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Alt 23.10.2006, 13:49
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Kiwi Kiwi ist offline
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Standard AW: P A P A , wo bist du jetzt und wie geht es dir ???

Liebe Sylvia

Ich habe eben dein Posting gelesen - wollte eigentlich auch "nur" rasch gucken, ob Ihr geschrieben habt und es nachlesen, weil ich doch in Arbeit ertrinke, aber deine Frage, die absolut NICHT blöd ist, steht so verloren und irgendwie hilflos im Raum, ich muss dir einfach rasch schreiben.

Du fragst: Trauert ihr noch? Da frage ich zurück: Was ist denn eigentlich Trauer? Natürlich hat sich auch bei mir dieses heftige, erbärmliche Gefühl der ersten Zeit gelegt. Natürlich schiessen mir nicht mehr dauernd die Tränen in die Augen. Und natürlich habe ich auch ganze Tage aneinander, wo ich ganz "normal" lebe und an Papa denken kann - und mich frage "war's das jetzt mit der Trauer?".

Ich mache mir aber noch immer ganz viele, tiefe Gedanken. Momentan vor allem rund um das Thema, wie er starb. Ich hole die Bilder, Emotionen, Gespräche, Empfindungen hoch und verarbeite sie so. Ich denke, dieses Sterben von Papa war eigentlich das tiefste Erlebnis, was ich je hatte. Und vor lauter "Trauer danach" kam ich noch gar nicht dazu, dieses Erlebnis zu verarbeiten. Ich bin also daran, es Stück für Stück zu schubladisieren. Das mache ich aber ganz alleine für mich. Ohne wieder jemanden damit zu "belästigen"...

Erst kürzlich habe ich mit Freunden über "Trauer" gesprochen und wie ich sie umschreiben würde. Da ich dafür bekannt bin, in Bildern zu sprechen, habe ich mir auch hier ein Bildnis geschaffen, um es zu erklären. Erlaube mir, dir dieses Bildnis auch zu erzählen.

VOR Papas Tod konnte ich mir (wir wohl alle) gar nicht vorstellen, was DANACH in mir vorgeht. Und ich stelle fest, es ist nicht so schlimm, wie ich es gedacht habe - aber gleichzeitig ist es viel schlimmer. Nämlich: Ich funktionierte sehr schnell ganz normal. Ein Zusammenbrechen, ein Nichtfunktionieren gab es nie. Ich laufe seither einfach auf einem Gletscher. Dies zwar gut ausgerüstet und auch mittlerweile mit einer eintrainierten Taktik und insofern ganz sicher. ABER unter mir hat es Gletscherspalten, in die ich immer wieder falle. Inzwischen kann ich mich zwar gut daraus selber befreien oder habe auch immer wieder liebe Menschen um mich, die mich herausziehen (an dieser Stelle ein extrem dickes Dankeschön an EUCH ZWEI für so manche *Yvonneausgletscherspalterettungsaktion*!!), aber eben, die Gletscherspalten sind nach wie vor da. Sie werden weniger, sie werden auch weniger tief. Und doch: Plötzlich falle ich wieder in eine hinein.

Mein "Marsch" über den Gletscher in den letzten Monaten hat mich aber auch sehr viel gelehrt, so zB die Spalten zu erkennnen, ihnen auszuweichen, oder sogar RICHTIG mit ihnen umzugehen.

Fazit: Ja, ich trauere noch - aber anders. Ich habe gelernt, mit meiner Trauer umzugehen. Sie in mein Leben zu integrieren. Und sie auch mal beiseite zu schieben. Dieses Trauertier, wie wir es nennen, ist handzahm geworden. Wenn ich es nicht provoziere, beisst es mich auch nicht :-)

Liebe Sylvia, mach dir bitte keinen Kopf - alles, was du fühlst, ist RICHTIG. Du bist keinesfalls herzlos oder kalt, geschweige denn eine böse Tochter!!! Die ERSTE Hürde der Trauer ist wohl einfach geschafft, so sind wir Menschen auch gepohlt. Die Trauer um die Eltern MUSS einfach abschwächen und einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit, der liebevollen Erinnerung und der nur noch gelengtlichien Tränen weichen. Wie sollten wir Nachkommen sonst in Ruhe weiterleben können? Wie die Trauer bei verwaisten Eltern aussieht, steht auf einem anderen Blatt. Aber was WIR erlebten, ist der Lauf der Dinge, also NORMAL und so sind wir doch auch gerüstet, diesen Abschied zu ertragen.

Mach dir um Himmels Willen kein schlechtes Gewissen, sondern sehe es im Gegenteil als Kraftpaket, das dir dein Papa geschickt hat, weil ER denkt: "So, liebe Tochter, jetzt ist aber gut mit traurig sein, leb' sorgenfrei weiter." oder so ähnlich... du weisst, was ich dir sagen will.

Meine Mama hat mir das schon im August in den Ferien gesagt: "Papa ERWARTET von uns, dass wir mit seinem Verlust umgehen lernen und können!" Das schrieb ich mir dick hinter die Ohren.

Ich muss wieder arbeiten, ich hoffe, ich konnte mich verständlich ausdrücken. Und noch was: Wer eine so liebevolle Mama und Forumsfreundin und Ehefrau von Teilzeitschnarchern ist, KANN nur eine liebevolle Tochter sein. Auf immer und ewig... *dichfestknuddel*

Bis bald Ihr Lieben - Busserl, Yvonne
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Leuchtende Tage - nicht weinen, dass sie vorüber, sondern lächeln, dass sie gewesen. (Tagore)
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