Thema: Endstadium
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Alt 29.10.2003, 14:16
Gast
 
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Standard Endstadium

Ich habe durch Zufall dieses Forum im Internet entdeckt und vermutlich geht es mit wie vielen von Euch; ich habe vorher noch nie in einem solchen Forum eine Zeile geschrieben.
Mein über alles geliebter Vater ist jetzt schon 3 1/2 Jahre tot und doch ist es, wo ich all diese Beiträge lese so, als sei es erst gestern gewesen und ich bin ziemlich aufgewühlt. Der Schmerz bleibt, wenn man einen geliebten Menschen auf eine solche Art und Weise verliert. Doch auch die Liebe mit der man an ihm gehangen hat. Und irgendwann kommt die Zeit, da kann man an den geliebten Menschen mit einem Lächeln auf dem Gesicht denken, statt mit einer Träne im Auge. Was immer bleibt ist die Sehnsucht noch einmal mit ihm sprechen zu können, sein Gesicht sehen zu können,.....
Der Leidensweg meines Vaters dauerte 2 1/2 Jahre. Es kam ganz plötzlich und unerwartet über ihn und die ganze Familie. Es wurde ein Darmverschluss diagnostiziert und bei einer ersten Operation entdeckte man einen Tumor im Endstadium im Dickdarm. Er hatte schon in die Leber ausgestreut. Ein künstlicher Ausgang wurde gelegt. Etwas, was mein armer lieber Vater nie richtig verwunden hat und in der darauffolgenden Zeit schwer auf ihm lastete. Es folgte eine Zeit der Ungewissheit und der Wahrheitsfindung. Man stand Ärzten mit ausweichenden Antworten gegenüber die einfach nicht in der Lage waren einem die Wahrheit zu sagen. Noch schlimmer, keiner war in der Lage meinem Vater die Wahrheit zu sagen. Heute kann ich auch die Situation der Ärzte verstehen. Selbst als schwerkranker 55 Jahre junger Mann war mein Vater auch als Patient immer ein liebenswürdiger und geduldiger Patient. Viele der behandelnden Ärzte waren im gleichen ALter und auch Familienväter. Ich glaube es war Hilflosikeit auf deren Seite.
Irgendwie will man das am Anfang der Diagnose vielleicht auch gar nicht hören. Denn man klammert sich immer noch an Hoffnung, so klein der Funke auch sein kann.
Es folgte eine zweite schwere Operation. Es traten Komplikationen auf: Blutvergiftung. Mein Vater war immer nur für seine Familie da und noch hatte er Kraft und kämpfte in dieser Zeit auf der Intensivstation um sein Leben. Er gewann, doch was gewann er damit? Zeit, ja aber auch die Aussicht auf einen langsamen, qualvollen Tod.
Es folgte eine Zeit der Genesung, der Chemo-Therapien und der Hoffnung. Wir verbrachten alle früher schon sehr viel Zeit mit meinem Vater, doch jetzt wurde es immer mehr. Es gab schon immer viel Liebe und Zusammenhalt in unserer Familie, doch es wurde noch mehr. In der darauffolgenden Zeit traf es meinen Vater sehr, das er verentet wurde. Von da an war auch mir nach einer Phase der Entspannung wieder einmal klar, wie schlimme es um ihn stand. Das Ende begann im Herbst 1999, als man ihm sagte, dass eine weitere Chemotherapie abgebrochen werden müsse, weil er so schwach sei. Von da an starb seine Hoffnung und jeden Tag auch Stückchen mehr von ihm. Wir redeten auch in der Folgezeit über den Tod. Zuerst gab es immer ein Ausweichen. Doch es war ihm wichtig und so nahm ich ihn auch ernst. Es war schwer darüber zu sprechen, aber ich glaube es gab ihm auch eine gewisse Erleichterung. Zum Schluss verstanden wir uns auch ohne Worte. Blicke genügten. Uns stand das traurigste Weihnachten aller Zeiten bevor. Er gab sich noch soviel Mühe uns ein schönes Fest zu bereiten, doch sehe ich heute noch seine traurigen Augen vor mir. Er wurde immer weniger, die Schmerzen immer mehr. Jeder nahm sich Urlaub und wir haben ihn zu Hause gepflegt. Niemals wäre uns auch nur der Gedanke gekommen, den geliebten Vater ins Krankenhaus zu geben. Es war eine schwerde Zeit. Ich will es nicht näher beschreiben, denn jeder stirbt anders und für sich. Das Sterben dauerte an sich zwei Wochen. Er bekam wegen der unerträglichen Schmerzen starke Morphiumdosen und dämmerte vor sich hin. Und es schmerzte zu sehen, wie er immer noch kämpfte und einfach nicht sterben konnte. Der Tod war letzlich Erlösung und ich habe sogar in der letzten Woche dafür gebetet. Ich habe vorher schon langenicht mehr gebetet.
Ich kann heute noch nicht darüber reden ohne in Tränen auszubrechen. Ich denke noch so oft an ihn und ich weiß irgendwie ist er immer bei mir. Was es mir so schwer macht ist, dass ein Mensch, der immer nur lieb und gut war und nur für seine Familie gelebt hat, sooo sterben musste.

Ich weiß gar nicht, ob ich hiermit irgendjemanden helfe und jetzt hört sich alles verwirrt und kompliziert an. Aber ich hatte das Gefühl ich musste das jetzt einmal schreiben. All die schrecklichen, aber auch all die schönen Momente, die Liebe und Zusammenhalt wiederspiegelten lassen sich eigentlich gar nicht in Worte fassen.

Noch heute bin ich für jede Minute dankbar, die ich mit ihm verbracht habe. Sich für jemanden Zeit nehmen ist gerade in der heutigen Welt besonders wichtig. Als er starn, starb aber auch ein Stück von mir und als er krank wurde, wure auch ein Teil von jedem in der Familie krank. Krebs ist nie etwas was eine Person betrifft. Die ganze Familie, das ganze Umfeld wird getroffen. Ich mache jetzt Schluss, denn irgendwie kann ich jetzt nicht mehr.
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