Einzelnen Beitrag anzeigen
  #2  
Alt 22.11.2003, 12:02
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard Ungerechtfertigte Vorwürfe

Liebe Mia,
ich bin, wie du, nicht mehr Betroffene, da meine Mutter vor 10 Jahren verstorben ist. Trotzdem hat mit das Thema "Krebs" heuer im Frühjahr eingeholt - bei mir wurde Eierstockkrebs festgestellt. Ich kenne die oben angesprochene Problematik also von beiden Seiten.
Meine Mutter war immer ein lustiger, fröhlicher und ausgeglichener Mensch. In den letzten Monaten vor ihrem Tod hat sich dies aber grundlegend geändert. Sie wurde zunehmend ungeduldig, zum Teil sogar lästig und ungerecht. Ich wohne leider 30 km von meinem Elternhaus entfernt und zu dieser Zeit waren meine Kinder noch ziemlich klein ( 4 u. 6 1/2 Jahre). In dieser schweren Zeit hat eine Tante von mir den Haushalt geführt und ich weiss, dass sie des Öfteren ziemlich ungerechte und beleidigende Worte hören musste. Genau wie du geschrieben hast ist es dabei um ganz unbedeutende Dinge gegangen - z.B. hat ihr meine Mutter vorgeworfen, sie ist zu langsam, sie kann nicht kochen, es schmeckt alles fad und nach Metall, keiner glaubt ihr, dass sie krank ist.......
Seit meiner eigenen Erkrankung kann ich mich besser in meine Mutter hineinfühlen. Ich weiss jetzt, dass man seine Hilflosigkeit herauslassen muss. Natürlich ist es nicht in Ordnung, seine Ängste und seinen Zorn auf die Krankheit an den Menschen auszulassen, die ja sowieso schon viel mitansehen müssen und die ihr eigenes Unvermögen (zu helfen, dass Alles wieder wird wie vor der Krankheit) verarbeiten müssen.
Ich weiss nicht, was deine Mutter für ein Mensch war, aber meine Mutter konnte nie in der Familie über ihre Krankheit und die damit verbundenen Gefühle sprechen. Ich glaube, das hat es für alle Beteiligten noch viel schlimmer gemacht. Es hat mich auch viele Jahre bedrückt, dass ich nie richtig Abschied nehmen konnte - immer hat jeder seine Gefühle überspielt und optimistisch von der Zukunft gesprochen.
Ich habe nach meiner eigenen Erkrankung versucht, meine Angst zum Teil meienem Mann zu erklären - mit meinen Kindern konnte ich leider erst nach 2 1/2 Monaten offen sprechen (ich hatte vor der OP bereits Thrombosen und Lungenembolie, daher lag ich 7 Wochen im Krankenhaus und in dieser Umgebung konnte ich nicht mit meinen Kindern sprechen). In dieser Zeit haben sich bei meinen Kindern auch viele Ängste aufgebaut, aber wir haben sie dann gemeinsam aufgearbeitet.
Ich glaube, dass unsere Mütter noch einer Generation angehört haben, in der man keine Schwäche zeigen durfte und in der man immer stark sein musste.
Du musst diese Vorwürfe vergesse, denn sie waren nur Ausdruck über den Zorn "krank zu sein und zu sehen, wie der eigene Körper verfällt".
Ich wünsche dir, dass du deine Mutter in liebevoller Erinnerung behalten kannst!
Liebe Grüße
Margit
Mit Zitat antworten