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Alt 25.02.2008, 11:38
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Linnea Linnea ist offline
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Standard AW: habe heute chemo-und strahlentherapie begonnen

Meine liebe Leena

habe vielen Dank für Deine lieben Worte Man merkt Deinen Beiträgen an, wieviel Kraft noch in Dir steckt - und doch wirst Du Dich vermutlich kaum kraftvoll fühlen.

Weißt Du, als ich Deine Zeilen las, fühlte ich mich tatsächlich sehr an den Beginn meiner Depression erinnert. Nun hast Du das Wort selbst gebraucht. Als ich im Januar aus der Klinik zurück war und zu meinem Psychotherapeuten sagte, ich hätte so den Eindruck, daß ich vielleicht kurz davor sei, in eine kleine Depression abzurutschen, meinte er, also das "vielleicht", das "kurz davor" und das "klein" könne ich streichen...

Auch ich hatte zuvor keinerlei depressive Neigungen an mir erlebt, und doch: inzwischen kenne ich das Gefühl vom löchrigen Gartenschlauch, dieses kraftlose Ausfließen, ohne daß etwas nachströmt, nur zu gut. Und bei mir ging es so schnell: am Ende meiner Chemotherapie steckte ich mitten drin. Daß sich Deine Seele bis hierher die Depression vom Hals halten konnte, zeigt mir, was für eine enorme fröhliche Kraft sie eigentlich besitzt. Sie muß ein ganz lebhafter, sprudelnder Quell sein, der kraftvoll aus dem Boden hervordrängt und zum Meer eilt, um in die Ruhe des ewigen Rhythmus' einzufließen und diesem seine Fröhlichkeit und Lebendigkeit mitzuteilen.

Ich bin mir sicher, daß diese Quelle noch genauso existiert, auch wenn es sich vielleicht nicht so anfühlt. Vielmehr hat ein gewaltiger Herbststurm die Bäume Deines Seelengartens entlaubt, und die Blätter in Dein Lebensgewässer geweht. Das Laub ist alt und modrig geworden und verstopft die Quelle. Und wenn Du - wie man es ja meistens tut, wenn man im Alltag auf viele andere Menschen eingehen möchte - an Deinem Seelenmeer stehst, dort wo die Flüsse zusammenfließen, dann merkst Du nur, daß immer weniger Wasser aus Deinem Fluß nachströmt und fürchtest, die Quelle sei versiegt.

Ich denke, daß es an dieser Stelle das Beste ist, zur Quelle zurückzuwandern, um sie von möglichst viel modrigem Laub zu befreien, damit sie wieder kraftvoll sprudeln kann. Ganz bestimmt ist es ein langer und leidvoller Weg, weil man sich von dem Meer, dem Ort der Begegnung, entfernt und sich viel auf diesen einen Wasserlauf konzentriert. Das ist schwer, wenn man ein Küstenbewohner ist und alle Flußmündungen im Blick behalten möchte. Aber keine Angst, wer seine anderen Flüsse liebt, dem ist ein Fernglas mitgegeben, damit er immer nach ihnen schauen kann. Und wenn Du dann Deiner Quelle wieder eine Durchflußmöglichkeit geschaffen hast, dann werden Deine Lieben es an der Küste sofort merken, daß Dein Wasser wieder verstärkt einfließt und können damit beginnen, für Deine Rückkehr ein Freudenfest vorzubereiten.

Liebe Leena, ich hoffe so sehr, daß Du bald Deine Kur antreten kannst und Du dort Menschen begegnest, die Dir bei der Quellensäuberung in einer Weise behilflich sein werden, die Deinen Vorstellungen von einer guten Zusammenarbeit entspricht.

Laß Dich mal ganz lieb umarmen von
Deiner Lenina
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Einen Menschen zu lieben heißt:
Ihn zu sehen wie Gott ihn gemeint hat.
Liebe ist das Geheimnis der Brotvermehrung.
- Christine Busta -
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