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Alt 19.12.2006, 02:57
Catarina Catarina ist offline
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Registriert seit: 11.07.2006
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Standard AW: An alle jungen Hinterbliebenen

Hallo an alle,

ich bin nicht wirklich neu hier, aber es ist eigentlich das erste Mal, dass ich mich entschließe zu schreiben.
Mein Vater ist vor fünf Monaten gestorben, mit 54 Jahren. Ich bin 23. Er war überall für seine Stärke und seinen Mut bekannt, ich komme in dieser Hinsicht angeblich nach ihm, und bereits bei der Beerdigung klopften mir alle auf die Schulter mit dem Hinweis, das ich jetzt auf die Familie aufpassen muss, weil ich doch so ein starkes Mädchen bin.
Der Nachteil ist, dass ich mich mein ganzes Leben so damit identifiziert habe und tatsächlich immer die Beschützerin für alle meine Mitmenschen war. Ich habe tatsächlich eine große Stärke in mir gespürt und kam damit klar, weil mein Vater wiederum stärker war als ich, und ich somit selbst einen Beschützer hatte. Und jetzt ist er weg, und ich baue immer noch alle auf, wenn sie unten sind. Weine nie vor den anderen, und unterdrücke selbst dann meine Tränen, wenn ich alleine bin. Fühle mich manchmal wie ein Tannenbaum, der nicht das Recht hat zu fallen, weil er die Kugeln, die an ihm hängen, und die er liebt, nicht zerbrechen will.
Traue mich nicht, mich bei jemandem auszuheulen, weil die meisten Menschen erschrocken reagieren, wenn ich unten bin. Man mag mich lächelnd und charismatisch. Meine beste Freundin versteht mich, ist aber dennoch sprachlos, weil sie einfach nicht weiß, was sie sagen soll und mir fällt dann auch nichts ein, außerdem wohne ich im Ausland und habe daher größtenteils nur telefonischen Kontakt mit ihr. Meine Mutter meint, dass es mir schadet, dass alles nicht raus zulassen. Aber sie hat es ja noch soviel schwerer als ich, und ich kriege dann sofort schlechtes Gewissen, ihr was vorzuheulen.
Meine Trauer hat sich in der vergangenen Zeit wohl nur in Motivationslosigkeit geäußert.
Habe keinen festen Partner, tingel mich durch Affären und Romanzen; natürlich ist mir kein Kerl stark genug. Ich will mich hier wirklich nicht als der weibliche Schwarznegger aufspielen, und ich hoffe, dass ihr mich versteht. Als mein Vater noch lebte, genoss ich diesen Lebensstil und ertrug die Einsamkeit, aber jetzt, wo ich eine starke Schulter brauche ist überall nur Glas, habe das Gefühl, die sinken zu Boden, wenn ich mich einmal anlehne. Sicher, ich erwarte zu viel, aber wenn ein Wunsch aus dem Herzen und nicht aus dem Verstand kommt, kann man ihn nicht so einfach wegwischen. Hatte immer einen sehr guten Kontakt zu meinem Vater, und schon ein kurzes Gespräch mit ihm genügte, um wieder voller Mut und Hoffnung zu sein. Im Krankenhaus, kurz vor seinem Tod, sagte er mir einmal, dass er Angst hat. Ich glaube, er hat es sonst niemandem gesagt, weil ich ihm in dieser Hinsicht eben ähnlich war, und weil er nicht das Gefühl hatte, mich damit zu zerbrechen. Noch in seinen letzten Tagen hat er Scherze gemacht und mir z.B. einen Morphiumlutscher angeboten (Das Zeug ist verdammt gut, nimm einen für die Zugfahrt, dann schläfst du besonders gut, kannst deinen Freundinnen auch ein paar davon mitbringen.)
Ich bin hart geworden und wenn ich auch noch niemals ertragen habe, dass jemand wegen der bösen bösen Welt oder einem schnupfen jammert, dann kann ich jetzt die geringste Beschwerde nicht mehr ertragen, wenn sie selbstmitleidig und humorlos ist. Vor allem nicht bei Männern. Im Gegenzug mach ich dann natürlich selbst mein Maul nicht auf, weil ich mich dann natürlich ebenfalls nicht beschweren darf, denn schließlich bin ich ja nicht krebskrank.
Ei ei, des isch a deivelskreis! Entschuldigt meinen Sarkasmus, er geht nicht gegen euch.
Habt ihr eigentlich auch das Gefühl, plötzlich um zehn Jahre gealtert zu sein? Fühle mich wie mind. dreißig, und ach so viel klüger und stärker und erfahrener (und somit letztendlich dümmer) als meine Altersgenossen – und beneide sie um die Leichtigkeit ihrer Jugend. Manchmal rede ich mir sogar die Eltern von manchen schlecht; sage mir dann, jaja, der oder die hat zwar noch einen Vater, aber besser keinen als so einen, und spätestens wenn ich mich bei so einer Gehässigkeit erwische, denke ich, dass ich langsam etwas tun muss. Aber was? Zu einem Psychologen kann ich nicht, weil es hier alles privat bezahl werden muss und weil ich dazu nicht die Kohle habe.
Vielleicht hilft es mir, mich hier ein bisschen mit euch auszutauschen.

Einen tiefen lieben Gruß an alle,
Catarina
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