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Alt 29.08.2003, 21:44
Gast
 
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Standard Ich muss doch etwas tun !!?

Lieber Jürgen,
ich hatte und habe auch immer wieder das Gefühl, daß ich mich gleich übergeben muß. Am schlimmsten war das bei mir ganz zu Anfang, als ich erfahren habe, daß mein immer gesunder Vater auf einmal an dauerhaften Bauchschmerzen leidet. Noch vor der Diagnose, die einem Monat später kam, wußte ich irgendwie, daß etwas absolut nicht mehr stimmt. Ich hatte tatsächlich auch Bauchschmerzen, Husten, Atemnot usw. Und ich war jeden Tag nur am Heulen und kurz vor dem Brechen.

Nach der Diagnose habe ich ein Jahr lang auch jeden Abend geheult und war kurz vor dem Kotzen. Ihm gegenüber habe ich jeden Tag versucht tapfer zu sein, für Abwechslung zu sorgen, wenn möglich etwas mit ihm zu unternehmen. Heute denke ich manchmal, daß das falsch war. Vielleicht hätte ich gleich mit ihm weinen sollen. Er hat nie vor mir geweint, obwohl ich fast jeden Tag da war. Vor meinem Bruder schon; der kam die ganze Zeit nur selten.

Aber wenn es mir so richtig dreckig ging, habe ich mir Worte meines Vaters in Erinnerung gerufen: "Warum bist Du traurig? ICH habe diese Scheiß-Krankheit."

Und jedes Mal, wenn ich wieder dachte, daß ich es nicht mehr aushalte, hat mir dieser Satz - ein bißchen anders als er gemeint war - weiter geholfen: Ich war und bin mit meinem Schmerz - auch wenn ich ihn auch jetzt noch als unsagbar empfinde - nicht der Nabel der Welt = Ich helfe ihm nicht, wenn ich mich selbst bedauere; ich mache damit für ihn alles nur noch schlimmer. Deine Ma lebt. Liebe sie, sei für sie da. Ich würde mittlerweile was drum geben, wenn ich meinen Vater noch und dafür wieder Bauchschmerzen und Atemnot hätte.

Lieber Jürgen, Du kannst versichert sein, jeder, der hier geschrieben hat, fühlt sich maßlos traurig und fühlt mit Dir, wenn er über diesen ganzen Mist nachdenkt. Ich auch (ganz doll). Nach nunmehr 6 Monaten frage ich mich manchmal auch, ob ich so weitermachen will. Aber ich kann gar nicht anders. Bei allen üblen Gedanken bin ich offenbar irgendwie anders programmiert.

Träume sind wichtig. Ich habe neulich geträumt, daß mein Vater sich über meinen ewig abwesenden Bruder wundert. Manchmal sind es auch die Dinge, die einen selbst bewegen, die diese Träume produzieren. Das gemeinsame Springen vom Berg könnte vielleicht auch nur Deine Angst ausdrücken ohne Deine Mutter zu sein. Lieber willst Du mit ihr gehen, als allein zu sein. In dieser Ausnahmesituation, in der Du Dich und viele Andere sich befinden, ist solch ein Traum ganz bestimmt nicht als Ruf "Folge mir" zu verstehen, sondern als Ausdruck Deiner berechtigten Angst und Sorge.

Es ist alles schlimm.

Liebe Grüße an Dich und auch an Bettina, Marlies und Corinna

Marga
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