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Alt 26.08.2007, 01:48
Shakira Shakira ist offline
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Registriert seit: 02.02.2007
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Standard AW: Mit 30 Jahren alleine

Liebe Kathrin, Katty und alle anderen,

nun ist die Kathrin schon im Urlaub und hoffentlich kann sich ihre Seele ein wenig erholen! Da ich schon eine Woche Urlaub im Juli hatte, weiß ich, dass das geht.
Ich habe jetzt noch eine super-stressige Arbeitswoche vor mir und dann gehts auch für mich wieder in den Urlaub.

Ich wollte hier ja nicht mehr so viel reinschauen (tue ich auch nicht), aber manchmal ist das Bedürfnis doch wieder groß, hier zu schreiben - sei es, sich einiges einfach von der Seele zu schreiben, sei es, hier von eigenen Erfahrungen zu schreiben in der Hoffnung, einigen anderen damit helfen zu können.
Ich lese unheimlich viel und denke, dass es mir hilft. Diese Bücher über Trauerbewältigung, über die Frage nach dem Leben nach dem Tod können zwar nicht den Schmerz nehmen, sie können aber meiner Meinung nach ein paar Orientierungspunkte geben und einiges besser ertragen lehren.
Das vorherrschende Gefühl, was mir momentan zu schaffen macht, ist das Gefühl der Orientierungslosigkeit, des Verlorenseins. Mein Halt, mein Fels in der Brandung, mein Sicherungseil ist weg. Ich fühle mich seit dem Tod meines geliebten Mannes wie ein Schiff im Sturm, dass den Anker verloren hat. Ich weiß nicht wohin, ich weiß nicht, wo der nächste rettende Hafen liegt.
Ich versuche mit aller Kraft, mich über Wasser zu halten, versuche, den turmhohen Wellen, die mich ständig in den Abgrund ziehen wollen, zu trotzen.
Manchmal gelingt mir das recht giut, im nächsten Augenblich ertrinke ich. Fast. Ich bin immer noch am leben, auch wenn das manchmal verwundert.

Freunde, Bekannte, Verwandte, sie haben alle haben (verständlicherweise) Probleme, mit mir und dieser Situation umzugehen. Was kann man ihnen sagen? Es ist schwer, etwas zu formulieren, was einem selbst nicht ganz klar, nicht ganz greifbar ist.
Stimmungswechsel, oftmals stündlich, scheinen normal zu sein. Ich erlebe sie selbst, jeden Tag - es ist sehr anstrengend. Morgens gehts noch, man lächelt beim Bäcker und sagt der Nachbarin, dass es einem gut gehe auf ihre Frage - mittags heult man wie verrückt und weiß selbst nicht, wie es dazu gekommen ist. Abends das gleiche Spiel nochmal. Ich habe Tage erlebt, da war der Wechsel zwischen Weinen und Haltung zeigen so kurz hintereinander, dass ich meinte, zerbrechen zu müssen. Ich weiß und spüre, dass mir die Ablenkung durch Freunde gut tut. Ich genieße die Gespräche und das Gefühl, mal an etwas anderes zu denken, vielleicht auch mal wieder die Sorgen der anderen anzuhören. Aber noch eine halbe Stunde zuvor hat der Schmerz so tief gewütet, dass es einem fast die Luft zum Atmen nahm. Noch eine halbe Stunde zuvor liefen die Tränen nur so über das Gesicht, weil plötzlich ein Gedanke sich festsetzte; sei es der schmerzvolle Kummer darüber, wie sehr er leiden musste, wie verzweifelt mein Schatz gekämpft hatte und letztendlich doch immer allein kämpfen musste, wie verzweifelt er am Leben festhalten wollte und es doch loslassen musste, wie schrecklich die Qualen zum Schluss waren, als er praktisch an den Lungentumoren erstickte - oder sei es die Trostlosigkeit des Lebens ohne ihn, das Gefühl, in ihm den einen passenden Menschen gefunden zu haben, den man womöglich nie wieder trifft - die Erinnerungen an all die schönen Momente, die wir zusammen noch erleben durften und all die schönen Pläne, die wir nie mehr zusammen ausführen können. Es überkommmt einen so plötzlich, wie ein Tier, das einen anfällt, ohne Vorwarnung. Wenn die Tränen versiegt sind, geht es wieder für eine Weile.
Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist auf einmal vordergründig. Was mache ich hier eigentlich? Worum geht es? Gibt es einen Zweck, ein Ziel meines Lebens hier auf Erden?
Prioritäten ändern sich. Was einem früher eventuell wichtig erschien, erscheint jetzt oberflächlich und unwichtig. Wertungen verschieben sich.
Ich merke, dass ich plötzlich viel mehr in den Augen der Menschen lesen kann als vorher. Ich lasse mich nicht mehr so leicht durch Äußerlichkeiten blenden. Ich schaue in den Menschen, es fällt mir leichter zu sehen, was für ein Mensch das ist.
Ich habe folgendes gelernt:
Es gibt 2 Wege, mit dem Tod eine geliebten Menschen umzugehen:
a) du verzweifelst, gehst daran kaputt und verlierst jeglichen Lebensmut
b) du versuchts, aus dem Erlebten eine Lehre für dein Leben zu ziehen. Versuchst, daran zu wachsen und stärker zu werden. Versuchst, mit dem Blick auf das, was der Tod uns lehrt, dein Leben zu verbessern.
Den Tod des geliebten Menschen nicht umsonst gewesen sein zu lassen, ihm einen Sinn zu geben.

Ich habe mich definitiv für b) entschieden.

Ich werde versuchen, euch auf dem laufenden zu halten, wie mir das gelingt.

Bis dahin ganz viel Liebe und Kraft an alle,

Shakira
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Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir weggehen.
(Albert Schweitzer)

17.06.1970 - 13.06.2007
Für immer in unseren Herzen
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