Einzelnen Beitrag anzeigen
  #208  
Alt 15.05.2003, 18:53
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard schlimme gedanken

Hallöchen Ihr Lieben,

hi, liebe Burgi, Du weisst, gell, dass ich Dich nicht hab' wütend machen wollen, ich versuche ja nur, Dir die "Kehrseite" aufzuzeigen, und zwar jene der Krebsbetroffenen.
Warum versuche ich das? Weil ich weiss, dass sich ein Nicht-Krebsbetroffener nur schlecht in einen Krebsbetroffenen einfühlen kann. Und warum soll ich Euch nicht versuchen, zu erklären, WIE das ist, oder sein kann? Auch wenn ich mit meinen Worten ringe, so bringe ich sie wenigstens einigermassen zustande. Es ist sehr schwierig darüber zu sprechen, ALS Krebsbetroffener, weil man da oftmals merkt, wieviele Missverständnisse schnell mal herrschen. Aber man will (zumindest ich) es aussprechen, weil das Nichtverständnis von den Angehörigen uns Krebsbetroffene manchmal eben so sehr belasten kann. Ich wiederhole nicht umsonst immer wieder die blossen Worte: "Das DA-Sein ist wichtig, das Begleiten, das gemeinsame Weinen, das gemeinsame Lachen." - Das ist eigentlich das kleinste, das wichtigste, ohne eine Frage des wie und warum, des wer ... oder eines "aber".
Wenn ich die "Kehrseite" versuche zu erklären, Burgi, dann will ich nicht gleichzeitig für jemanden eine Entschuldigung suchen, weil er so oder so ist. Sondern ich meine es dann ganz simpel einfach aus der Sicht: Mensch und Krebs!

Wegen Christels Eintrag ist mir nämlich noch ein Gedanke dazu gekommen, den ich Euch mal versuche zu beschreiben:

Das ICH, hm? Das ICH ist so verschiedenartig, wie die Sternchen am Himmel. (Grins! So herzig wollte ich das jetzt eigentlich gar nicht beschreiben, aber das kam jetzt halt so.)
"Das ICH ist ein ICH nur für mich, aber für jeden anderen bin ich ein DU, und jeder andere ist für mich ein Du.", kennst Du ja schon, gell Burgi?
Das ICH ist also einzigartig, denn es gibt für jeden Menschen nur EIN Ich.
Ich bin ein ICH, Du, liebe Burgi, bist ein ICH, und auch Deine Mutter ist ein ICH.
Jedes ICH hängt ja aber auch mit seinem eigenen Leben zusammen, mit seiner Vergangenheit, seiner Gegenwart, und seiner möglichen Zukunft, stimmt's? Also alles ganz einzigartige ICH's! (Lach!)

Wenn nun ein ICH mit einer Krebsdiagnose konfrontiert wird, so denkt das ICH ... zuerst mal an SICH! Denn dem ICH geht es um's ICH!
Das ICH macht da eine ganze Menge durch, denn das ICH steht vor einer Türe, die das mögliche Ende des ICH's bedeuten kann.
KANN, muss aber nicht. Aber das ICH weiss das ja nicht. Tatsache ist einfach, dass die Türe jetzt ziemlich NAHE vor einem steht.
Das ICH ist verzweifelt. Das ICH hat ANGST. Das ICH kann wütend werden über diese Situation. Das ICH kann aggressiv werden. Es kann beschämt sein über seine ganze Vergangenheit, weil das ICH weiss, dass das ICH nicht alles so richtig gemacht hat. Das ICH ist auch wütend, weil es findet, es ist noch nicht Zeit für das Ende des ICH. Und es kann auch wütend werden, weil niemand erkennen will, dass das ICH so verletzt ist. Das ICH kann wütend sein, wenn niemand das ICH sieht. Das ICH strampelt, weil jedes andere DU ihm sagt, was es zu tun hat, wie es sich verhalten soll, und auch wie es sich verändern soll. Das ICH weiss, dass es nicht alles richtig gemacht hat, oder noch immer nicht richtig macht, aber das ICH will da jetzt gar nichts daran ändern, denn schliesslich ist das ICH ein ICH!
Das ICH ist unzufrieden, es kann schimpfen und zetern. Nichts ist ihm recht, aber es GIBT auch nichts mehr so richtig, WAS ihm wirklich recht sein könnte. Denn das ICH hat KREBS.

Heute denkt das ICH an Sonnenschein und Blumen. Morgen denkt das ICH bereits nicht mehr daran, denn das ICH denkt wieder an die Türe, vor welcher es steht.
Das ICH kann jede Minute jetzt geniessen. Aber genau auch so verfluchen, wenn es NICHT so kommt, wie das ICH es will. Das ICH nimmt sich das Recht, weil das ICH vor dieser Türe steht.
Das ICH verändert sich, aber das ICH merkt es nicht. Das ICH wird intensiv, wenn es hasst, es wird aber auch intensiv, wenn es liebt. ALLES ist intensiver. Warum auch nicht, denn das ICH steht vor dieser Türe.
Das ICH fordert. Es fordert intensiv. Es muss so fordern, weil es vor dieser Türe steht.

Das ICH ist müde. Das ICH denkt nach. Das ICH sieht, dass das ICH nicht das einzige ICH ist, welches so leidet und welches vor dieser Türe steht. Das ICH merkt, dass das ICH vergänglich ist. Dass alles im Leben vergänglich ist. Das ICH denkt an die Vergangenheit. Intensiv. Das ICH denkt an das Heute. Intensiv. Das ICH will nur noch leben, WEIL es vor dieser Türe steht. Das ICH will das DA-Sein aller Du's geniessen. Das ICH will lachen können, weil das ICH vor dieser Türe steht. Das ICH kämpft. Intensiv ...


So ähnlich, liebe Burgi, manchmal mehr vermischt, manchmal mehr nur jenes, ... durchlebt so ein ICH mit Krebs.
Krebs ist wie ein Erdbeben in einem Menschenleben. Es verkürzt alles, die Zeit, den Tag, den Augenblick. Mit Krebs will man sich nämlich eigentlich überhaupt nicht aufregen müssen. Jedes einzelne Aufregen kann der Gesundheit nur schaden. Trotzdem kann man sich sehr schnell mal aufregen. Da herrscht plötzlich ein ... Zeitdruck des Lebens. Dieser Druck kann einen ganz kirre machen.
Und jenes, was einem schon immer nicht gepasst hat, das will man selber vielleicht AUCH ändern, aber schafft es nicht. Das kann einen zünftig aufregen.
Man kann aber auch sehr "ruhig" sein, so ruhig, dass es für Aussenstehende sehr sonderbar scheint. Man kann auch sehr dankbar sein, für jedes einzelne, liebe Wort. Das ist so ein wunderbares Geschenk, man nimmt das so intensiv auf, wie ein Schwamm das Wasser aufsaugt.
Man kann aber auch bereits so "weit" im Leben sein, dass man merkt, dass das ICH eigentlich gar nicht so wichtig ist, weil es schon genug gesehen, erlebt und gelernt hat.
Man kann aber auch einfach nur Angst haben, und wagt es nicht, anderen zur Last zu fallen.

So verschieden die ICH's halt sind, so verschieden können die entsprechenden Reaktionen sein, vermischt mit mal dieser Reaktion, mal mit jener. Und weil's so viele mögliche Reaktionen sind, ist es ... (seufz) eben so schwer zu erklären, WARUM man so oder so reagiert.
ABER man reagiert. Und es gibt keinen einzigen Menschen, welcher NICHT darauf reagieren würde.

Uff! Jetzt mache ich für heute einen Punkt hinter all meinen Sätzen, mein Kopf ist jetzt total leer ... :-)
Bis später, Ihr Lieben!
Liebe Grüssli
von der "krassen" Brigitte
Mit Zitat antworten