt bin. OP und Chemo habe ich hinter mir und versuche jetzt, mich zu erholen.

Nach der Diagnose hatte ich mich mit der örtlichen Selbsthilfegruppe kurzgeschlossen. Auf deren Anraten hin habe ich meiner Tochter in dürren Worten erklärt, dass ich an Krebs erkrankt bin, dass es viele verschiede Krebsarten und Verläufe der Erkrankung gibt (meine Mutter war vor über 20 Jahren sehr schnell an Eierstockkrebs gestorben, das wusste meine Tochter schon lange und das machte natürlich Angst). Dass mein Krebs nicht ansteckend und vor allem behandelbar sei, dass ich nicht sterben würde und wenn es je so sein sollte, dann würde ich es ihr vorher sagen. Und sie würde keinesfalls in ein Waisenhaus kommen (was sie arg befürchtete). Ich glaube, diese klare Ansage hat ihr zumindest ein wenig die Angst genommen und gegen bösartige Mitschülerbemerkungen gewappnet. Ich habe auch Hort und Lehrerin über meine Erkrankung informiert. Vor allem die HorterzieherInnen waren ausgesprochen hilfreich und sensibel in dieser ganzen Zeit von OP und Chemo. Meine enger bekannten Mitmütter hatte ich auch informiert. Sie haben dann - vor allem an den Wochenenden - meine Tochter mal geholt, damit ich Ruhe und sie einfach Freude hatte.

So habe ich das letzte halbe Jahr einigermaßen überstanden. Leicht war es natürlich trotzdem nicht. Vielleicht weíl ich einfach lange Zeit nichts mehr mit ihr unternehmen konnte, selbst manchmal unausgeglichen und sogar aggressiv war, hatten wir in unserer kleinen Familie ordentliche Probleme. Von Unfolgsamkeit (eher: permanenter Widerspruch, endlose Diskussionen über Selbstverständlichkeiten) bis dahin, dass meine Tochter regelrecht nach mir geschlagen hat und auch mit mir gezielt gerauft hat, bis ich sie nur noch festgehalten habe damit das Raufen aufhört. Die schulischen Leistungen sind auch nicht prickelnd gewesen, aber das ist für mich in Anbetracht der Umstände auch o.k. Ich bin mit ihr zur Erziehungsberatungsstelle und habe auch recht bald den ersten Termin bekommen. Ziel war und ist, die richtigen Wege zu finden, um dem Kind wieder Sicherheit zu geben. Bei den Terminen spielte sie sehr lange mit der Beraterin. Das hat ihr schon gut getan. Ich bin auf die Auswirkungen der weiteren Sitzungen gespannt. Bisher haben wir herausgefunden, dass ihre Aggressivität wohl aus zwei Quellen kommt: Zorn und Unsicherheit darüber, dass ich nicht mehr wie sonst funktioniere, dass ich schwach und nicht verlässlich erscheine. Und weil dann, wenn wir Krach haben, meine Tochter auch deutlich merkt, dass ich noch am Leben bin!

Im übrigen genießt Tochter, dass ich - egal in welchem Zustand - zuhause bin und Zeit für sie habe! Makaber, nicht? Die ganzen früheren Jahre war ich arbeitsfähig und musste auch arbeiten. Das führte zu einem streng strukturierten Tagesablauf. Manchmal (oft genug) hatte ich auch wenig Zeit für sie. Da werde ich mir für die Zeit, da ich wieder arbeiten gehe, Konsequenzen für meine Work-Life-Balance einfallen lassen müssen!

Nun, mir scheint, dass sie, seit meine Haare nachwachsen, mit der Situation besser zurecht kommt. Ich komm ja auch besser klar, seit meine Nachwirkungen bzw. Tamoxifen-Neuwirkungen sich langsam reduzieren. Und da ist noch die Erziehungsberatung.

Von der Schule kamen zumindest keine größeren Klöpse. Im Hort habe einige Kinder gemerkt, dass ich eine Perücke auf dem Kopf aufhabe (Perücke ist meiner Tochter ganz wichtig, damit ich "normal" aussehe). Da ist sie erst erschrocken, aber dann hat sie das ganz cool bejaht. Damit war das Thema auch erst mal durch.

Ärgerlich ist für mich, dass ich eine onkologische Nachsorge genehmigt bekommen habe (auch für Begleitkind) - aber für eine Einrichtung, die als einzige Kinderbetreuung die Anmeldung in der örtlichen Grundschule managt! Dort gibt es wohl nicht mal nen Spielplatz in der Nähe. Ich kann nicht nachvollziehen, dass die Reha-Angebote für so eine typische Frauenerkrankung nicht von vorneherein qualifizierte Kinderbetreuung als Standard vorsehen. Nun, der Widerspruch läuft noch, bin mal gespannt.

Die Lehrerin deines Sohnes scheint ja ein Musterexemplar an "pädagogischer Begabung" zu sein. Für deinen Sohn ist das sicher zusätzlich traumatisierend. Sich zu all dem Kummer in seiner kleinen Seele auch noch als Versager zu sehen (das wird ja wohl nicht ausbleiben)! Ich wünsche dir und deinem Kleinen, dass er im nächsten Schuljahr eine bessere Lehrerin und bessere Mitschüler bekommt.

Liebe Anja, du hast sicher nicht in der Erziehung versagt. Sonst wären deine Kinder vor allem zu anderen Leuten grob und unhöflich. Kinder sind (davon bin ich bei aller Liebe überzeugt) einfach geborene Egoisten und das legen sie uns Müttern gegenüber nur schlecht ab. Bei den Mamas wird der ganze Frust rausgelassen (und die saubere Wäsche wieder abgeholt). Und unsere Kinder wissen, dass wir sie trotzdem (bedingungslos) lieben und nutzen das auch reichlich aus. Wenn ich an meine Zeit als Kind zurückdenke, oh Gott, was habe ich meine Mutter geplagt. Nicht weil ich sie nicht lieb gehabt habe, sondern aus Gedankenlosigkeit und Faulheit und weil sie für mich kein normaler Mensch war sondern irgend ein anderes Wesen. Das ist bei deinen Jungs sicher auch nicht viel anders. Bei mir hilft heute ab und an ein Familienstreik und richtig auf den Putz hauen, damit meine Bedürfnisse auch mal gewürdigt werden (klappt bei meiner sehr dickköpfigen Kleinen tatsächlich). Dir auf alle Fälle viel Vergnügen bei den Blackmores Night, das steht dir zu!

Euch viele liebe Grüße und uns allen Mut, Elisabeth
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