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Alt 15.08.2007, 13:46
martinaIna martinaIna ist offline
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Registriert seit: 16.12.2006
Ort: Nordhessen Knüll
Beiträge: 221
Standard AW: Habe Angst ihn zu besuchen - sollte ich?

Hallo meinedrei,

die meisten, die hier schreiben pflegen oder pflegten einen Krebskranken oder begleiteten ihn/sie. Wir alle haben dabei gelernt, dass Sachen, die uns früher unvorstellbar erschienen, die wir uns nie und nimmer zugetraut hätten, zur Selbstverständlichkeit wurden.

Du wirst hier sicher eher Leute finden, die dich ermutigen wollen, deinem Vater zu begegnen, als Leute, die dein Fernbleiben gut finden. Du findest hier keine neutralen RatgeberInnen aber Leute, die versuchen Dich und deine Gründe zu verstehen. Niemand wird dich verurteilen, wenn Du fern bleibst.

Ich bin sicher, Dein Vater würde sich riesig freuen, dich zu sehen. Vielleicht wird sein Verstand (so er ihn noch hat) sagen, dass Du ihn so in Erinnerung behalten sollst, wie er war, aber sein Herz wird sich wünschen, dass er noch einmal dich sieht, sehen darf, wie Du heute bist, noch einmal deine Hand fühlen darf. Hören kann, wie Du ihm sagst, dass Du einfach nur seine Tochter sein willst und all die Jahre des Streites überwunden sind. (wohlgemerkt, nicht vergessen).

Stell Dir vor, du liegst im Bett, siehst nicht mehr viel, die Geräusche die Du hörst, sind die des Krankenhausalltags, dein Leben ist reduziert auf die minimalsten Dinge. Und dann kommt jemand, mit dem Du schon nicht mehr gerechnet hast. Ein Fest!
Ein Fest, dass vielleicht nur ne halbe Stunde dauert aber eines der letzten Feste deines Lebens. Und intensiv. So wäre vielleicht die Begegnung für deinen Vater.

Für dich: Da ist nicht mehr viel von dem Mann, den Du kanntest. Ein Häufchen Elend liegt vor dir, ein schwacher Schatten deines (strengen?) Vaters. Es sieht nicht gut aus, aber das tut es auch, wenn Du nicht da bist. Sein Leid ist immer da, aber Du kannst einen besonderen Moment der Freude diesem Menschen geben.

Schau ihm in das Auge, nimm ihn wahr, wie einen neuen Menschen. Diesem bringst Du was. Du musst nicht unsicher sein, du bringst etwas Wertvolles: Dich. Du musst nicht lange bleiben. Es würde ihn vermutlich überfordern. Aber wenn Du da warst, wird es ihm vermutlich besser gehn als vorher.

Natürlich wirst Du seinen Anblick im Leben nicht vergessen. Aber nach einiger Zeit wird diese Erinnerung überlagert werden von den anderen Bildern, Bildern aus deiner Kindheit z.B. Im Rückschau sehen wir das ganze Leben, den ganzen Menschen, momentan sehen wir nur den jetzigen.

Noch ein Gedanke: Wäre der Wunsch deines Bruders nicht auch ein Grund, es zu versuchen? Hat er deine Unterstützung verdient?

Liebe Grüße
martina
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