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Alt 05.06.2009, 20:56
Benutzerbild von annika33
annika33 annika33 ist offline
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Registriert seit: 09.04.2008
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Standard AW: Meine Mama: nichts ist mehr wie es mal war. Und die Welt steht still.

Liebe Thessa,

ehe ich gleich die Kleine hinlege, noch ein paar Zeilen...

Zitat:
Meine Mama hat mich nie mit meinem Vornamen genannt, immer Pitti gesagt, das war wohl mein Kleinkindname. Nun nennt mich niemand mehr so. Warum merke ich nicht, dass es ihr dort, wo sie jetzt ist, besser geht. Warum kann ich sie nicht irgendwie, und wenn es kurz ist, erspüren.
Oma und Opa sagten immer Sonne oder Nike. Mein Papa sagt seit jeher, wenn er es besonders liebevoll meint, Anna. Sonne und Nike höre ich nie wieder, nur noch in Erinnerung. Denke ich darüber nach...ja, das ist ganz traurig. Wiederum könnte das auch kein Mensch auf der Welt je so sagen, wie die Menschen, die ich jetzt nur noch in liebevollen Gedanken bei mir tragen kann.

Lass uns das bewahren, im Herzen. Ganz fest die Erinnerung. Und schau Thessa, Du schreibst, dass Du Dir so viel Gutes so lebhaft in Erinnerung rufen kannst. Ich erinnere mich an Blümchen, die damals mal in ihrem Faden schrieb, dass ihre Erinnerung zeitweise von nicht guten Eindrücken überlagert war. Nimm DAS, eben die Tatsache, dass Du Dir Gutes vor das geistige Auge führen kannst, als Zeichen Deiner Mama an.

Schau...vielleicht ist es so, dass die Welt, die Dimension, der Ort, an dem Deine Mama jetzt ist, für uns nicht gut erreichbar ist, und umgekehrt genauso. Irgendwann, dann erfährt man warum das so ist. Und dann klatscht man sich vor die Stirn, weil man das, was man jahrelang versucht hat vor lauter Kummer, Verzweifelung und Trauer zu ergründen, einfach nur nicht sehen konnte. Wenn ich meine Kleine morgens in den Kiga bringe, dann winken der Kleinste und ich hinterher immer an der Scheibe. Manchmal ist die Kleine schon so abgelenkt und schaut was die anderen Kinder machen....da können wir klopfen, rufen oder winken wie wild...unerreichbar. So ähnlich ist es jetzt vielleicht auch, Thessa. Gegenwärtig einfach unerreichbar und wir müssen uns mit den Erinnerungen, den Träumen und dem Glauben so lange über Wasser halten, bis wir irgendwann durch das Glas gehen können.

Ich weiß...gerade ich, die so oft im dunklen Loch hockt, versuche Dir Mut zuzusprechen. Aber das tue ich aus Überzeugung heraus. Aus dem Glauben heraus. Und ich weiß, dass auch Du glaubst. Und ich denke man darf sich gegenseitig darin bekräftigen.

Zitat:
Meine Geschwister müssen glaube ich wichtige Lebenslektionen noch lernen, ich merke mehr und mehr, wie meine Mama diese ganze Familie zusammengehalten hat und wie sie einfach auseinanderbricht. Was mir natürlich wahnsinnig wehtut. Meine Geschwister und ich sind sehr, sehr unterschiedlich. Das heisst, tiefgehende Beziehungen gibt es da nicht und mein Vater ist eben ein Vater, der nicht wirklich betüddelt werden will. Der ist sehr genügsam und meint, wir haben unser eigenes Leben und müssen und nicht auch noch um ihn kümmern.
Für alle ist die Situation neu und bestimmt schwer zu ertragen. Und so wie ihr vorher oft uneins wart, so ist es auch jetzt. Nur ein Bindeglied ist eben nicht mehr greifbar und interveniert nicht mehr. Die Strukturen haben sich geändert und ich denke jeder muss seine Rolle, seine Position in gewisser Weise neu finden.

Ganz wichtig dabei, sich nicht verbiegen zu lassen. Nicht auf Biegen und Brechen konform gehen, nur damit ein Stück heile Welt erhalten bleibt. Umgekehrt auch nicht mit dem Kopf durch die Wand. Ihr findet einen Weg - einen Mittelweg. Er wird nie mehr sein wie vorher, aber ich bin sicher - ihr findet einen Weg auch weiterhin Familie zu sein. Das wünsche ich mir von ganzem Herzen für Euch, insbesondere für Dich !

Zitat:
"Na, geht es jetzt langsam wieder?" Ich möchte die am liebsten alle an die Wand klatschen. Dann ein Satz einer Freundin, die neunmalklug meint: Du kannst mit Deiner Trauer nicht umgehen, es gibt ja externe Hilfe. Ich könnte kreischen. Wohlgemerkt haben wir nicht stundenlang über meinge Gemütsverfassung diskutiert, sondern ich habe ihr gemailt, dass es mir nicht gut geht und das ist die Antwort. Schlicht. Wenig nachgedacht und zum Kotzen.
Ich kann Dich gut verstehen. Bei Deinen Worten habe ich an eine Teilnehmerin hier aus dem Forum gedacht. SOFORT! Sie empfindet das nämlich ganz genau wie Du. Ich denke es gibt keine richtige Hilfe. Es gibt niemanden, der einem das wiedergeben kann, was man sich so inbrünstig wünscht. Es kann aber Menschen geben, die zuhören, die mitlesen , die versuchen ein wenig Halt zu geben oder einfach nur sagen...ich kann es ein wenig verstehen. Man kann füreinander dasein. Die Antwort, die Dir Deine Freundin per Mail hat zukommen lassen...ja, ohne Worte, Thessa. Was will man dazu sagen. Wie schrieb hier mal jemand?! Man muss erst in den Schuhen gegangen sein?! Das wiederum gönnt man niemandem. Also sollte man versuchen es ihr nachzusehen. Sie weiß es nicht besser und ist schier unfähig sich auch nur im Ansatz hineinzuversetzen. Ein Zeichen dafür, dass ihre Welt weitestgehend heil zu sein scheint.

Ich hab kürzlich mal versucht darzustellen, wie es sich anfühlt, wenn man einen Verlust erleidet. Es ist, als würde man einen Teil der Hand, einen Finger verlieren, oder einen Arm, ein Bein....auch wenn das Leben weitergeht, so ist es ohne diese Körperteil, dass zuvor ja wie selbstverständlich Bestandteil war, nie wieder das gleiche. Es ist verändert. Jeder Handgriff ist anders. Ich denke man würde lernen damit bzw. ohne zu leben. Aber nie mehr wäre ein Handgriff das, was er zuvor mal war. Und jetzt wo ich das schreibe...selbst da, weiß ich doch gar nicht, wie es wäre, wenn ich ein Körperteil nicht mehr hätte. Was ich damit sagen will....manche Menschen sind einfach nicht fähig sich in Leid hineinzuversetzen. Ich beneide sie...ihre Welt ist noch gut.

Zitat:
Wer hat Interesse an anderen? Wen bewegt es, wie es den anderen/ Freunden wirklich geht?
Ihr seht, ich stelle das komplette Leben in Frage.
Vor einiger Zeit ging ich spazieren. Es war ein Tag...da schien die Sonne aber ich war sehr traurig. Zwei alte Frauen, die gingen spazieren und die eine sagte zu der anderen:"Ja, als meine Mutter damals noch lebte....", und führte den Satz fort. Ich hab innegehalten und am liebsten wäre ich hingegangen und hätte gefragt:"Wie hält man das aus? Wie wird man so alt und kann weiterleben, mit dem Verlust der Mama?" Natürlich habe ich nicht gefragt, aber es beschäftigt mich. Es liegt in der Natur, dass die Eltern vor den Kindern gehen. Aber verdammt....kein Mensch spricht darüber, wie die Natur es vorgesehen hat, wie man damit umgehen sollte.

Weißt Du noch Thessa, als wir mal schrieben, hinsichtlich der Reife und des Erwachsenwerdens. Ich weiß nicht, ob das was Du "das Leben in Frage stellen" nennst, dazugehört. Vielleicht MUSS das so sein. Und vielleicht auch da wieder die Mama, die von ihrem Platz aus ein wenig leitet und lenkt. Vielleicht ist das der Weg, den man nehmen MUSS, um es auszuhalten.

Zitat:
Dann überlege ich, wie viele Menschen wohl schon im Mamas Zimmer gelegen haben, gestorben sind dort, etc.. Und dann wieder so unendlich oft das Bedürfnis, mit ihr zu telefonieren. Das hab ich im Moment täglich sicher zweimal.
Diese Gedanken die Du hast...ich glaube die beschäftigen jeden, der schon einmal jemanden innerhalb des KH´s hat gehenlassen müssen. Es ist glaube ich so ungewöhnlich gar nicht. Man verarbeitet, man denkt nach und ist auf der Suche nach Antworten. Und ich bin sicher ebensooft wünscht man sich, dass die Welt wieder heile wäre und alles nur ein böser, böser Traum. Sei nicht zu streng mit Dir selber und hadere nicht, ob Deiner Gedankengänge. Was meinste, was mir manchmal so durch den Kopf schwirrt.

Was das Telefonieren angeht...ich kann es nur erahnen, wie sehr es Dir fehlt. Und ich wünschte es gäbe eine Möglichkeit, das wahrwerden zu lassen. Ich kann mir vorstellen wie schmerzlich es für Dich ist und wie sehr es Dir fehlt. Ich telefoniere so oft mit Mama...allein der Gedanke, das eines Tages nicht mehr zu können ...

Weißt Du was ich Dir wünsche....wenn Du im Ausland bist beruflich...dann wünsche ich Dir Eindrücke, die es vermögen, die guten Erinnerungen erträglich werden zu lassen. Und ganz viel Sonnenlicht - das tut der Seele ungemein gut. Vielleicht noch etwas für Dich selber...etwas, wo Du fühlen kannst, dass Du körperlich ganz und unversehrt bist. Vielleicht einen Tag mit Verwöhnprogramm und Massagen, wo Du Dich körperlich wohlfühlen kannst. Und gute Gesellschaft....man trifft manchmal so unverhofft auf Menschen, die man kaum kennt aber die einen doch irgendwie in positiver Hinsicht beeinflussen können. So jemanden wünsche ich Dir an Deiner Seite.

Zitat:
Ich wollte nur Danke sagen, dass Ihr so lieb an mich denkt und um Verständnis bitten. Ich geistere hier im Moment nur still durch. Freue mich aber mit denen, die gute Nachrichten haben, von ganzem Herzen.
Ich denke hier hat ausnahmslos jeder Verständnis für Deine Situation und des daraus resultierenden Abstandes. Mach Dir keinen Kopf deswegen, Du Nase . Dafür sind wir doch da, menno !

Fühl Dich umarmt

Annika
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