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Alt 24.07.2003, 21:22
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Standard junge Frauen und der Tod der Mutter

Hallo zusammen!

Ach ihr Lieben, ich schick euch auch allen erst mal eine Umarmung.
Liebe Sandra (h),
ich wohne auch etwas weiter von meinen Eltern entfernt, mit dem Zug 2 1/ 2 Stunden. Mit Auto wäre ich etwas schneller, aber das kann ich mir als arme Studentin leider nicht leisten. 
Momentan habe ich noch die Möglichkeit, bei meinem Vater zu sein. Dieses Semester habe ich die Uni kaum von innen gesehen, und jetzt schreibe ich an zwei Hausarbeiten, damit das Semester nicht ganz verloren geht.
Aber ab Oktober werde ich wohl ein halbes Jahr lang Praktikum machen, und auch danach muss ich schließlich weiter studieren. Und der Gedanke, Papa dann hier alleine zu lassen gefällt mir überhaupt nicht. Meine Schwester braucht bis zu Papa nur eine halbe Stunde, aber sie hat wiederum auch einen Job und ist alleinerziehende Mutter. Da ist die Zeit auch etwas begrenzt.
Meine Schwester und ich werden Papa täglich anrufen, das brauchen wir auch zu unserer eigenen Beruhigung. Ich bin momentan doch sehr überängstlich, denn der Gedanke, dass auch meinem Papa etwas zustoßen könnte ist unerträglich, geistert aber eben immer wieder durch meinen Kopf.
Glücklicherweise ist mein Vater gesellig, vielseitig interessiert und aktiv. Und auch jetzt macht er weiterhin Pläne. Meine Eltern haben einen unglaublichen Freundeskreis, und die werden meinen Papa auch weiterhin in alle Unternehmungen einbeziehen. Es ist wirklich gut zu wissen, dass so viele liebe Menschen um ihn sind.
Aber dennoch fände ich es wesentlich schöner, wenn ich einfach mal kurz bei ihm vorbeikommen könnte, und sei es nur, um mit ihm gemeinsam Abendbrot zu essen. So werde ich dann aber wohl an den Wochenenden versuchen, ihn so oft es geht zu besuchen.

Liebe Mia,

weißt du, ich glaube, dass der Tod der Mutter oder des Vaters vielen Menschen nicht so extrem tragisch scheint, wenn sie nicht selbst von so etwas betroffen sind. Eltern sterben nun mal vor ihren Kindern, zumindest sollte das so sein. Und wenn dann jemand hört, dass eine Mutter mit 58, 60 oder noch älter gestorben ist, dann scheint das vielleicht einfach nicht so dramatisch. Ist immerhin schon ein Alter! – denken die Menschen.

So habe ich auch mal gedacht. Wenn ich auf dem Friedhof war, habe ich immer die Daten auf den Grabsteinen betrachtet und ausgerechnet, wie alt die oder der Verstorbene war. Hatte ich dann entdeckt, dass jemand mit 60, also im Alter meiner Mutter, verstorben ist, habe ich sicher nicht gedacht „oh wie traurig, das ist aber jung“.
Und nun ist meine Mutter mit 60 gestorben, und es kommt mir verdammt früh vor. Ich bin 23, und ich komme mir auch verdammt jung vor, um schon meine Mutter zu verlieren.
Wenn ich nun Geburts – und Sterbedaten auf Grabsteinen sehe, überlege ich, wie die Menschen, die etwa in Mamas Alter waren wohl verstorben sind.

Ich stehe noch ganz am Anfang meiner Trauer, aber ich weiß schon jetzt mit Sicherheit, das es eine lange Zeit brauchen wird, bis ich alles verarbeitet habe.
Auf Mamas Trauerfeier sprach ein evangelischer Pfarrer. Zwei Tage vorher hatten meine Familie und ich uns mit ihm zusammen gesetzt, um die Feier zu besprechen und ihm von Mama zu erzählen. Er sagte, dass die Trauer Zeit braucht, und dass wohl ein Jahre vergehen wird, bis man sich in seinem Leben neu organisiert hat. Nach einem Jahr hat man alle wichtigen Ereignisse einmal mitgemacht: den Geburtstag des Verstorbenen, den Todestag, Weihnachten. Erst dann kann man sich neu orientieren.
Und ich glaube, dass er damit recht hat. Das soll nicht heißen, nach einem Jahr muss die Trauer weg sein, aber dieses eine Jahr ist sicher wirklich wichtig.
Ich hoffe einfach, ich wisst, wie ich das meine.

Ich habe während Mamas Krankheit mal den Satz gehört „jeder muss mal sterben“. Ich habe mich gefragt, ob diese Person ernsthaft meinte, das würde mich trösten. Nur weil jeder von uns sterben muss, tut es doch nicht weniger weh, einen Menschen zu verlieren.
Hinzu kommt: ja, jeder von uns muss sterben. Aber nicht jeder muss zuvor solche Qualen und Ängste durchstehen wie meine Mutter, und wie viele andere Krebskranke auch, die diese Krankheit nicht besiegen konnten.
Meine Schwester sagte gestern, Mamas Qualen zu Lebzeiten waren für sie schwerer zu ertragen als ihr Tod.
Und auch mich hat das Mitleid manchmal fast zerrissen!
Und dann glaubt tatsächlich noch jemand, der Satz „jeder muss mal sterben“ würde mir irgendwie helfen?


Liebe Damaris,

dir wollte ich gerne auch noch etwas schreiben. Es tut mir so unendlich leid für dich, dass du nicht rechtzeitig zu hause warst, um deine Mutter beim Sterben begleiten zu können. Mir und meiner Familie war das auch nicht vergönnt. Ich habe während Mamas letzter Wochen immer gedacht „wenn sie schon sterben muss, dann wenigstens zu Hause“. Doch sie starb nachts im Krankenhaus, und keiner aus der Familie war da, denn niemand hatte damit gerechnet. Es passierte durch eine Lungenembolie, und die kann man nicht vorhersehen.

Ich hatte die ersten Tage unheimlich daran zu knabbern, WIE Mama gestorben ist. Und ich war so wütend, dass uns nicht einmal gegönnt war, bei ihr zu sein. Doch ich weiß jetzt, dass sie liebe Schwester um sich hatte, die sie noch gestreichelt haben, als ihr Herz schon nicht mehr schlug. Und ich glaube, dass Mama vielleicht gar nicht wollte, dass wir dabei sind. Sie wollte uns nicht belasten, und Zeit ihres Lebens versuchte sie stets, alles unter Kontrolle zu haben. Vielleicht war ihr Tod etwas, dass sie uns sowieso nicht hatte zumuten wollen.
Ich weiß es nicht, und es bringt nichts, darüber nachzudenken. Ich bin einfach froh, dass sie dennoch liebe Menschen um sich hatte.

Und liebe Damaris, vielleicht kann es dir auch ein Trost sein, dass deine Mutter ihre Liebe um sich hatte. Sie musste nicht alleine sterben. DU warst zwar nicht da, aber andere liebe Menschen. Und bei einer letzten Verabschiedung von ihr hättest du ihr doch sicher nichts sagen können, was sie nicht eh schon wusste, oder? Dass du sie lieb hast vielleicht. Ich weiß ja nicht, was du ihr gesagt hättest, aber das wichtigste ist, dass deine Mutter sicher wusste, wie lieb du sie hast.

Du bist hoffentlich nicht böse, dass ich dir das schreibe. Ich hoffe, du verstehst es richtig, per Computer sind manche Dinge schwer zu beschreiben.

Liebe Kiki,
ich habe meine Mutter am Tag vor ihrem Tod im KH besucht. Ich und mein Vater waren vier Stunden da. Um 8 Uhr abend wurde ich dann hungrig, und ich fing an mich zu langweilen. Ich wollte nach Hause.
Im Nachhinein habe ich nur gedacht: wenn ich gewußt hätte, dass ich sie das letzte Mal gesehen habe, wäre ich geblieben. Hunger und Müdigkeit wären egal gewesen.
Ich habe mich geschämt, dass ich so egoistisch gewesen war und nur an meine Bedürfnisse gedacht habe.
Bei der Verabschiedung habe ich auch gesagt "bis morgen". Ich wollte sie gleich vormittags besuche, und im Laufe des Tages wollten abwechselnd alle anderen (ihre Schwester, Papa, meine Schwester) zu ihr fahren, damit sie nie allein sein muss.
Wir hatten alles genau geplant und wussten doch nicht, dass das gar nicht mehr nötig sein würde.

Kiki, die Fragen, die du dir stellst sind dieselben, über die ich nachgedacht habe: ob Mama spürte, dass sie jetzt sterben würde, ob sie Angst hatte usw. Aber ich will darüber nicht mehr nachdenken und lasse es auch, denn es führt zu nichts, es macht nur noch trauriger und verzweifelter.
Und ich glaube ganz sicher, dass auch deine Mutter um all die Dinge wusste, die du ihr gerne noch sagen wolltest.
Ich habe auch nie geasgt" ich hab dich lieb". so waren wir einfach nicht. Aber meine Schwester hat mich davon überzeugt, dass Mama es wußte.
Und sie hat ihr diesen einen Brief geschrieben, in dem sie all die Dinge beschrieb, die ich in der Zeit der Krankheit gesagt und getan habe, die mama nicht mitbekommen hat und die ihr meine Liebe indirekt zeigen. Dafür bin ich unendlich dankbar.
Nun, jedenfalls glaube ich, dass auch bei dir, wie bei so vielen anderen alle Taten mehr gesagt haben als Worte.

Lieber Himmel, jetzt muss ich aber dringend aufhören, sonst schmeißt ihr mich hier noch raus! :-)Diese Forum ist wie ein Magnet, man kann einfach nicht aufhören zu schreiben.

Habt vielen Dank für´s "zulesen", und hoffentlich hat es euch nicht den letzten nerv gekostet!

alles Liebe für euch!

Katrin
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