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Alt 21.05.2008, 02:13
Mandy72 Mandy72 ist offline
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Registriert seit: 03.08.2007
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Standard AW: so unendlich traurige Augen

Hallo Petra,
Hallo Manuela,
Hallo Melin,

zuerts möchte ich Euch für eure lieben Worte danken. Man fühlt sich von "Gleichbetroffenen" besser verstanden bzw. aufgehoben.
Gestern am 20.05.2008 ist es nun 2 Monate her, als mein kleiner Bruder gestorben ist.
Micha hatte in seinem Leben schon viele Krankenhausaufenthalte. Er war unwahrscheinlich kontaktfreudig, hatte keine Hemmungen, ging auf jeden gleich zu. Das machte für manche Krankenschwester die Arbeit mit ihm sehr anstrengend.(er konnte wirklich eine ziemliche Nervensäge sein, lächel), aber sie haben sich auch immer über Micha gefreut.
Doch sein letzter Krankenhaus, auch noch in einem Malteserkrankenhaus, war das unmöglichste, was ich bisher erlebt, und was leider auch Micha erleben mußte. Man ist aber auch irgendwie selber gehemmt, den Schwestern seine Meinung zu sagen. Hatte ich doch Befürchtungen, dass Micha dann drunter leiden muß. In dieser Situation kann man einfach nicht normal funktionieren, man ist blockiert von seinen Ängsten.
Das ändert aber nichts daran, dass ich im Nachhinein nicht noch ein Schreiben an die Pflegeleitung des Krankenhauses richten kann und auch werde.
Aber eigentlich wollte ich euch etwas anderes mitteilen. Obwohl ich ohne Kirche aufgewachsen bin, (bin ein Kind der DDR), ...ich mich manchmal gefragt habe: "wie glaubt man?"...sind doch merkwürdige Dinge passiert, die mich langsam fragen lassen, ob es da oben nicht doch jemanden gibt.
Einige werden vielleicht sagen, wenn man verzweifelt ist, will man an bestimmte Dinge glauben....
Ich bin der Meinung, es ist vollkommen egal, was mich an meiner bisherigen Weltanschauung zweifeln läßt, denn ich habe gemerkt, dass es unwahrscheinlich beruhigend sein kann, an etwas zu Glauben. Nun, es ist nicht so, dass ich nun gleich in die Kirche eingetreten bin...aber im Großen und Ganzen bin ich dankbar für mein Erlebnis, und das bewirkt, dass es mir besser geht. Und nun will ich euch von meinem Erlebten berichten.
Ich war jeden Tag bei meinem Bruder. Es war unwahrscheinlich schwer, zu sehen, wie er immer schwächer wurde. Die Ärzte sprachen davon, Micha einen Port zu setzen, über dem sie ihm die Medikamente spritzen können. Sie sprachen davon, dass erst ein gewisser Medikamentenspiegel im Körper vorhanden sein muß, damit diese wirken können. Und Micha brach die meisten Medikamente immer gleich wieder aus. Er wollte seine medizin ja nehmen, er wollte ja essen. Er hat sich solche Mühe gegeben. Ganz klein hab ich ihm seine Toastbrote geschnitten. In die Stückchen hab ich ihm seine tabletten reingesteckt. Das Wasser stand schon so hoch in ihm, man hat es förmlich aus dem Hals röcheln bzw. gluckern gehört. Keine 2 Minuten später brach er wieder alles aus. Am letzten Tag, an dem ich ihn gesehen habe, wollte er plötzlich duschen. Also bin ich mit ihm ins Bad gegangen. Es fiel ihm sehr, sehr schwer. Aber Wasser hat er schon immer geliebt. Und ich wollte ihm den Gefallen tun, von oben bis unten abgebraust zu werden. Ewigkeiten hat es gedauert, von dem Stuhl vor dem Waschbecken, auf dem ich ihn geholfen habe, sich auszuziehen....bis einen Meter weiter, auf den Sitz unter der Dusche zu kommen. Für ihn muß es wie ein Marathonlauf gewesen sein.
Nach dem Duschen hab ich ihn noch in sein Bett gebracht. Dann mußte ich mich von ihm verabschieden. Am nächsten Tag, Gründonnerstag, mußten mein Mann und ich erstmal wieder nach Hause fahren. Die Arbeit. Ich versprach meinem Bruder recht bald wieder zu kommen. Unterwegs nach Hause sagte ich zu meinem Mann, dass ich so ein Gefühl hab...dass die Ärzte zu meinem Vater sagen werden, dass sie nichts mehr für Micha tun können und die Behandlung einstellen. Eigenartigerweise bat ich noch vor der Abfahrt meinen großen Bruder, Vater am Nachmittag in das Krankenhaus zu begleiten. Während der Fahrt war ich tief in Gedanken versunken und mußte an meine Mutter denken. Und ich sagte zu ihr: "Mutti, wenn du Micha bei dir haben möchtest...dann laß ich ihn gehen."
Als wir nach über 600 km Fahrt die Haustür aufschlossen, klingelte das Telefon. Mein großer Bruder rief mich vom Handy aus an, meine befürchtungen haben sich bewahrheitet. Die Ärzte stellten die Behandlung ein. Sie sagten, Micha würde nun Morphium gespritzt bekommen und es kann 2 Tage dauern, bis er für immer einschlafen wird.
Eine halbe Stunde später klingelte das Telefon wieder.
Micha war eingeschlafen.
Ich bin schon fast davon überzeugt, dass es so kommen mußte. Das Micha ausgerechnet an dem Tag von uns geht, an dem ich nicht bei ihm bin. Ich werde meinem Vater und meinem großen bruder für immer dafür dankbar sein, dass Micha in seinen letzten Minuten nicht allein war. Gibt es jemanden, der wußte, dass ich daran zerbrochen wäre, wenn ich Micha hätte sterben sehen?
3 Tage zuvor besuchte ich meine Oma, welche selber gerade im Krankenhaus gelegen hatte. Sie wußte nicht, wie schlecht es um Micha stand. Plötzlich sagte sie ganz ruhig: " Micha wird wohl sterben". Haben alte Menschen ein Gespür für so etwas?
Am Karfreitag fuhren mein Mann und ich wieder in meine alte Heimat. Nach Ostern mußten wir dann in das betreute Wohnen, in dem Micha seit Mutti´s erster erkrankung untergebracht war. Sein Zimmer mußte ausgeräumt werden. Mein Vater war dabei, mein großer bruder, Micha´s Lieblingsbetreuerin, mein Mann und ich.
An der Wand hing sein "singender Fisch". Diesen haben mein Mann und ich Micha vor Jahren geschenkt. Als wir fertig waren, gingen wir aus dem Zimmer. Ich ging zum Schluß. Ich machte das Licht aus....und plötzlich fing der Fisch an zu singen. Wir standen wir versteinert da. Micha´s Lieblingsbetreuerin stiegen die Tränen in die Augen. Sie sagte." Der Fisch ist doch schon so lange kaputt, der hat schon ewig nicht mehr gesungen".
Und der Fisch sang "Dont worry, be happy"
Mein Mann nahm den Fisch von der Wand. Der Schalter stand auf AUS!!!
Erst als er die Batterien rausgenommen hat, hörte der Fisch auf zu singen.
Das ist kein Märchen. Ich bin so dankbar für dieses Erlebnis. Ich bin so dankbar dafür, dass auch die anderen dabei waren. So brauche ich nicht zu denken, dass ich nun schon total verrückt werde. Dieses Erlebnis war gleichzeitig haarstreubend, unglaublich aber doch auch beruhigend und schön. Nur annähernd kann ich nun nachvollziehen, wie es für Menschen mit einem festen Glauben sein kann.
Es tut gut, nicht so voller Angst vor dem Tod zu sein. es tut gut, nicht total wegen dem Tod eines geliebten Menschen verzweifelt zu sein.
Ich vermisse meinen Bruder über alles. Noch habe ich es nicht ganz realisiert. Im Moment spüre ich, dass ich nun schon länger nicht mit ihm reden, ihn sehen konnte. Ihm kein Päckchen zu seinem 29. Geburtstag schicken konnte. Es immer noch ein paar DVD´s von der Olsenbande bei mir im Schrank gibt, die ich ihm nach und nach schenken wollte. Ich vermisse es, mit ihm gemeinsam rumzualbern, z.B. unseren Vater zu veralbern und dann lauthals wegen dem verdutztem Gesicht gemeinsam lauthals loszulachen. Mir fehlt seine Nerverei und das ständige fragen "Warum?", weil er immer alles erklärt haben wollte. Mir fehlen so viele Dinge. Mir fehlt mein Bruder.
Manchmal, wenn ich in meinem Bett liege, dann versuche ich mir vorzustellen, wie meine Mutti mit meinem kleinen Bruder und meinem Opa, Arm in Arm zu mir runterschauen und sagen:" sei nicht traurig, uns geht es gut....und irgendwann werden wir uns alle wiedersehen"
Daran möchte ich glauben.

Dont worry, be happy.

LG Mandy
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Mutti 15.02.1951 - 09.01.2004
mein kleiner Bruder Michael 10.04.1979 - 20.03.2008
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