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Alt 22.12.2006, 00:53
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dandelion dandelion ist offline
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Standard Ein Vorstellungsgespräch...

Guten Abend zusammen
möchte euch folgenden Dialog wiedergeben. Das Ganze geht mir immer noch unter die Haut. Andererseits ist es so grotesk, dass es schon wieder zum Lachen ist. Wie ist eure Meinung dazu? So was in der Art schon mal erlebt?

Zeit & Ort: Deutschland - Dez. 2006 - ein Büro im Zentrum einer Großstadt
Hauptdarsteller: der CEO (Vorstand! = Er) eines mittelständischen Unternehmens sowie eine Kandidatin (= Sie)

...Geplänkel und Konkretes zum Einstieg, wie es halt in einem zweiten Vorstellungsgespräch eben so ist... irgendwann nach anderen "besonderen" Inhalten...
Er (beugt sich vor): Frau X. - Schicksal oder Zufall?
Sie (verwundert): Wie bitte?
Er (nachdrücklich): Woran glauben Sie? Schicksal oder Zufall?
Sie (will Zeit gewinnen): Mmh, die Frage kann ich Ihnen wohl erst in ein paar Jahren beantworten.
Er (hebt wartend die Augenbrauen)
Sie (spontan): Ich glaube, es ist der Sinn, der aus Zufall Schicksal macht.
Er notiert etwas in seinem Notebook. Sie ist erstaunt über sich selbst und nimmt sich fest vor, sich diesen gehaltvollen Satz zu merken.
Er (wechselt scheinbar das Thema): Wie war das bei dem Projekt X in Y für Sie?
Sie (holt aus und erläutert): ...Herausforderung...wichtiges Pilotprojekt...Umsatz...viel Arbeit...neue Führungskraft vor Ort in Y eingearbeitet bis -
Er (unterbricht und ergänzt): Bis Sie dann ins Krankenhaus gekommen sind.
Sie (stutzt und überlegt, welcher Kollege was genau geplappert hat - die Branche ist also klein): Ja, das stimmt. Es war eine plötzliche und ernste Erkrankung, die aber heute voll ausgeheilt ist. Ich war 2 Wochen in KH und nach 5 Wochen wieder arbeiten. Das Projekt habe ich gut übergeben und auch danach -
Er (unterbricht): Zufall oder Schicksal? Ihre Krankheit meine ich.
Sie (fast sprachlos): Zufall.
Er (schaut vom Notebook auf): Das sehe ich anders.
Sie (ruhig): Ich weiß.
Er (lehnt sich zurück, referiert minutenlang): ...Dahlke... Krankheit als Chance...Schicksal...Krankheit ist ein Signal des Körpers...
Sie (behält die Fassung): Dachte mir, dass Sie das so sehen. (lacht) Meine Antwort "Zufall" konnte ich mir nicht verkneifen. (ernst) Ich weiß ja, was Sie meinen und bin auch weitgehend Ihrer Meinung. Aber ich finde es teilweise auch etwas zynisch.
Er (hakt nach): Wieso zynisch?
Sie (schwimmt): Es ist mir so zu einfach. Was ist mit der genetischen Veranlagung, mit Krankheit fördernden Lebensbedingungen oder Unfällen? Klar führt das eine zum anderen. Ich glaube aber nicht, dass sich jemand so etwas unbewusst oder bewusst aussucht.
Er (bohrt mit irgend einer Theorie nach)
Sie (zunehmend wütend): Ich finde es unpassend, zB einem an MS oder an Krebs Erkrankten zu sagen, dass er dies für seine persönliche Entwicklung braucht. Oder wenn ich von einem Amokläufer angeschossen werde, hab ich mir das bestimmt nicht ausgesucht.
Er (bringt als Beispiel): Stellen Sie sich vor - ein Mann sitzt am Tresen einer Kneipe. Einige Tische hinter ihm eskaliert ein Streit zwischen anderen Gästen. Er hat nichts damit zu tun. Plötzlich knallt ihm ein Bierkrug an den Hinterkopf. Ich bin der Meinung, dass dieser Mann ein ungeklärtes Gewaltpotenzial in sich hat, was dazu führte, dass er diese Verletzung erlitt.
Sie (überlegt, sich höflich zu verabschieden, erwidert aber): Ich bin der Meinung, dass ich Verantwortung für das übernehmen muss, worauf ich Einfluss habe und auch für das was mir passiert, aber von außen kommt. Ihr Beispiel ist mir zu hart.
Er (neutral): Wieso zu hart?
Sie (entscheidet sich dagegen nun noch den Holocaust ins Spiel zu bringen): Ihrem Beispiel kann ich so nicht folgen.
Er: Warum?
Sie: Verantwortung hat nichts mit Schuld zu tun. Bei mir wurde Krebs diagnostiziert. Damit muss ich klar kommen. Die Ursachen sind unklar. (lakonisch) Und ich glaube nicht, dass irgendwo der liebe Gott auf einer Wolke sitzt und denkt: ach, der lieben X teile ich jetzt mal Krebs zu, die braucht das.
Er (neugierig): Ich habe einige an Krebserkrankte in meinem Team. Damit muss sich jeder eben auseinandersetzen. Ich weiß selbst nicht, was meine Aufgabe sein wird. Was ist ihre?
Sie (schielt zur Tür): Ich kann Ihnen versichern, dass ich intensiv darüber nachgedacht habe. Ich habe nichts Neues über mich erfahren.
Er (erstaunt): Sie können keinen Sinn darin entdecken?
Sie (wird langsam übel): Nein. Ich war krank und muss nun damit leben und das Beste daraus machen. Also, Verantwortung ja. Schuld sehe ich keine.
Er (rechtfertigt sich): Ich habe nicht von Schuld gesprochen. Es ist eine Aufgabe im Leben.
Sie (erschöpft): Ich weiß, was Sie meinen.
...
Er kriegte dann irgendwie die Kurve und wechselte zu anderen eigenartigen Themen wie zB Paralleluniversen. Das Gespräch dauerte insg. 3 Std.

Am Wochenende habe ich mich nach einigem Überlegen entschieden, dieses eigentlich sehr gute Arbeitsangebot (so es denn kommen würde) nicht anzunehmen. Außerdem dachte ich mir, dass der Ärger sowieso vorprogrammiert wäre.
Kleiner Exkurs: Wahnwitzigerweise würde ich bei einer Absage meinerseits u.U. eine Sperrfrist von der Arbeitsagentur erhalten bzw müsste mich ewig rechtfertigen, warum ich dort nicht arbeiten will.

Vor 3 Tagen bekam ich eine freundliche Absage verbunden mit einem netten Dank für den "interessanten Austausch". Die Stelle würde nun doch in Teilzeit besetzt.

Zufall? Schicksal?

Geändert von dandelion (22.12.2006 um 01:43 Uhr)
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