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Alt 19.01.2009, 22:58
Eponine1974 Eponine1974 ist offline
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Standard AW: wie viel eigenes Leben sollte man sich trotz Hilfe bewahren?

hallo gitty,

du hilfst ja niemandem, wenn du selbst zusammenklappst - allerdings weiss ich auch selbst, wie schwer es ist, auf sich selbst acht zu geben. gerade in so einer situation, wo einem die eigenen probleme ja total winzig und bescheuert vorkommen.

mal von der anderen seite: ich lebe im ausland, meine mutter hat eierstockkrebs im endstadium. in letzter zeit baut sie schlimm ab (bis ende letzten jahres ging es noch ganz gut), bekommt mittlerweile auch keine chemo mehr, weil ihr das das letzte bisschen lebensqualitaet nimmt. es vergeht kein tag, an dem ich nicht heule: weil es so ungerecht ist (sie ist nicht mal 60). weil sie gerade nach einer sch...ehe wieder neu anfing. weil ich nicht da sein kann. weil der mdk ihr pflegestufe 2 abgelehnt hat, obwohl sie mittlerweile keine drei schritte mehr laufen kann, ihr puls permanent rast und sie unheimlich schlecht luft kriegt. aber man muss wahrscheinlich im koma liegen, um mehr als pflegestufe 1 zu bekommen (sorry, aber das musste mal gesagt werden, das ist einfach unmenschlich!).
und auch weil menschen, die absolut nichts ueber unsere situation wissen, immer noch meinen, ein urteil darueber faellen zu muessen, dass ich sie als einzige tochter nicht pflegen kann. da kommen dann so fragen wie: "aber kannst due denn nicht "mal eben" wieder nach deutschland einwandern?" wenn ich nein sage, bin ich sofort egoistisch, dabei hat keiner ueberhaupt eine idee, was da alles dran haengt. ich bin hier wie du selbstaendig, jeder tag, an dem ich nicht arbeite, ist echter einkommensverlust, ich kann nicht mal eben den kompletten jahresurlaub nehmen, weil ich gar keinen habe. auch das argument: "dann lass' dich doch krankschreiben" zieht hier leider gar nicht, da es eben keine lohnfortzahlung gibt. manchmal wuerde ich mir wuenschen, leute wuerden mal DENKEN und sich informieren, bevor sie bloed ueber dinge rumlabern von denen sie nichts verstehen.
ich gehe so oft rueber, wie es eben geht, aber das ist leider nicht so oft, wie ich gerne wuerde - selbst das popeligste verlaengerte wochenende kostet mich an die 250EUR - ich habe das geld einfach nicht oefter als alle paar wochen, wenn ich glueck habe (manchmal sind es leider auch monate). wir telefonieren jeden tag, meine mutter sagt, das ist ihr die groesste hilfe, aber ich habe oft selbst das gefuehl, dass ich gerne so viel mehr tun wuerde.
selbst wenn ich das geld haette, eine auszeit zu nehmen - und was kommt danach? wenn meine mutter irgendwann stirbt, hoert mein leben ja nicht auf, und ich kann mir dann nicht wieder von heute auf morgen einen neuen kundenstamm aufbauen (mein jetziger hat mich drei jahre gekostet), damit ich meine rechnungen zahlen kann - und damit meine ich nicht die geschaeftlichen, sondern die privaten. ich habe leider keinen edlen spender der mir alle meine laufenden kosten uebernimmt, und vom staat bekommt man hier in der situation auch nichts.

ich kriege ehrlich gesagt immer das kalte kotzen wenn dann leute, die keinerlei finanzielle sorgen haben, meinen, ich koennte mal eben aufhoeren zu arbeiten und mir eine unbeschraenkte auszeit nehmen. wenn ich das koennte, haette ich es laengst getan!

wenn ich das alles geahnt haette, als ich ausgewandert bin, haette ich das wahrscheinlich nie gemacht. es ist aber nun mal so, wie es ist.
ich kriege den spagat mittlerweile irgendwie hin mit viel arbeiten damit ich eben wieder genug geld habe um rueberzukommen, antidepressiva einschieben und eben so oft es geht rueber. aber schoen ist das nicht, und ich finde es schlimm, dass man sich als angehoeriger immer noch wegen vermeintlichen egoismusses entschuldigen muss, wenn man es wagt, nicht seine existenz aufzugeben. meine mutter hat noch nie darueber gemeckert, das kommt komischerweise immer nur von aussenstehenden, aber es geht mir schon sehr nahe, weil ich zu meiner mutter immer ein gutes, liebevolles verhaeltnis hatte und auch noch habe. ich finde es einfach unfair, so abgeurteilt zu werden.

langer rede kurzer sinn: pass' gut auf dich aus und nehme dir die auszeiten, die du brauchst. es hilft niemandem, wenn du zusammenklappst. auch deinem vater nicht, wenn da natuerlich auch seelischer druck besteht. die situation ist fuer alle beteiligten furchtbar. am schlimmsten fuer die erkrankten, weil es fuer die natuerlich um leib und leben geht. aber wie sehr das alles auch an der seele der angehoerigen frisst und dass man manchmal vielleicht auch einfach nicht mehr kann - das scheint immer noch ein sakrileg ...
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"Hoffnung ist eben nicht Optimismus, es ist nicht der Glaube, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht." - Václav Havel

Geändert von Eponine1974 (19.01.2009 um 23:35 Uhr)
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