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Alt 19.08.2007, 00:11
AndreaU AndreaU ist offline
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Standard AW: Habe Angst ihn zu besuchen - sollte ich?

Hallo Meinedrei,

auch ich möchte Dir meine Meinung sagen.

Meine Mutter ist am 6.6.07 verstorben. Wir hatten schon immer ein sehr schwieriges Verhältnis, meine Mutter hat mich und meine Familie auch mal 5 Jahre lang total ignoriert, nur weil ich gewagt hatte ihr in einem Brief ausmeiner Sicht die falschen Dinge in meiner Jugend mitzuteilen.

Meine Mutter war ein total unsicherer Mensch und hatte jegliche Kritik sofort damit verbunden, daß niemand sie liebt.

Aber das wußte ich damals nicht bzw. ich hätte es damals - es ist über 15 Jahre her - auch nicht verstehen und entsprechend reagieren können.

Jedenfalls unser Verhältnis war seit ich 9 Jahre alt und sie mit meinem Bruder schwanger war, sehr gespannt. Die guten und schönen Tage waren in der Minderheit während die schlechten Tage, an denen ich nicht schlafen konnte vor lauter "habe ich wieder was falsches gemacht" überhand namen.

Jahre später habe ich mcih dann mit Hilfe einer Therapeutin befreit. Sehr mitgeholfen haben mein Mann und meine zwei Kinder - zwar unbewußt, aber einfach dadurch, daß sie da waren.

Wenn wir (meine Mutter und ich) uns gesehen haben, dann war das wie wenn ich jemand aus der Verwandtschaft treffe. Meine Tante, die jüngere Schwester meiner Mutter, stand mir weitaus näher.

Dezember 03 dann die Diagnose kleinzelliger Lungenkrebs. Ich habe es von meinem Bruder erfahren - meine Mutter hätte mir nichts gesagt.

ICH habe dann während der folgenden Chemo und Bestrahlungen oft angerufen und mich darum gekümmert Informationen zu bekommen. Von meiner Mutter kam nichts zurück - gut sie hatte mit der Krankheit selbst genug zu tun.

Nach Bestrahlung und Chemo trat bei meinen Eltern wieder der Alltag ein - was bedeutet, daß sie von sich aus nicht bei mir angerufen haben, sie auf Geburtstage nicht gekommen sind (die 100 km Entfernung sind ja viel zu viel),jeder hat sein eigenes Leben gelebt.

Erst als an Pfingsten 2006 dann bei meiner Mutter Hirnmetastasen aufgetreten sind hat sie nach deren Behandlung (Bestrahlung und Cortison) ihr Verhalten um180 ° gedreht. Sie hat sich auf einmal für mich interessiert, sie konnte darüber reden, daß sie während meiner Erziehung nicht alles richtig gemacht hat (ich bin mit 17 ausgezogen, weil es einfach nicht mehr ging).
Aber diese Zeit, die alten Geschichten aufzuarbeiten, war viel zu kurz.

Sie hat ein paar Andeutungen gemacht über ihre Erfahrungen in ihrer Jugend, die wohl dazu beigetragen haben, daß sie wurde, was sie war. Aber wir haben es nciht mehr geschafft, diese Sachen wirklich zu bereden und zu beleuchten.

Ich steh jetzt da und habe noch mehr Fragen als vorher - die mir jetzt wirklich niemand beantworten kann.

Ach ja, nachdem die Hirnmetas festgestellt wurden, bin ich sozusagen ein Fixpunkt geworden. Ich war jede Woche mindestens ein Mal,meistens zwei Mal bei meinen Eltern, habe mich um Ärzte, Pflege etc. gekümmert. Und - was mich persönlich wirklich überrascht hat nach unserer Vergangenheit - ich war betroffen über ihr Schicksal und ich war verzweifelt - das hatte sie nun wirklich nicht verdient.

Jetzt,nachdem meine Mutter 2 Monate und 10 Tage tot ist warte ich noch immer auf die "richtige" Trauer. Es fühlt sich so an wie früher, man hat einfach keinen Kontakt,sieht sich evtl.auf dem nächsten großen Familienfest aber sonst ..l...

Meinen Vater rufe ich fast täglich an - manchmal habe ich schon den Eindruck es ist ihm lästig mir zu erzählen, was er den Tag über gemacht hat.....

Was will ich damit sagen - außer mir mal alles von der Seele zu schreiben - :

Wie Du Dich nach dem Tod Deines Vaters fühlen wirst kann Dir keiner vorhersagen. Es wird Dir auf jeden FAlll schlecht gehen.

Entweder weil Du nicht zu ihm gefahren bist - also eine "schlechte" Tochter bist - oder aber weil Du zu ihm gefahren bist und die erhoffte Versöhnung nicht stattgefunden hat oder nicht mehr stattfinden konnte.

Von daher, Du hast Dein Bestes versucht, er hat Dich nicht gerufen - also - meiner Meinung nach kannst Du ohne schlechtes Gewissen zu Hause bleiben.

Liebe Grüße
und sorry für den Erguß

Andrea
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